Jusos für mehr Demokratie

Sozialdemokratie Der SPD-Parteivorstand will den Einfluss neuer Mitglieder begrenzen. Die Parteispitze hat dabei weder Logik noch Demokratie auf ihrer Seite
Die SPD-internen Gegner einer Großen Koalition verteidigen eine Politik, die sozialdemokratisch genannt zu werden verdient
Die SPD-internen Gegner einer Großen Koalition verteidigen eine Politik, die sozialdemokratisch genannt zu werden verdient

Foto: Sascha Schuermann/AFP/Getty Images

Hervorgerufen durch die Jusos, erlebt die SPD eine Welle von Neueintritten. Die Jusos sagen, sie wollen den potentiellen Wählern, die der Partei im Januar 2017 in Umfragen vorübergehend um 30 Prozent Stimmen versprachen, Gelegenheit zur Mitentscheidung über den künftigen Kurs der Partei geben. Sie rufen diese Wähler auf, in die Partei einzutreten und beim bevorstehenden Mitgliedervotum über die erneute Bereitschaft zur Großen Koalition mit Nein zu stimmen. Sie haben dazu jedes demokratische Recht. Eine Partei ist nicht bloß dazu da, die „Auslese“ politischer Führer zu erleichtern, wie gewisse Parteitheorien behaupten. Sie ist vor allem ein Mittel der Bürger, ihren politischen Willen zur Geltung zu bringen. Der Aufruf der Jusos erinnert sie daran.

Der SPD-Vorstand wird am Montag darüber beraten, wie er die Möglichkeit zum Neueintritt und der anschließenden Teilnahme am Mitgliedervotum begrenzen kann. Hat auch er ein demokratisches Recht, das zu tun? Nein. Er hat nicht einmal die Logik auf seiner Seite. Es ist nicht logisch, das Bild von Bürgern an die Wand zu malen, die nur für die Abstimmung eintreten und die Partei danach gleich wieder verlassen. Denn warum treten sie ein, wenn nicht um den Kurs der Partei zu ändern? Und wenn es ihnen gelingt, haben sie nicht allen Grund, zu bleiben? Sie hätten es doch in ihrem eigenen Interesse getan, hätten also auch das Interesse, eine neue oder vielmehr die alte sozialdemokratische Politik, die Politik vor der Agenda 2010, in der Gesellschaft wieder einflussreich zu machen. Wenn es ihnen aber nicht gelingt, die Beteiligung an der Großen Koalition zu verhindern, und wenn sie dann tatsächlich gleich wieder gehen, dann würde das ja nur die Politik derer erleichtern, die sich jetzt Restriktionen ausdenken.

Diejenigen, die jetzt eintreten, wollen nicht bloß abstimmen

Der Vorstand hat auch die Demokratie nicht auf seiner Seite. Er meint wohl, er habe es, weil eine Partei sich fremdbestimmen lasse, wenn sie Neueintritte bloß zum Zweck der Teilnahme an einer Abstimmung gestatte. Aber die jetzt eintreten, wollen nicht bloß abstimmen. Sie wollen mitentscheiden, worüber es hier und heute abzustimmen gilt. Das ist der springende Punkt, den eine Andrea Nahles nicht begreifen will. Der Parteitag am Sonntag hat es gezeigt: „Heute einmal ein Zwerg sein, um in Zukunft wieder etwas Großes zu sein“, mit diesen Worten hatte sich der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert gegen die Koalition mit den Unionsparteien ausgesprochen. Nahles antwortete: „Was ist denn das Große?“ Sie habe immer das Große im Kleinen gesucht, deshalb sei sie in der SPD. Wenn dann aber jemand die Große Koalition ablehne, weil man nur einige Kleinigkeiten in ihr durchsetzen könne statt alle, dann müsse man ihm oder ihr den Vogel zeigen.

Begreift sie wirklich nicht, dass sie selbst das Große verteidigt, aber ein anderes Großes als die Jusos? Die Jusos verteidigen eine Politik, die sozialdemokratisch genannt zu werden verdient. Das Große hingegen, das Nahles verteidigt, ist die Agenda 2010. In diesem Großen sucht sie das Kleine. Das ist der Grund, weshalb sie bereit ist, immer und immer wieder mit den Unionsparteien zu koalieren. Der Streit geht darum, worin die SPD ihre Größe sieht.

Das bedeutet aber, dass die neueintretenden Bürger nicht nur an einer Abstimmung teilnehmen, sondern an dem Kampf darum, über welche Frage abgestimmt werden soll. Nahles und ihre Anhänger versuchen die Frage zu vernebeln, die Jusos versuchen sie deutlich zu machen und als Abstimmungsfrage durchzusetzen. Deshalb sind sie es, die für mehr Demokratie kämpfen. Denn es ist das Grundproblem aller bisherigen Demokratien, dass die allermeisten Bürger bloß über Fragen abstimmen können, die nicht sie selbst aufgeworfen haben, sondern eine kleine Minderheit, die politische Klasse, an ihrer Stelle. So sind es auch nicht die Bürger gewesen, die sich die Agenda 2010 ausgedacht hätten. Die Frage, welche Kleinigkeit an ihr korrigiert werden soll und welche nicht, ist ihre Frage niemals gewesen. Die Jusos rufen sie auf, das zur Sprache zu bringen. Denn darum geht es bei der Koalitionsentscheidung.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden