1. Mai Angesichts der Klimakrise entpuppt sich manch Tagwerk als schädlich, während anderes durch Bullshit-Jobs ersetzt wird. Über die Bedeutung von Arbeit
Kohlearbeiter (1951): Heute ist der Ruf des Bergbaus schlecht, im 19. Jahrhundert war er die sinnhafte Arbeit schlechthin
Foto: Charles Hewitt/Getty Images
Da ist er wieder, der „Tag der Arbeit“. Auch wenn die Corona-Krise keine großen Kundgebungen erlaubt: Wird ein solcher Tag nicht gerade in unserer Zeit des Umbruchs immer wichtiger? Wir können heute schließlich nicht mehr ausblenden, was zwischenzeitlich in den Hintergrund getreten war: dass es wirklich um die Arbeit geht. Um die Arbeit, nicht bloß um den Arbeiter und die Arbeiterin.
Natürlich ist das eine nie ohne das andere, trotzdem können beide einander „entfremdet“ sein. Weil zur Arbeit nicht nur die Arbeitenden, sondern auch ihre Arbeitsprodukte gehören, das, was ihre Arbeit hervorbringt. Diese Arbeitsprodukte können sinnvoll sein oder sinnlos; wenn sie aber sinnlos sind, ist es auch die Arbeit. Und wenn die Arbeit, dann
eit, dann das Leben derer, die sie leisten.Es kann auch sein, dass Arbeitsprodukte ihren guten Sinn, den sie einmal hatten, verloren haben. Das ist heute in nicht gerade unwichtigen Teilen der Produktion der Fall, man denke nur an den Kohleabbau. Und es gibt weitere Probleme: Die Digitalisierung reduziert die Zahl der Beschäftigten in Bereichen, wo früher viele gebraucht wurden; das führt vielleicht nicht zu dauerhafter Arbeitslosigkeit, zwingt aber die „Freigesetzten“ oft dazu, sich im Niedriglohnsektor oder in Bullshit-Jobs zu verdingen.Maschinen überwachenDiejenigen aber, die nicht entlassen werden, überwachen oft nur den Selbstlauf der Maschinen. Sie sehen mit an, wie die menschliche Arbeit zurückgedrängt wird, während die Bedeutung der rein physikalischen Arbeit, im Sinn der Formel „Arbeit gleich Kraft mal Weg“, entsprechend zunimmt. Nimmt man alles zusammen, sind wir Betroffene oder Zeitgenossen einer Krise des Arbeitssinns.Wer den Arbeitssinn für nebensächlich hält, weil er oder sie nur auf die subjektive Seite der Arbeit schaut – Arbeitsbedingungen, Lohnhöhe, Arbeitsplatzsicherheit –, muss daran erinnert werden, dass die klassische Arbeiterbewegung keineswegs so dachte. Nehmen wir den Kohleabbau, der heute einen so schlechten Ruf hat. Er war im 19. Jahrhundert so außerordentlich sinnvoll, dass er als Paradigma von Arbeitssinn gar nicht übertroffen werden kann – auch heute noch nicht. Denn es führt niemals weiter, die eigene Vergangenheit zu vergessen: Sie ist notwendige Bedingung der Gegenwart. Nicht zufällig ist Émile Zolas Roman Germinal (1885) noch heute als wichtigster Arbeits- und Revolutionsroman des 19. Jahrhunderts in Erinnerung. Er handelt von Bergarbeiterfamilien, vielen Männern und auch einer Frau, die unter Tage arbeiten, und den Kapitalisten, gegen die sie revoltieren.Zwar geht es in dem Buch „nur“ um die Verelendung, in die man diese Menschen trieb und die sie nicht mehr hinnahmen. Aber es war damals jedermann klar, wofür ihr Arbeitsprodukt stand, sodass dessen Sinn nicht eigens hervorgehoben werden musste. Hätte ihre Arbeit nicht so viel objektiven Sinn gehabt, man könnte die Radikalität ihres Kampfs gar nicht nachvollziehen.Es fing damit an, dass sie über eine Lohnkürzung empört waren – mit Recht eben auch deshalb, weil der gesellschaftliche Nutzen ihrer Arbeit so groß war. Dieser Nutzen spiegelt sich im Werk von Karl Marx, der selten vom Kohleabbau, umso lieber indes von der mit Kohle gespeisten Eisenbahn spricht. Die war zu seiner Zeit das Fortschrittssymbol überhaupt und von der Kohle noch lange untrennbar. Was wäre eine Menschheit ohne die Transsibirische Eisenbahn? Zwischen 1891 und 1916 wurde sie erbaut, ihre Elektrifizierung konnte nicht vor 1929 beginnen. Ende 2002 war sie abgeschlossen. Unmöglich, es zu vergessen: Wer heute Anton Bruckners Zweite Symphonie hört (1872/77), hört im ersten Satz die Dampflokomotive.Wenn wir also zuletzt Arbeitende gesehen haben, die für den Erhalt von Kohlekraftwerken auf die Straße gingen, werden wir nicht unterstellen, sie hätten nur an sich selbst gedacht, nach dem Motto „Nach uns die Sintflut“. Nein, auch der Arbeitssinn war ihnen bestimmt wichtig. Aber es ist ihnen schwergefallen, die Sinnverschiebung, die es gegeben hat, zu akzeptieren. Schaut man sich die Liste der Arbeitsbereiche an, scheint sich ja gar nichts verändert zu haben: Landwirtschaft, Gebäudetechnik, Gesundheit, Verkehr und so weiter, das wird nie seinen Sinn verlieren. An den Sinn der Gesundheitsarbeit denkt man in der Corona-Krise jeden Tag. Aber selbstverständlich ist die Rohstoffgewinnung nicht weniger sinnvoll. Die dort arbeiten, müssen sich nur, schon weil sie Kinder und Kindeskinder haben, mit der Notwendigkeit des ökologischen Wandels ihrer Arbeit abfinden. Gerade wenn sie den Klassenkampf wieder aufnehmen, müssen sie das tun. Denn Klassenkampf war nie der Kampf für den Erhalt schädlich gewordener Arbeit. Marx und Engels haben ihn so definiert: Die Proletarier „müssen den Staat stürzen, um ihre Persönlichkeit durchzusetzen“. Einer Persönlichkeit sind die ökologischen Gleichgewichte nicht gleichgültig. Mit Marx gesprochen sind es die Bedingungen des Stoffwechsels von Mensch und Natur.Placeholder image-1Überhaupt verwandeln sich alle Nöte, von denen der Arbeitssinn heute bedroht wird, in progressive Kampfziele, wenn wir der Analyse von Marx folgen. Dass die industrielle Herstellung eines Produkts durch immer bessere Maschinen und deren „Automation“ erleichtert wird, begrüßte er: nicht obwohl, sondern gerade weil immer weniger menschliche Arbeit die notwendige Folge ist. Denn das bedeute, dass die menschlichen Persönlichkeiten mehr Freizeit dafür hätten, sich ihren kulturellen Bedürfnissen zu widmen. Natürlich stellte Marx sich keine „Freizeit“ ohne Lohn vor, sondern eine, die den Menschen bereichert. Wenn wir uns schon heute in diese Perspektive stellen, werden wir als ersten Schritt das hinreichende Grundeinkommen erkämpfen. Es würde die Freizeit sorglos machen und denen, die es in Anspruch nehmen, die Verweigerung sinnloser Arbeit erlauben. Überhaupt muss alle Befreiung, die Marx vorausgesehen hat, im Klassenkampf erzwungen werden. Zu dieser Befreiung gehört auch, dass niemand mehr einen „bullshit job“ annimmt. Erstens, weil er oder sie es nicht nötig hat, und zweitens, weil es solche Jobs dann gar nicht mehr gibt.Sie sind nämlich eine Konsequenz der ständig steigenden Bedeutung der maschinellen Produktion, von der wir eben sprachen. Da das Kapital seinen Profit allein aus der menschlichen Arbeitskraft zieht, kann es die Profithöhe nur dann halten, wenn es die Masse oder Vielzahl der Produkte immerzu steigert. Diese Kompensation führt laut Marx aber dazu, dass die „regelnden Bedingungen“ des Marktes „immer mehr die Gestalt eines von den Produzenten unabhängigen Naturgesetzes annehmen“ – sie werden „immer unkontrollierbarer“. Und davon sind Bullshit-Jobs die Folge.Nach der BefreiungZum Beispiel der „freiberufliche Zertifizierungsauditor“: Ein Auditor ist eine Person, die überprüft, ob Vorgaben eingehalten werden. Wenn der Klassenkampf dazu führt, dass die Kapitallogik verschwindet, dann verschwinden auch diese Jobs, die der wachsenden Unkontrollierbarkeit entgegensteuern.Hinzu kommt, dass eine Steigerung der Masse oder Vielzahl der Produkte, die nur aus Profitgründen notwendig ist, also unabhängig vom Sinn dieser Produkte, rückschlagend natürlich auch die Arbeit sinnlos macht, mit der sie erstellt werden. Solche Arbeit bringt den Konsumismus hervor, der die ökologischen Gleichgewichte überlastet.Neue sinnvolle Arbeit wird sich an diesen Gleichgewichten orientieren. Wer eben noch im Kohlekraftwerk tätig war, wer eben noch Flugzeuge oder Verbrennungsmotoren zusammengesetzt hat, oder auch Teslas Elektoautos, die Brandenburgs Wasserhaushalt überlasten, wird stolz sein auf seine oder ihre Teilnahme an der Qualifizierung des europäischen Eisenbahnnetzes.Damit Arbeit wieder überall guten Sinn hat, wird es nötig sein, den Kapitalismus zu überwinden. Der „Tag der Arbeit“, ausgerufen 1889 von der Zweiten Internationale der Arbeiterbewegung, stand von Anbeginn in dieser Perspektive. Wir sollten uns heute daran erinnern.
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