Die Landung des Roboters „Perseverance“ auf dem Mars hat bei vielen Menschen eine neue Euphorie für unseren Nachbarplaneten ausgelöst. „Perseverance“ ist das Beharren, die Ausdauer. Tatsächlich geht das nun schon seit Jahrzehnten: Die NASA fragt, ob es mal Leben auf dem Mars gegeben hat, und obwohl sich auch nach 50 Jahren, in denen von mehr als 30 Sonden Daten zur Erde übertragen wurden, noch keine Spur davon gezeigt hat, denkt die US-amerikanische Raumfahrtbehörde gar nicht daran, die Frage fallenzulassen. Warum auch, sie hat ja schon vor dem Raumfahrtzeitalter die Fantasie der Menschen beschäftigt. Carl Ignaz Geigers Roman Reise eines Erdbewohners in den Mars erschien 1790. Zu sagen, die NASA beharre auf einer sinnlosen Frage, damit der Geldnachschub für ihre Projekte nicht versiegt, würde das Thema arg verkürzen; nein, sie glaubt wohl selbst daran, und mit ihr viele andere, die das einfach brauchen: Leben nicht nur auf der Erde, sondern auch im Himmel! Meine These ist, dass sich in diesem Glauben die christliche Hoffnung auf ein seliges Leben nach dem Tod in säkularisierter Form wiederholt.
„Unsere Heimat ist im Himmel“, sagt der Apostel Paulus, und vom Autor des Hebräerbriefs erfahren wir den Grund: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Noch in der Kunst der russischen Avantgarde wird das ganz unbefangen wiederholt. „Haben wir einmal den Himmel erlangt“, geht ein Gedicht Kasimir Malewitschs, der das Schlüsselgemälde der modernen abstrakten Kunst, Das schwarze Quadrat, gemalt hat, „so bleibt uns die Aufgabe, alle / EIGENSCHAFTEN GOTTES zu erlangen, d. h. allsehend zu sein, allmächtig und all- / wissend“. Gemälde wie Gedicht sind 1915 entstanden. 1903 hatte der erste wissenschaftliche Raumfahrt-Pionier, Konstantin Ziolkowski, seine Arbeit Die Erforschung des Weltraums mit Raketenkörpern veröffentlicht, die dann unter den futuristischen Künstlern zirkulierte. Der Schweizer Kulturwissenschaftler Felix Philipp Ingold verallgemeinert: „Der Vergleich zwischen dem zum Himmel fahrenden Christus und dem modernen Aviatiker (Flugtechniker) war um 1913, namentlich unter Literaten, gang und gäbe.“ Aber auch das bolschewistische ZK-Mitglied Alexander Bogdanow fantasiert sich in den Himmel, das ist bei ihm die entwickelte sozialistische Gesellschaft: In seinem Roman Der rote Stern (1908), der nach dem Ersten Weltkrieg zum Verkaufsschlager unter deutschen Jungkommunisten wird, fliegt ein Ingenieur zum Mars und findet sie dort.
Die Säkularisierung besteht darin, dass sich der Mensch an Gottes Stelle setzt. Aber ist das nicht begrüßenswert? War das nicht die Forderung von Ludwig Feuerbach und Karl Marx: was religiös in den Himmel projiziert wurde, auf die Erde zurückzuholen? Nur, das geschieht ja nicht – der Blick bleibt auf den Himmel gerichtet. Details von drei bis fünf Millimetern könne man auf den Fotos von „Perseverance“ erkennen, meldet die NASA begeistert. Und was ist zu sehen? Geröll! Es stimmt freilich: Da sich unsere Technik immer weiter entwickelt, könnte dort schon bald eine Mars-Kolonie stehen, etwa nach den Plänen des Silicon-Valley-Kapitalisten Elon Musk. Aber wenn das eine so reizvolle Vision sein soll, warum bauen wir dann nicht zuerst in den irdischen Wüsten solche Kolonien? Das wäre mindestens ebenso zukunftsweisend, da wir ja dabei sind, immer mehr irdischen Kulturboden in Wüsten zu verwandeln. Überhaupt stellt sich die Frage, wie sich die Mars-Hoffnung zu unserer ökologischen Hoffnung verhält. Wenn Geld da ist, sollte es nicht vor allem in den Erhalt der Erde investiert werden? Und so erst wäre Marx richtig begriffen: Der Glaube an den Himmel, hat er geschrieben, ist ein Opiat, mit dem sich Menschen davon ablenken, ihre irdischen Probleme in Ordnung zu bringen.
Man muss nicht beides gegeneinander ausspielen. Dass die Technik den Weg zum Mars zu bahnen vermag, ist schon wirklich irre. Aber man muss auch fragen, wo sie wann am besten eingesetzt werden sollte. Ecology first!
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