Keine Kondome für Afrika

Papst Benedikt Der Papst führt eine Kirche an, die in der Körperfeindlichkeit ein Ersatz-Martyrium gefunden hat. Dieses Sexualtabu ist nicht nur Unsinn, sondern oft auch todbringend

Als ob es nicht schon genug Krisen gäbe – die Wirtschafts- und Finanzkrise, die Hungerkrise, die ökologische Krise -, kommt auch noch eine Papstkrise hinzu. Für Millionen Menschen ist das nicht nebensächlich. Dieser Papst ist ein Desaster. Eben noch wurde Angela Merkel gescholten, es sei despektierlich gewesen, ihn öffentlich zu kritisieren – jetzt, nach seiner jüngsten Äußerung, mussten viele Politiker ihre Selbstachtung strapazieren, zum Beispiel die Bundesministerinnen Schmidt und Wieczorek-Zeul, denn es wird ihnen nicht leicht gefallen sein, zu so einem peinlichen und gefährlichen Unsinn überhaupt Stellung zu nehmen: Benedikt hatte gesagt, das AIDS-Problem "kann nicht mit der Verteilung von Kondomen gelöst werden, im Gegenteil, dies verstärkt nur das Problem". Ausgerechnet zum Auftakt seiner Afrika-Reise. In Afrika sind seit den achtziger Jahren mehr als 25 Millionen Menschen an AIDS gestorben.

Si tacuisses, wenn du geschwiegen hättest – andere Päpste waren vorsichtiger als Benedikt, dieser Undiplomat, der sein verklemmtes Herz auf der Zunge trägt. Seine Vorgänger dachten nicht anders als er, waren aber bessere Schauspieler. Jetzt bricht alle Schauspielkunst zusammen. Der "Stellvertreter Christi auf Erden" soll das sein? Nein, es bestätigt sich die Analyse, die der Historiker Peter Brown 1988 vorlegte, in seinem Werk über "sexuelle Entsagung, Askese und Körperlichkeit am Anfang des Christentums": Als die Christen aufhörten, das Kreuz Christi tragen zu wollen, erfanden sie, um ihr Gewissen zu beruhigen, ein Ersatz-Martyrium, das in der Sexualfeindschaft gegen den eigenen Körper bestand. Dies Versagen zeugt sich bis in die Erklärung des Vatikan-Sprechers Federico Lombardi fort, der Benedikts Äußerung mit den Worten verteidigte, Kondome könnten zu riskantem Verhalten führen. Eine völlig aus der Luft gegriffene "Erklärung", die umso deutlicher zeigt, was im Spiel ist: Sexualphantasien.

Christus wurde aber nicht wegen seiner Sexualität oder Askese zum Tod verurteilt. Die Römer kreuzigten ihn wie einen rebellierenden Sklaven, offenbar weil sie in ihm eine Gefahr für ihre Herrschaft sahen. Er hatte zum Beispiel ein Gebet gelehrt, in dem es hieß: "Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern." Das war damals hochaktuell; gerade erst hatte Caesar ein Gesetz abgeschafft, wonach jeder, der seine Schuld nicht bezahlen konnte, ersatzweise versklavt werden durfte. Es ist noch heute aktuell, denn im Kapitalismus gilt das Gegenteil von Christi Gebet: "Nimm Schulden auf und zahl sie unbedingt zurück! Bestehle notfalls das Volk, um es tun zu können!" Ein Stellvertreter Christi auf Erden, wenn es so etwas geben könnte, würde gegen diese Haltung bis zur Gefahr des Gekreuzigtwerdens polemisieren, zumal in der Wirtschaftskrise, statt wie Benedikt irgendeinen für ihn selbst bequemen, für andere tödlichen Quatsch über Kondome zu verzapfen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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