Klassenjustiz

Kommentar Die ersten Urteile im Berliner Bankenskandal

Kein Zweifel, die juristische Aufarbeitung des Berliner Bankenskandals ist schwierig. Man kann ein Unternehmen, selbst wenn es dem Staat gehört wie die Berliner Bankgesellschaft, nicht dafür bestrafen, dass es sich verkalkuliert. Jeder weiß zwar, dass Berliner Politiker und Manager mit Parteibuch das klar vorhersehbare Scheitern von Finanzplänen in Kauf nahmen, weil nicht sie, sondern die Steuerzahler den Schaden haben würden. Aber ihnen das nachzuweisen, ist schwierig, und selbst wenn es gelingt, sehen die Gesetze keine harten Strafen vor. Deshalb werden die am Montag ergangenen Urteile gegen Ulf-Wilhelm Decken und Jochem Zellen, zwei Ex-Vorstände der Landesbank, von vielen begrüßt, schon weil es überhaupt zu einem Schuldspruch kam.

Den beiden konnte vorgeworfen werden, dass sie ein mit Freistellungserklärungen verbundenes Risiko von fast acht Milliarden Euro, das nun den Berliner Haushalt belastet, nicht in die Jahresabschlussbilanz schrieben. Allerdings wurde Bilanzfälschung in Deutschland vorher nie angeklagt, und überhaupt zieht das Gericht erstmals Manager persönlich zur Verantwortung. Deshalb gehen die Verteidiger in die Revision, sie plädieren für Freispruch. Die Strafe ist ohnehin gering: zusammen knapp 150.000 Euro Geldstrafe. Mehr glaubte das Gericht nicht tun zu können. Es wagte vielleicht schon zu viel. Aber hier, wo es interessant wird, fällt die beobachtende Öffentlichkeit in ein seltsam tiefes Schweigen.

Warum muss ein Gericht sich mit einer Gesetzeslage abquälen, die es so rücksichtslosen, gemeinschädlichen Managern so extrem leicht macht? Warum werden nicht andere Gesetze beschlossen? Denn der Berliner Bankenskandal ist nicht in jeder Hinsicht ein Einzelfall. Allgemein daran ist das Staatsinteresse, Großunternehmen, besonders Banken, ob sie nun privat oder in Staatshand sind, zur Abwendung öffentlichen Schadens den Bankrott zu ersparen, sie lieber mit Steuermitteln zu sanieren. Dies Interesse ist wohlbegründet. Aber es könnte Gesetze geben, die das gescheiterte Privatunternehmen dann unter Staatskontrolle stellen; für Manager, die eine Staatsbank verantwortungslosen Risiken aussetzen, könnte es die Drohung geben, dass sie mit ihrem gesamten Privatvermögen dafür einstehen und hohe Haftstrafen verbüßen.

Dass solche Gesetze nicht beschlossen werden, dafür gibt es einen Namen: Klassenjustiz. Klassenjustiz ist keine Marotte von Karl Marx, sondern eine altehrwürdige Institution. Im Römischen Reich traf die Täter jahrhundertelang ganz offiziell ein unterschiedliches Strafmaß bei gleichem Vergehen, je nach dem, ob sie der Oberschicht angehörten oder nicht. Die heutige mehr verhüllte, doch ebenso wirksame Methode geht aufs 19. Jahrhundert zurück. Seitdem werden Eigentumsdelikte einseitig hart kriminalisiert. Solche können Decken und Zellen nicht vorgeworfen werden. Aber was ist ein Diebstahl gegen eine Aktie?


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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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