Klaus Jürgen Rattay

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Der Name Rattay tauchte vor wenigen Wochen in einem Freitag-Artikel über Jugendproteste früher und heute auf; da erinnerte ich mich, dass ich selbst vor zwanzig Jahren über ihn geschrieben habe. Rattay starb vor genau dreißig Jahren, und sein Tod ist der Erinnerung wert. Ich würde ihn zwar nicht in den Kontext der Jugendproteste stellen, die sich heute zu regen beginnen. Diese sind eine Folge der Weltfinanzkrise. Radikaler Protest, weil die Politiker die Wurzeln des Übels nicht antasten, ist das Gebot der Stunde, und es war in solchen Situationen immer die Jugend, die damit den Anfang machte. Um dergleichen handelte es sich damals nicht. Die Westberliner Hausbesetzerszene war vielmehr eine Facette der Neuen Sozialen Bewegungen, die damals ihre Blütezeit hatten. Das war die Zeit, in der die Friedensbewegung gegen die "Nachrüstung" der NATO, die Stationierung neuer Atomwaffen in Westdeutschland kämpfte und in der die Grünen in den Bundestag einzogen. Nein, wer den Bogen zu heute schlagen will, sollte sich eher dafür interessieren, wie sich Linke zur SPD einerseits, zur CDU andererseits verhalten. Denn das ist ein altes Lied: Die SPD kann machen, was sie will, immer hält man sie für das kleinere Übel. Den Artikel, den ich über Rattay schrieb, gebe ich unverändert wieder, so, wie er am 20.9.1991 in dieser Zeitung erschien (Freitag 39/1991, S. 11):

Bis Ultimo

Vor zehn Jahren, am 22. September 1981, kam der Hausbesetzer Klaus Jürgen Rattay ums Leben

Er war in den Menschenpulk verwickelt, der gegen eine Hausräumung im Westberliner Bezirk Schöneberg protestierte. Die Polizei drängte den Pulk ab und Rattay geriet auf die Fahrbahn der Potsdamer Straße. Unter den Rädern eines Busses auf Betriebsfahrt, der nicht vor ihm bremste, starb er. Nachruf von Eberhard Diepgen, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, am 30. September: "Das jetzt veröffentlichte Interview mit dem bei der Demonstration am 22. September ums Leben gekommenen Klaus Jürgen Rattay zeigt mit erschreckender Deutlichkeit: Durch die unter dem Senat Vogel rapide gestiegene Zahl von Hausbesetzungen ist Berlin zu einem Anziehungspunkt geworden für junge Menschen, die keine Lust zum Arbeiten haben, ihre Zuflucht zu Drogen nehmen und sich in der Hausbesetzerszene ebenso wie auf Gewaltdemonstrationen wohlfühlen." Tatsächlich hatte Rattay zwei Tage vor seinem Tod mit Reportern eines Fernsehmagazins gesprochen. Die Behauptung, er habe "keine Lust zum Arbeiten" gehabt, wird vom Interview-Text nicht gestützt. Der 18jährige hat vielmehr, wie alle Hausbesetzer, zwischen zwei Arten von Arbeit unterschieden: Arbeit unter fremder Aufsicht ("weil mir das auch stinkt, weil man dauernd unterdrückt wird von anderen Wichsern am Arbeitsplatz, vom Meister und so") und jene andere Arbeit, die "Instandbesetzung" genannt wurde ("deshalb bin ich auch nach Berlin gekommen, um gleichzeitig mitzuarbeiten, mitzuhelfen, um auch gleichzeitig auf Demonstrationen dran teilzunehmen").

Auf der Potsdamer Straße wurde um das Andenken des Toten gekämpft. In der taz erschien ein Foto von Polizeistiefeln, die das symbolische Grabmal, ein Blumenquadrat am Rand der Fahrbahn, zertrampelten. Am nächsten Tag waren die Blumen und die Kerzen wieder da. Menschen stellten sich schützend um sie herum. Ich hörte, wie in der U-Bahn ein distinguierter älterer Herr sich bei einem anderen Fahrgast nach dem Weg zum Trauerort erkundigte. Antwort, im vollbesetzten Waggon: "Da jibts nischt zu sehen." Nach einer Woche bat Diepgen Heinrich Lummer, den Innensenator, der die Räumung organisiert hatte, er solle "die Beeinträchtigungen des Verkehrs" beseitigen lassen. Man müsse zwar "davon ausgehen", sagte Diepgen laut Tagesspiegel, daß "viele", die "dort lagern", Trauernde seien. Doch könne "auf Dauer nicht hingenommen werden, daß dadurch 'Zigtausende Berliner' täglich behindert würden". Es gab viel weniger Autos als heute (1980 23, 1990 31 Millionen Autos in Westdeutschland), aber die Potsdamer Straße war in der Tat schon beträchtlich verstopft und wurde es durch die Totentrauer noch mehr.

"Und niemand sollte sich der Hoffnung hingeben", schrieb die Frankfurter Rundschau, "er könne die Provokationen des Staates folgenlos bis ultimo treiben. Das sollen dann gefälligst jene allein ausbaden", rief sie dem toten 18jährigen hinterher, "die heute keinem Argument mehr zugänglich sind und alle Warnungen in den Wind schlagen."


Antigone. Ein Bruder liegt dort und kein feiler Knecht!
Kreon. Ein Landesfeind, kein Schirmherr dieser Stadt!
Antigone. Und doch verlangt der Hades gleiches Recht.
Kreon. Nicht für den guten und den schlechten Mann!
Antigone. Wer weiß, ob dies dort drunten heilig ist?


Der Häuserleerstand in Westberlin war nach der wohnungspolitischen Wende von 1977 noch wesentlich verstärkt worden. Die infolge der Ölkrise geschrumpften Haushaltsgelder wurden von der Finanzierung neuer Stadtrandviertel umgelenkt auf Sanierungsarbeiten in der Innenstadt. Stadtarchitektonisch war das ein Fortschritt. Aber zur Durchführung der Arbeiten mußte entmietet werden. Erst wenn der letzte Mieter den Ersatzwohnraum akzeptiert hatte, den man ihm von Rechts wegen anbieten mußte, konnte mit der Modernisierung der Häuser begonnen werden. Das Problem war, daß sie oft auch dann noch nicht anfingen, weil Spekulanten sich ihrer bemächtigten.

Von den 100 000 neuen Wohnungen, die nach Vorgabe der Berliner Stadterneuerungsprogramme von 1963 bzw. 1971 gebaut werden sollten, waren 1979 erst 16 000 fertig. Andererseits standen 1100 Häuser mit 10 000 Wohnungen leer. Es gab 80 000 Wohnungssuchende.

Die Besetzer zogen in solche Wohnungen ein und sanierten sie auf eigene Faust. Bis Ende Mai 1981 haben sie 165 Häuser übernommen. Der gegen sie geschürte Haß stützt sich vor allem auf die Behauptung, sie seien "an der Schlange der Wohnungssuchenden vorbei" eingezogen, so formuliert zum Beispiel der Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der CDU, Kunz, am 13.4.81. Doch das stimmt nicht. Hans-Jochen Vogel [SPD], Regierender Bürgermeister zwischen Januar und Juni 81, schlägt am 7.3. jedem Interessierten vor, sich bei den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften als Mieter für eine der leerstehenden Wohnungen zu bewerben. Anderthalb Monate später meldet der Tagesspiegel, daß nur 30 von knapp 2000 Bewerbern "auf Grund des vorhandenen Bestands ein konkretes Angebot gemacht werden" konnte. Den Arbeitsidealismus der Besetzer bringen sie nicht auf. Die Besetzer weisen auf andere Zahlen hin: Zur Sanierung von 1500 Wohneinheiten sind für 1981 138 Millionen DM vorgesehen - einen fast ebenso hohen Betrag, nämlich 115 Millionen DM, hat der Senat gerade im Skandal um den Wohnraumspekulanten Garski verloren. Man sollte annehmen, daß der Haß der Berliner sich nicht gegen Klaus Jürgen Rattay, sondern gegen diesen Mann gerichtet hätte, der seine Bürgschaften aus Steuergeldern in Saudi-Arabien verpraßte. Aber als Rattay starb, war gegen Garski, dessen Betrug neun Monate vorher aufgeflogen war, nicht einmal schon Anklage erhoben.

Zu den ersten Hausbesetzungen in Westberlin kommt es Ende 1979, die Hausbesetzerbewegung entsteht erst mit dem Fall Garski. Am 12.12.80 werden Garskis Büroräume und Wohnung von der Polizei durchsucht, gleichzeitig räumt die Polizei ein besetztes Haus und verhindert die Besetzung eines anderen. Nach diesem symbolträchtigen Zusammentreffen kommt es abends und nachts und noch am Morgen des 13.12. bis halb Fünf zu Straßenschlachten. Während niemand Garski behelligt, verurteilt ein Gericht schon im Januar einen 24jährigen Demonstranten zu anderthalb Jahren Gefängnis ohne Bewährung. Im zweiten Prozeß, ebenfalls noch im Januar, äußert eine Richterin, die Geschichte habe gelehrt, daß es nie gut gewesen sei, "dem Mob der Straße nachzugeben". Im Urteil des sechsten Prozesses, 19. März, ein Jahr ohne Bewährung für einen 22jährigen Studenten wegen einiger Steinwürfe auf Scheiben und Autos, ist zu lesen, daß die Strafe ungeachtet der positiven Persönlichkeit des Angeklagten vollstreckt werden müsse, weil "die Verteidigung der Rechtsordnung und die Abschreckung anderer" es gebiete. In Neuß wird gleichzeitig der Fall eines Polizisten verhandelt: Erschießung eines Autofahrers mit der Maschinenpistole ohne vom Gericht akzeptierten Anlaß - sieben Monate mit Bewährung.

Man kann sich die Wut der schnell wachsenden Besetzerbewegung vorstellen. Trotzdem ist ihre Politik anfangs nicht radikaler als die Kommentare der liberalen Presse, nur daß diese in die Tat umgesetzt werden. Der Senat unter Stobbe [SPD] muß abtreten, Hans-Jochen Vogel übernimmt dessen Amt mit einer neuen Mannschaft, die Verständnis für die Besetzer äußert. Doch während deren Einfluß auf die liberale Öffentlichkeit immer mehr wächst, bis dahin, daß der Verfassungsrichter Simon sich ihrer Forderung nach Amnestie für die angeklagten Demonstranten anschließt - wenn die Rechtsordnung "amnestieähnliche Maßnahmen" verbiete, sagt er, müsse sie eben weiterentwickelt werden, wie sie ja auch sonst in Entwicklung sei -, arbeitet die Staatsanwaltschaft der Abteilung P beim Landgericht, P für "Politik", schon an der weiteren Verschärfung des Konflikts.

Anfangs hat sie viel Mühe, die Fälle von Hausbesetzung an sich zu ziehen. Sie muß den Besetzern ein politisches Delikt vorwerfen können, obwohl allenfalls Hausfriedensbruch geübt wird, in Bruchbuden, aus denen Häuser überhaupt erst gemacht werden. Die Behauptung der Staatsanwälte, es handle sich um "Bildung einer kriminellen Vereinigung" nach § 129 StGB, wird noch im März und April 81 von Ermittlungsrichtern als absurd zurückgewiesen. Erst am 29.4. gelingt angesichts eines Hauses, das sich der polizeilichen Durchsuchung als "festungsartig ausgebaut" dargestellt hat, der Durchbruch. Schon vorher nutzt die Abteilung P die ihr zustehende Kontrolle über die Polizei, sie soll nämlich auf gleichmäßige Handhabung des Rechts unabhängig von politischen Tagesentscheidungen achten, zum offenen Machtkampf mit dem neuen SPD-Senat. Weil Innenminister Dahrendorf und Polizeipräsident Hübner bestimmte Polizeiaktionen, die von den Staatsanwälten gefordert worden waren, nicht zulassen, leiten diese wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt Ermittlungsverfahren ein. Sie erscheinen persönlich bei Hausdurchsuchungen und versuchen die Polizei unmittelbar zu befehligen.

Da sie Teile der Polizei auf ihre Seite ziehen und von der Führung der Polizeigewerkschaft unterstützt werden, entgleitet dem SPD-Senat bis zum Wahltag zunehmend die Kontrolle über das Straßengeschehen. Viele Beobachter wundern sich, daß die Polizei oft wie untätig "zusieht", wenn am Kurfürstendamm diverse Schaufenster von den wütenden Hausbesetzer-Demonstranten zertrümmert werden. Die CDU-Propaganda und die Mehrzahl der Westberliner legt dies dem Senat zur Last und wählt ihn ab.

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In die Situation des 22. September sind die Besetzer jedoch nicht gekommen, weil ihre Wut sie bis zu diesem Zeitpunkt zu Desperados gemacht hätte, die "keinem Argument mehr zugänglich sind". Weder die Abteilung P noch die drakonischen Richter und nicht einmal die Polizei haben sie dahin gebracht, denn in ihrem sonst etwas zu einfachen Weltbild machen sie sich gerade über "Staatsapparate" keinerlei Illusionen. Zum Verhängnis wird ihnen viel eher, daß sie die Logik der Parteienkonkurrenz nicht durchschauen.

Als Richard von Weizsäcker nach dem Wahlsieg im Mai zum Chef eines Minderheitssenats gewählt worden ist - das Ende der sozialliberalen Ära beginnt in Westberlin: eine Koalition von SPD und FDP mit der erstmals vertretenen AL [Alternativen Liste] ist unmöglich; die FDP kann noch nicht so schnell zur CDU überlaufen, "toleriert" sie aber -, gibt es keine neuen Hausbesetzungen mehr. Aber sonst ändert sich an der Senatspolitik nichts. Nach wie vor gilt die "Berliner Linie", wonach eine besetzte Bruchbude nur von der Polizei geräumt werden darf, wenn der Besitzer Anzeige erstattet und unverzüglich mit eigenen Instandsetzungsarbeiten anfängt. Das ist nur, was der Paragraph über Hausfriedensbruch vorschreibt: harmloses Delikt, harmlose Exekution. Aber die Besetzer nehmen dem Einserjuristen Hans-Jochen Vogel ab, daß die "Berliner Linie" ein Erzeugnis politischer Steuerungskunst sei, das sich durch typisch sozialdemokratische Milde auszeichne. Nach dem 22. September nehmen sie ihm infolgessen auch ab, der Tod Rattays sei darauf zurückzuführen, daß Weizsäcker und Lummer die "Berliner Linie" verlassen hätten. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Die Räumungsaktion des CDU-Senats am 22. September macht eine ganz ähnliche Aktion des Vogel-Senats vom 9. März nach, mit dem Unterschied nur, daß der CDU-Senat seine Aktion vorher ankündigt, der SPD-Senat nicht.

Der Ärger der Besetzer über Vogels Räumungsaktion im März hält sich in Grenzen, weil sie vor allem seine Abwahl fürchten. Die Berliner Stimme, sozialdemokratische Parteizeitung, bestärkt am 1.5. die Furcht: "Die Besetzer, die immer noch glauben, bei einem CDU-Senat nach dem 10. Mai könnten sie weitermachen wie bisher, sind entweder hoffnungslos naiv oder warten auf die 'große Schlacht'. Das würde allerdings ihre letzte sein." Die Besetzer lassen es sich sagen, es kommt erstmals zu Verhandlungen und bald ist eine Vereinbarung über die Legalisierung der Besetzungen in den Grundzügen fertig. Aber so eilig hat es die SPD nun auch wieder nicht. Nachdem die Besetzer in einer Urabstimmung für die Verhandlungslösung gestimmt haben, sagt der Senat am 5.5., vor der Wahl einen Vertrag abzuschließen sei "völlig unrealistisch". Noch nach der Wahl hätte der Vertrag unterzeichnet und von der Mehrheit des Abgeordnetenhauses aus SPD, FDP und AL beschlossen werden können, denn am 7.6. lesen wir, ein Vertragstext über ein Treuhandmodell sei unterschriftsreif. Am 11.6. übernimmt Weizsäcker die Geschäfte; er lehnt das Treuhandmodell ab.

Am 17.7. fordert das DGB-eigene, also der SPD nahestehende Wohnungsbauunternehmen "Neue Heimat" die Besetzer einiger Häuser zur Umsiedlung auf. Am 22.7. setzt sie eine Dreiwochenfrist und hat zu diesem Zeitpunkt schon Strafanträge gestellt, so daß laut "Berliner Linie" geräumt werden kann. Am 31.7. kündigt Rastemborski, der neue Bausenator, die Räumung noch ohne Datum an. Die Besetzer sehen darin die CDU-typische "Kriegserklärung" des neuen Senats und reagieren mit einer Art Mobilmachungs-Plan, der TUWAT-Aktion, die darauf zielt, für die Sommermonate auswärtige Unterstützung zu holen. Die ungebrochene Unterstützung der liberalen Öffentlichkeit hat jetzt fatale Folgen. Prominente "Paten" werden beim Senat vorstellig, reden ihm ins Gewissen und kommen mit einem SPD-typischen Mißverständnis zurück.

Heinrich Albertz berichtet am 18.8., Weizsäcker habe zugestanden, "daß kein besetztes Haus mehr von der Polizei geräumt werde, ohne daß Verhandlungen über das betreffende Haus und über das Konzept der Instandbesetzer durchgeführt werden", so Die Neue am 25.8. "Die Vertreter der Patenschaften und Solidaritätsgruppen sind der Meinung, daß keine Häuser geräumt werden, solange der Senat keine Gesamtlösungen für die Sanierungs- und Modernisierungspolitik, insbesondere der leerstehenden aber nutzungsfähigen Häuser vorlegt." Die Linken begreifen nicht, daß Weizsäcker keine "Gesamtlösung" nach Art des Treuhandmodells vorschwebt, wenn er "über das betreffende Haus" verhandelt. Dabei hat Rastemborski schon Ende Juni deutlich gesagt, man werde nur über "Einzellösungen" verhandeln. Es kommt bei den Sozialdemokraten nicht an, sie begreifen den Unterschied gar nicht. Da ist ein Graben zwischen den Parteidiskursen, über den keine Kommunikation trägt: Im Denken der CDU kann der Staat mit Besetzern bestenfalls wie eine Behörde mit Bittstellern "verhandeln", die immer "einzeln" sind. Nur die SPD stellt sich, theoretisch wenigstens, vor, daß gesellschaftliche Kräfte gleichberechtigte und kollektive Verhandlungspartner des Staates sein können. Sie sieht den DGB als einen solchen Partner an.

Tagesspiegel, 23.8.: "Rastemborski und Lummer sagten, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß nach sorgfältiger Einzelprüfung besetzte Häuser geräumt werden müßten, sofern die Voraussetzungen der 'Berliner Linie' für sie erfüllt seien. Beide wiederholen das Angebot des Senats, in jedem Falle aber zuvor mit den Besetzern zu sprechen, um auch nach Ausweichquartieren gemeinsam zu suchen." Ein liberaler Mitdiskutant verweist "in diesem Zusammenhang" auf das Treuhandmodell. "Trotz einiger Störversuche stellte Pfarrer Duntze am Schluß der Diskussion fest, die Kontrahenten hätten einander zugehört." Die Sozialdemokraten begreifen nicht, daß die CDU-Senatoren ihre "sorgfältige Prüfung" mit dem Ersatzwohnraum, den die "Neue Heimat" den Besetzern anbietet, schon abgegolten hat. Als Lummer die Besetzer am 16.9. ultimativ auffordert, die betreffenden Häuser "bis zum Wochenende", d.h. innerhalb von vier Tagen zu verlassen, glauben die liberalen Paten, ein Teufel habe nun seine Maske fallen lassen.

Sie ziehen als freiwillige Geiseln in die Häuser ein, die dadurch noch mehr zu militärischen Festungen werden. Aber gerade militärisch sind die Festungen nicht haltbar. An diesem Wochenende wird Rattay interviewt, keineswegs weil die Reporter des Fernsehmagazins ihn für einen unbelehrbaren Idioten halten; sie sympathisieren mit ihm. Lummer, der Teufel, zögert noch bis zum Dienstag, er wartet ab, ob das DGB-Unternehmen auf seiner Montagssitzung die Strafanzeigen zurückzieht. Das geschieht nicht. Er gibt daher den Räumungsbefehl.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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