Eine der interessantesten Eigenschaften der Grünen ist ihr Koalitionsverhalten, das auch jetzt wieder, nach der Bundestagswahl, im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. Früher, das heißt bis 2005, war nichts daran bemerkenswert gewesen. Die Grünen definierten sich als links und definierten „links“ – welches Wort ja nur eine Metapher ist (ursprünglich die Bezeichnung der etwas schwächeren Körperhälfte), und es fragt sich immer, für welche Inhalte sie steht – im Sinne der Homologie „links verhält sich zu rechts wie SPD zu CDU/CSU“. Was zur Folge hatte, dass sie, um links sein zu können, mit der SPD koalieren und sich ihr unterordnen mussten. Die SPD hingegen konnte sich auch mit der CDU/CSU zusammentun, ohne dass dann jemand schrie, sie sei nun rechts geworden. Denn sie war ja der Maßstab. Ein Maßstab bewährt sich nur an sich selber. Die Grünen aber hatten sich von der SPD messen zu lassen. Deshalb passten sie sich Schritt für Schritt dem an, was die SPD als „Politikfähigkeit“ hinstellte.
Als sie endlich in der Bundesregierung angekommen waren – 1998 bis 2005 unter dem Sozialdemokraten Gerhard Schröder -, bedeutete das, dass sie den Kosovokrieg und Hartz IV mittrugen. Von ihrem eigentlichen Anliegen, der Ökologie, konnte sie fast nichts verwirklichen. Das Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) wurde nur durchgesetzt, weil eine beträchtliche Menge von SPD-Abgeordneten darauf drängte. Olaf Scholz, der heute die größten Chancen hat, neuer Bundeskanzler zu werden, unterstützte damals Hartz IV und verteidigte es gegen die SPD-Parteilinke.
Wie die Grünen auf die Erfahrung der rot-grünen Koalition unter Schröder reagierten, ist bekannt: Sie hörten auf, sich an der SPD zu messen. Beanspruchten nun ihrerseits das Recht, in bestimmten Situationen mit der CDU zu koalieren. Als sie 2013 gebeten wurden, in die hessische Landesregierung unter Volker Bouffier (CDU) einzutreten, griffen sie zu. Die SPD war sehr enttäuscht, denn sie wäre auch gern eingeladen worden. Kurzum, die Grünen waren nun für sich selbst der Maßstab. Aber noch mehr zeichnete sich in den folgenden Jahren ab: Sie wollten an überhaupt jeder Regierung teilnehmen, auch wenn der politische Gegensatz zu einem der Partner – wie 2017 zur FDP in der damals angestrebten „Jamaika“-Koalition - noch so groß war. Dieses Verhalten hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst als politisch rational erwiesen, denn es war offenbar geworden, dass die Wähler:innen es billigten. Wenn die Grünen in keiner Regierung viel erreichten, waren nicht sie, sondern die Koalitionspartner schuld.
In der Bundesregierung, die jetzt auf uns zukommt, wird die FDP vertreten sein. Mit ihr, die auf der „Schuldenbremse“ beharrt und Vermögenssteuern ablehnt, wird es natürlich keine ökologische Wende geben. Wenn Scholz trotzdem sagt, er wolle die FDP möglichst auch noch in der übernächsten Bundesregierung dabei haben, wofür spricht das wohl? Und doch, selbst in einer solchen Konstellation können die Grünen Sinnvolles tun. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Tempolimit auf deutschen Autobahnen kann endlich eingeführt werden. Es muss nur öffentlich bekannt werden, was davon abhängt. Wie Carl Waßmuth und Winfried Wolf in ihrem Buch Verkehrswende (Köln 2020) gezeigt haben, ließen sich bei einem Limit von 120 km/h jährlich hunderte Tote und Schwerverletzte sowie rund drei Millionen Tonnen C02 einsparen. Da es andere Länder mit hoher PKW-Dichte, entsprechend guten Autobahnen und ohne Tempolimit nicht gibt, kommt es zum Rennfahrt-Tourismus nach Deutschland und zum weltweiten Wettrüsten um immer schnellere Autos (somit auch schwerere: SUV). Aber auch dazu, dass andere Länder, wie Österreich und sogar einige US-Staaten, ihre Tempolimits aufweichen.
So stark, mit dem bösen Unsinn aufzuräumen, sollten die Grünen nun doch geworden sein.
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