Über die Eröffnungsveranstaltung der diesjährigen Berliner MaerzMusik-Festivals habe ich bereits berichtet, hier ist der zweite Bericht und es wird noch ein dritter folgen. Das Festival hat in diesem Jahr eine neue künstlerische Leiterin, die Musikjournalistin, elektronische Musikerin und Kuratorin Kamila Metwaly – im vorigen Jahr schon nahm sie an der Programmgestaltung teil, da noch zusammen mit dem künstlerischen Leiter seit 2014, Berno Odo Polzer. Eine gewisse Verschiebung des Festivalkonzepts war schon 2022 spürbar: Clemens Haustein schrieb da in der FAZ, es gebe nach seinem Eindruck „wieder mehr Musik bei der ‚MaerzMusik‘, nachdem Berd Odo Polzer [...] in der Vergangenheit eher Diskussions- und Gesprächsformate in den Vorderg
MaerzMusik 2023: Zum Raum wird hier die Zeit
Festival Die neue künstlerische Leiterin des Berliner Musik- und Performance-Festivals, Kamila Metwaly, nimmt Praktiken des Hörens in den Blick
Exklusiv für Abonnent:innen

Kamila Metwaly, Künstlerische Leiterin MaerzMusik
Foto: Marlena Waldthausen
;, nachdem Berd Odo Polzer [...] in der Vergangenheit eher Diskussions- und Gesprächsformate in den Vordergrund gestellt hatte“.Tatsächlich hatte Polzer ein „Festival für Zeitfragen“ aus der MaerzMusik gemacht, das sich, neben den Konzert- und Performance-Veranstaltungen, in aufwendigen Seminar-Reihen nicht so sehr mit Zeitgeschichte als damit befasste, was unser Umgang mit der Zeit als Zeit schlechthin ist, und auch eine Performance-Veranstaltung konnte sich manchmal als mündlicher Vortrag entpuppen. Davon ist 2023 nur übriggeblieben, dass unter dem Label „Diskurs & Installation“ eine „Library of MaerzMusik“ eingerichtet wurde, in der sich, wie das Festivalprogramm mitteilt, „Künstler*innen und Publikum in interaktiven Formaten, Vorträgen und künstlerischen Interventionen“ begegneten. Auch hier gab es gelegentlich ein Gespräch zwischen oder mit Komponist:innen oder eine Lecture, in der eine Komponistin über ihr Werk sprach, meistens wurden aber Filme gezeigt, wurde „Klangbehandlung“ erlebt, eine Performance des Berliner Solist*innenensembles PHØNIX16 geboten und dergleichen mehr.Ihre grundsätzliche Eigenart, ein Festival zu sein, in dem nicht nur Werke der aktuellen Musik aufgeführt werden, sondern auch, wie es im Programm 2002 stand, „die Präsentation von experimentellen, konzeptuellen, interdisziplinären und auch medienkünstlerisch orientierten Positionen“ eine wichtige Rolle spielt, hat die MaerzMusik behalten. Im Programm 2023 kann man aber lesen, dass die neue Leiterin sich in ihrer bisherigen künstlerischen Arbeit besonders „mit verschiedenen Formaten“, in denen „marginalisierte und nicht-normative Musikkulturen und Klanggeschichten“ erweitert und neu thematisiert würden, auseinandergesetzt und, was die „Klanggeschichten“ angeht, „Praktiken des Hörens in den Blick“ genommen habe, „welche die Epistemologie des westlichen Musikkanons in Frage stellen“. Diese Perspektive Metwalys bedeutet für das Festival, dass es zu einer Verschiebung von „Zeitfragen“ zu Raumfragen gekommen ist.So gab es eine Veranstaltungsreihe „Grenzraum HÖREN“ mit Werken Jakob Ullmanns und von Pauline Oliveros, die „eine kollektive Studie über das Hören an sich“ sein wollten: über „die Grenzen des Hörens und die Räume, die durch einen erweiterten Begriff des Hörens entstehen – jene Räume, die zwischen Hörbarem und Unhörbarem unterscheiden“. In eine der Veranstaltungen des „Grenzraums HÖREN“ bin ich gegangen, Dienstag den 21. 18 Uhr zu Ullmanns voice, books and FIRE II / 1 (1993/94), das war eine knappe Stunde lang ein sehr sehr leiser über Lautsprecher vermittelter Akkord, der irgendwann noch leiser wurde. Ob sich in dem Akkord irgendwann minimal was verändert hat, mag sein, ist sogar wahrscheinlich, ich hab’s nicht recht gehört. Aber das war ja die Absicht, dass ich an meine Grenzen geführt werden sollte. Über sein Werk schrieb Ullmann: „Es ist ein merkwürdiger Ort, der entsteht, wenn Klang als Grundstruktur aller Wirklichkeit jede Diskontinuität des Objekts verliert“. Er erinnert an „Platons Erzählung, die er dem Eer, dem Mann aus dem Osten, [...] in den Mund legt“, und findet in dem, was da erzählt wird, eine „majestätisch gemessene Ruhe“ artikuliert, einen „Zusammenklang aus der Harmonie der Sphären des Himmels mit den Hymnengesängen“ als eine „das Menschliche und Irdische mitumfassende[.] Einheit der Geschichte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“. Wirklichkeit also ohne unterscheidbare Gegenstände, wir befinden uns im Reich der Meditation, wo die Zeit noch ganz anders still steht, als sie das in Kompositionen ohnehin immer tut. Das Publikum, wenige Leute, konnte wenig damit anfangen; bei weitem nicht alle haben hinterher die Hände zum Applaus gerührt. Aber es ist eine interessante Herausforderung. Wenn ich sage, Musikdarbietung heiße immer, dass die Zeit stillsteht, denke ich an Augustins berühmte Veranschaulichung von Gottes ewiger Gegenwart durch ein mir bekanntes Lied – und was der Kirchenvater vom Lied sagt, kann ebenso etwa von einer Symphonie, ja von einer fünfstündigen Oper gesagt werden -: Ich höre es zwar im Nacheinander der musikalischen Einzelereignisse, die stehen aber in Spannung zum Anfang, der daher noch gegenwärtig ist, wie auch zum Ende, das insofern schon eingetreten ist, und so höre ich sie auch. Es ist mit der Musik wie mit der Rede, die Augustin ebenso als Beispiel heranzieht: Wenn ich in der Mitte eines Satzes angelangt bin, darf ich dessen erstes Wort nicht schon vergessen haben und weiß ich (wenigstens ungefähr), was sein letztes sein wird. Dieses augustinische Modell, an dem sich noch Husserl abarbeitet, setzt freilich voraus, dass der Satz von etwas spricht, von einem Gegenstand, und das heißt natürlich, von einem von vielen Gegenständen; wenn es, mit Ullmann zu sprechen, keine „Diskontinuität des Objekts“ gibt, gibt es gar kein Objekt, keinen Gegenstand, denn das Objekt kommt nur in der Mehrzahl vor. Kann man auch Ullmanns Musik als Gegenwart erleben? Das ist wohl der Anspruch, mir und vielen anderen ist es aber nicht gelungen. Ich habe mich während der Stunde, die sie dauerte, zunehmend gefragt, wann sie denn endlich aufhört, und das ist das Gegenteil von Gegenwartserleben.Wenn sie zur Meditation anregen will, kann man das denn tun, indem man Leute einfach in diese hineinwirft? Man möchte doch vom Sinn der Sache überzeugt werden. Ullmann hat das auch versucht und es liegt ja schon im Titel der Veranstaltung. Im „Grenzraum zwischen Hörbarem und Unhörbaren“, den man betreten sollte, sei, so Ullmann, nichts Unendliches und auch keine Härte der Grenze, vielmehr gebe es „Vieldeutigkeit“ und „Überlappung“, „die Gleichzeitigkeit der Gegensätze“ wie zum Beispiel des Gegensatzes von „drinnen/draußen“. Das ist Ullmanns Behauptung, ich finde, er hat sie nicht musikalisch belegt; der Gestus seiner Musik, so leise wie möglich zu sein, scheint doch eher auf jenen extensionslosen Jetztpunkt hinauszulaufen, den man sich im unendlich Kleinen vorzustellen hätte. Wenn dieser Eindruck nicht entstehen soll, muss die Musik dafür etwas tun, und das ist hier, nach meinem Eindruck, nicht geschehen.Wenn mich Ullmann nicht so überzeugt hat, heißt das aber nicht, dass mir Metwalys Konzept unangemessen erschiene – ganz im Gegenteil. In anderen Veranstaltungen, in denen es ebenfalls um „das Hören“ als solches ging, habe ich etwas zu begreifen geglaubt, wonach ich schon lange gesucht hatte. Darüber schreibe ich übermorgen im dritten Bericht.