Der Aufstieg der AfD hat zu Landtagswahlergebnissen geführt, die höchst ungeliebte Regierungsbündnisse zeitigen. Am meisten schmerzt die in Sachsen-Anhalt entstandene Koalition: Während man sonst immer fragte, ob für die Grünen weiterhin die SPD die bevorzugte Partnerin ist oder ob die Grünen inzwischen mehr zur CDU neigen, tun sie sich nun mit beiden gleichzeitig zusammen. Die Not treibt, denn anders scheint keine Mehrheit gegen die AfD im Landtag zustande zu kommen. Die AfD hat aber auch durch diese Koalitionen ihren Vorteil. Seht mal, kann sie sagen, das ist eine Einheitspartei und Einparteienherrschaft. Wir haben es endlich ans Licht gebracht! Durch diese Scheinevidenz wird sie noch stärker.
Eingestanden unterschiedslos
Nicht ganz so dramatisch ist es in Rheinland-Pfalz. Da kommt es zwar erstmals zur Ampel-Koalition, die wird aber längst schon diskutiert und ist ja dazu da, die übliche Konstellation aufrechtzuerhalten, in der entweder die SPD oder die CDU in die Opposition geht. Außerdem hatte die FDP in Rheinland-Pfalz die Ampel vor der Wahl nicht ausgeschlossen, anders als die Liberalen in Baden-Württemberg. Und auch dort bleibt es beim Üblichen, dort opponieren nun SPD und FDP, zwei etablierte demokratische Parteien. Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Denn es ist nicht zu leugnen, dass in Rheinland-Pfalz SPD und Grüne ungern mit der FDP koalieren, und dass die baden-württembergischen Grünen mindestens behaupten, sie hätten lieber mit der SPD weiterregiert. Es sieht deshalb wirklich so aus, als wäre es der AfD gelungen, fast alle demokratischen Parteien – mit Ausnahme der Linken - zum Eingeständnis der Unterschiedslosigkeit zu zwingen.
Die AfD kann sich aber nicht nur nachträglich bestätigt fühlen. Schon dass sie überhaupt entstanden ist, lässt sich auf einen Abstand von CDU und SPD zurückführen, der nicht nur in der Einbildung immer mehr geschrumpft ist. Hat doch spätestens Bundeskanzler Gerhard Schröder, gestützt von den Grünen, wie in einer informellen Großen Koalition regiert. Und wenn er vielleicht glaubte, er verewige die SPD-Herrschaft, indem er der Union die Themen stehle, so hat nach ihm Angela Merkel gezeigt, dass sie noch besser stehlen kann. Mit ihrer Sozialdemokratisierung der CDU marginalisiert sie nicht nur die SPD, sondern ermöglicht auch die Gründung einer rechten Partei aus Leuten, die sich in der CDU nicht mehr heimisch fühlen. Der leichte Linksruck der CDU ist sicher ein erfreuliches Phänomen. Mit ihm hat sich die politische Atmosphäre im ganzen Land ein wenig verbessert. Aber nun muss man mit der dadurch entstandenen Gefahr fertigwerden.
Geschichtliche Erinnerung macht das Problem deutlicher. Solange es die Bundesrepublik gibt, haben Große Koalitionen zu Abspaltungen am Rand der CDU und der SPD geführt. Das hatte immer eine gute und eine gefährliche Seite. Das erste Beispiel ist die Regierung des Christdemokraten Kurt Georg Kiesinger zwischen 1966 und 1969. Fast hätte sie den Einzug der NPD in den Bundestag zur Folge gehabt. Auf der Gegenseite brachte sie die Außerparlamentarische Opposition der 68er-Bewegung mit hervor. Dabei waren SPD und CDU, ob sie nun koalierten oder nicht, in dieser Zeit noch so deutlich verschieden, dass es eigentlich jede und jeder hätte erkennen müssen. Man sah es ja anschließend, als Willy Brandt eine SPD-FDP-Regierung führte und die CDU versuchte, sie noch während der ersten Legislaturperiode zu stürzen. Die FDP jedenfalls hatte es begriffen, denn gerade wegen der Großen Koalition konnte ihr sozialliberaler Flügel die Parteiführung erlangen, die vorher der nationalliberale innegehabt hatte, und auf das Bündnis mit der SPD hinsteuern. Erfreuliche und unerfreuliche Folgen der Großen Koalition hielten sich also die Waage.
Man wird es auch nicht unerfreulich finden, dass Gerhard Schröders Zusammenarbeit mit der CDU, die sich in den Hartz-IV-Gesetzen niederschlägt, zur Gründung der Linkspartei führte. Aber um wie viel fataler ist die Lage heute: Während die NPD den Sprung in den Bundestag 1969 knapp verpasste, ist für 2017 zu erwarten, dass die AfD möglicherweise zweistellig in ihn einzieht. Wie Sachsen-Anhalt zeigt, verliert die Linkspartei massiv Wähler und Wählerinnen an sie. Die Linke wenigstens bleibt überall Opposition. Aber dass die anderen demokratischen Parteien sich so in die Wagenburg drängen lassen – gibt es keine klügere Antwort auf AfD-Erfolge?
Es gibt eine. Es hätten in allen drei Bundesländern Minderheitsregierungen gebildet werden können, die entweder mit wechselnden Mehrheiten innerhalb des demokratischen Spektrums oder als tolerierte regiert hätten. Wäre das geschehen, würde potenziellen AfD-Wählern sinnfällig vorgeführt, dass die demokratischen Parteien verschieden sind und bleiben – CDU und SPD immer weniger, Linke, Grüne und FDP aber weiterhin – und dass die AfD ihren Streit, den demokratischen Prozess, nicht erschweren oder gar lahmlegen kann. Und es wäre machbar! Wenn diese Parteien sich jetzt sogar auf Koalitionen einlassen, sind sie doch erst recht zur Tolerierung oder zu wechselnden Mehrheiten fähig. Ja, es würde ihnen besser bekommen. Die CDU in Baden-Württemberg zum Beispiel bräuchte nicht zu befürchten, durch die Koalition mit den Grünen genauso dezimiert zu werden, wie es dort zuletzt der SPD ergangen ist.
Gehen wir die drei Fälle durch. Die Weichenstellung für Grün-Schwarz in Baden-Württemberg ist noch am ehesten nachzuvollziehen. Dass die CDU sich darauf einlässt, versteht man zwar weniger, aber dass die Grünen sich die Vorführung dieses Juniorpartners nicht entgehen lassen, ist klar. Aber möglich wäre es schon gewesen, die grün-rote Koalition fortzuführen und mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. Es wäre das Düsseldorfer Modell gewesen, die erste Regierung der Sozialdemokratin Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen, die gerade auch in der Mehrheitsbeschaffung gut funktioniert hat. Meistens wurde diese Minderheitsregierung aus SPD und Grünen von der Linkspartei unterstützt, einmal aber auch von der CDU gegen die Linkspartei und einmal von der FDP gegen die CDU. Den Haushalt trug zweimal die Linkspartei mit, beim dritten Mal wäre die FDP eingesprungen, hätte nicht die Regierungskoalition Neuwahlen vorgezogen.
Koalieren CDU und Linke?
In Rheinland-Pfalz hätte eine Fortführung der rot-grünen Koalition als Minderheitsregierung wirklich nahegelegen. Nur in Sachsen-Anhalt liegt der Fall komplizierter, aber selbst da wären andere Wege möglich und besser gewesen. Eine fortgeführte CDU-SPD-Regierung könnte zwar nicht mit wechselnden Mehrheiten regieren, weil sie mit der AfD nicht übereinstimmen will und jede andere Mehrheit von links käme. Dann wäre aber immer noch die Tolerierung geblieben, nach dem Vorbild des einheimischen Magdeburger Modells. In den 1990er Jahren hatte sich eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Reinhard Höppner von der PDS tolerieren lassen – diesmal könnte eine schwarz-rote Regierung von den Grünen oder noch besser von Grünen und Linkspartei toleriert werden. So hätten sich alle demokratischen Parteien von der AfD distanziert, zugleich aber ihre Verschiedenheit untereinander herausgestellt.
Noch besser wäre es übrigens gewesen, man hätte auf Gregor Gysi gehört. Der frühere Fraktionsvorsitzende hatte den sensationellen Vorschlag einer Koalition von CDU und Linkspartei unterbreitet. Sie hätte im Landtag über eine Mehrheit von zwei Sitzen verfügt, SPD und Grüne wären demokratische Opposition geworden. Ein bemerkenswerter persönlicher Lernprozess steht hinter der Idee, denn gerade Gysi konnte während seiner ganzen Führungszeit die Vorstellung nicht überwinden, das Schicksal seiner Partei sei auf Gedeih und Verderb mit dem der SPD verknüpft. Große Teile der Linken lehnten sogar dieses Bündnis ab und folgten Gysi deshalb nicht – niemand konnte sich aber eines mit der CDU vorstellen. Nun sieht er weiter: „SPD oder CDU“, ist das denn so wichtig wie auf Seiten der Flüchtlinge zu stehen? Nein! Es war auch nie wichtiger, als für Ökologie einzustehen. Nicht nur Gysi lernt, alle anderen müssen es auch tun – die meisten aber, so scheint es, lernen zur Zeit das Falsche.
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