Ist das ein Rechtsstaat?

Umweltverschmutzung Die EU-Klage gegen Deutschland ist eine Folge der Tatenlosigkeit der Bundesregierung. Die Gesundheit der eigenen Bevölkerung scheint für sie höchstens zweitrangig zu sein
Glaubwürdigkeit der Bundesregierung (Symbolbild)
Glaubwürdigkeit der Bundesregierung (Symbolbild)

Foto: Carsten Koall/Getty Images

Die EU-Kommission hat Deutschland wegen zu schlechter Luft verklagt – konkret wegen der Missachtung der EU-Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide, für die vor allem Dieselautos verantwortlich gemacht werden. EU-weit fordern die Abgase jährlich rund 400.000 vorzeitige Todesopfer, woran Deutschland, dessen Regierung gern mit der Lüge hausieren geht, sie sei Vorreiterin in Sachen Umweltschutz, einen überproportional hohen Anteil hat.

Das Problem ist seit langem bekannt. Als im August vorigen Jahres ein „Nationales Forum Diesel“ ausgerichtet wurde, wusste man genau, dass die EU-Kommission eine Klage vorbereitete. Getan wurde fast nichts. Die Autohersteller wollten die Motoren der Fahrzeuge, die das Problem verursachen, nicht austauschen, sondern nur umrüsten, weil das billiger war. Es war von vornherein klar, dass es nicht ausreichte, doch die Regierung folgte ihnen willig. Sie wollte vor allem verhindern, dass Fahrverbote für Dieselautos verhängt werden könnten.

Was immer wieder auffällt, sind die dreisten Lügen der Repräsentanten unseres Landes. Schon damals im August hatte der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) behauptet, dass Fahrverbote rechtlich gar nicht möglich seien. Einen Monat später widersprach ihm das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig: Sie sind möglich, denn über dem Bundesrecht steht das EU-Recht, das zur schnellstmöglichen Einhaltung der Luftreinhaltungs-Grenzwerte verpflichtet und Fahrverbote nicht ausschließt. Das ist so selbstevident, dass man Dobrindt mit der Annahme, er hätte es nicht gewusst, schwer beleidigen würde.

Die Bevölkerung fragt niemand

Jetzt nach der EU-Klage kommt das Bundesverkehrsministerium erneut zu dem Schluss, dass für eine Verpflichtung der Autohersteller zum Austausch der Motoren „keine Rechtsgrundlage gesehen“ werde. Dasselbe behauptet auch Bundesverkehrsministerin Svenja Schulze (SPD), die ansonsten so tut, als würden nur die Unionsparteien eine Problemlösung blockieren. Man muss sich vorstellen, wie diese Menschen eben noch die EU-Klageschrift gelesen haben, in der sie wiederum an etwas erinnert werden, das sie ohnehin wissen: dass Deutschland "über wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionssysteme verfügen“ müsste, „um Autohersteller davon abzuhalten, gegen geltendes Recht zu verstoßen".

Sowohl die Umsetzung des EU-Rechts in nationales Recht als auch die Sanktionssysteme für den Fall des Rechtsbruchs sind rechtlich vorgeschrieben. Doch der Staat, der als vermeintliche EU-Zentrale gern die Peitsche schwingt, wenn es darum geht, das Geld deutscher Banken in Griechenland einzutreiben, denkt gar nicht daran, sich gegen die dreckige Herkunft dieses Geldes aus der Autoindustrie zu engagieren. Mal zwingt er andere, das Recht einzuhalten, mal bricht er es selbst. Ist das ein Rechtsstaat?

Wenn er ausnahmsweise nicht lügt, ist es fast noch schlimmer. In ihrer Rede zum Bundeshaushaltsgesetz 2018 vor einer Woche hat Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt, man könne nicht „zahlreiche Ingenieure“ zwei bis drei Jahre mit dem Einbau neuer Motoren in alte Autos beschäftigen, wo es vielmehr darum gehe, schnellstmöglich die neuen selbstfahrenden Autos zu bauen. Als wäre jemals die Bevölkerung gefragt worden, ob sie diesen Weg mitgehen will. Sie muss einfach, und die Gesundheit bleibt auf der Strecke.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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