Korrumpierte Öffentlichkeit

Fischer vor dem Visa-Ausschuss Argumente sind in den Wind gesprochen

Ein gejagter Prominenter vor dem Untersuchungsausschuss, das konnten wir gerade in dem Film Aviator besichtigen. Howard Hughes wird vorgeworfen, sein Unternehmen habe Flugzeuge für den Weltkrieg nicht geliefert, aber er macht seinen Richter, den Ausschuss-Vorsitzenden, zum Angeklagten, indem er zurückfragt: Warum werde nur ich beschuldigt, obwohl die Konkurrenzfirma auch nicht geliefert hat? Der Vorsitzende ist nämlich von der Konkurrenzfirma bestochen. Warum räumt man sonst ein, dass es Liefer-Probleme geben kann, während man mich zum Bösewicht stilisiert? Die anwesende Presse begreift das falsche Spiel des Vorsitzenden, und Hughes hat gewonnen.

So läuft es in der Realität nicht, obwohl man gerade Joschka Fischer nachsagt, er könne sich blendend medial inszenieren. Ein Professor, den der Fernsehsender Phoenix in einer Sitzungspause des Visa-Ausschusses befragt, hat nur eine Fernsehdidaktik des Außenministers bemerkt. Fischer habe die Zuschauer daran teilnehmen lassen, wie er nach und nach Einsicht in die Probleme genommen und sie dann zu lösen versucht habe. Für den Ausschuss sei dabei nichts herausgesprungen. Dieser Professor sagt im Kern dasselbe wie alle anderen: Fischer will mit seinem starken Ich punkten. Das stimmt natürlich auch für Hughes. Ein stärkeres, von mehr Eigenart, Eitelkeit und Arroganz besessenes Ich als das von Hughes wird man schwer finden. Und doch orientiert der Film nicht darauf, in der Politik nur auf Psychologie zu achten und nicht auch auf Argumente. Man müsste ihn sonst korrupt nennen. Er weckt freilich den falschen Eindruck, jemand brauche nur schlagend zu argumentieren, und schon lasse die Öffentlichkeit sich überzeugen.

Was Fischer zu sagen hat, ist es so schwer zu begreifen? Das Außenministerium wollte die Reisefreiheit fördern, nicht zuletzt um Einreisende aus Osteuropa politisch zu beeinflussen. Die politische Entwicklung in der Ukraine sei auch hierauf zurückzuführen. Fischer sagt dem Ausschuss, eine ähnliche Entwicklung wolle er in Weißrussland herbeiführen. Also muss die Reisefreiheit auch in Zukunft gefördert werden. Selbstverständlich geschieht und geschah das im Rahmen der Rechtslage und möglichst unter Vermeidung des Missbrauchs, der darin besteht, dass Einreisende nicht wieder zurückreisen. Das Problem ist, eine absolut sichere Missbrauchsvermeidung wäre nur durch die Abschaffung der Reisefreiheit zu erreichen. Das will niemand, daher bleibt nur der ständige Versuch, den Missbrauch zu minimieren. Dieser Versuch wird im Rollenspiel unternommen: Dem Außenministerium geht es mehr um Reisefreifreiheit - aus dem genannten Grund -, dem Innenministerium mehr um Missbrauchsvermeidung.

Streit und ständige Vorstöße von beiden Seiten sind damit vorprogrammiert. Weil das schon zu Kinkels und Kanthers Zeiten nicht anders als heute war, ist es eher lächerlich, wenn sich die Opposition auf Otto Schilys Einwände gegen den "Volmer-Erlass" beruft, als seien die Ansichten des heutigen Bundesinnenministers unfehlbar. Ludger Volmer wollte gegen Schily mehr erreichen, als Kinkels Ministerium gegen Kanther erreicht hatte, und mehr noch, er gibt es offen zu - das missfällt der Opposition, eine Aushebelung des Rechts ist es dennoch nicht. Rechtsbeugung wurde vielmehr Kanther nachgewiesen. Davon sprach aber niemand. Bis hierher tat man wohl nur so, als verstünde man nicht. Doch Fischers Sicht der eigenen Fehler schien auch die Gutwilligsten zu überfordern. Er habe sich lange um das Ausmaß des Visamissbrauchs nicht gekümmert, sagte Fischer. Der Grund sei seine falsche Perspektive auf den Missbrauch gewesen. Er habe nämlich geglaubt, es gebe nicht genug Mitarbeiter und Räumlichkeiten zur Prüfung der Visa-Anträge. Für die Abstellung dieses Missstands habe er sich eingesetzt.

Das sei eine Fehlwahrnehmung des Problems gewesen, doch habe er sie seinerzeit mit allen Landesinnenministern, auch denen der Union, geteilt. Als er eingesehen habe, dass das Problem nicht in der Mitarbeiterzahl lag, sei der vierteljährliche Bericht aus den Botschaften und die jedesmalige Auswertung im Außenministerium eingeführt worden. Nun könne man ungewöhnliche Entwicklungen in einzelnen Botschaften sofort erkennen und den Ursachen schnell nachgehen. Dass Fischer die Problemsicht "zu wenige Mitarbeiter" als Fehler einräumte, sich gleichwohl gegen die Skandalisierung des Fehlers wehrte und wiederum für den Fehler die Verantwortung übernahm - das war zu viel. Fischer hat gestanden, lautet das Resümee. Jetzt lässt er sich informieren, warum hat er nicht von Anfang an für Information gesorgt? Dabei hatte Fischer hierauf immer wieder geantwortet: Er sah ja gar keinen Informationsmangel, da er mit seiner Problemsicht im Bilde zu sein glaubte. Einerseits. Andererseits hätte er Informationen, die gekommen wären, einfach in die Problemsicht eingeordnet. Damit wäre auch nichts gewonnen gewesen.

Dass Problemlösung nichts ist, was es gibt oder nicht gibt, sondern dass sie sich entwickelt, indem eine erste Lösung scheitert und nur deshalb eine bessere gefunden wird, die irgendwann auch scheitert - und dass trotzdem einer das Scheitern verantworten muss: selbst Fischers Freunde im Ausschuss konnten das nicht wiederholen und unterstreichen. Aber was will man von ihnen erwarten, wenn sogar jener Professor in dem Versuch, die Entwicklung des Problems zu rekonstruieren, nur den Versuch sah, Fernsehzuschauer kumpelhaft daran zu erinnern, dass er, Fischer, nicht der einzige Mensch sei, der Probleme habe? Der Außenminister ist wahrlich keine Lichtgestalt. Man hätte schon Lust, ihn und die ganze Regierung vom Sockel zu stoßen. Auch muss man seine Methoden, Osteuropa politisch zu beeinflussen, nicht gutheißen, zumal es nicht nur um die Ukraine geht und um Weißrussland gehen wird, sondern auch um den Kosovo gegangen ist. Aber nicht nur, dass wir einen solchen Außenminister haben, ist bemerkenswert, sondern auch dass er in den Wind spricht, wenn er zu argumentieren anfängt. Das könnte in diesem Land auch jedem anderen so ergehen.

SPD und Grüne haben sich verrechnet, wenn sie glaubten, ein Fernsehauftritt würde Fischer entlasten. Vor dem Irakkrieg wollte Saddam Hussein im amerikanischen Fernsehen auftreten. Nehmen wir an, es wäre ihm gestattet worden, und er hätte die Unglaubwürdigkeit derer nachgewiesen, die ihm den Besitz von Massenvernichtungswaffen vorwarfen. Na und? Anschließend hätte Mister Powell gesagt, nun habe Saddam seine Schuld ja eingestanden. So läuft das - und nicht wie in Aviator.


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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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