Einer „Milchstraßenverkehrsordnung“ begegnen wir in Stanisław Lems Lokaltermin (1982). Die spaßige Vokabel steht jetzt als ernster Titel über einer Ausstellung im Berliner Künstlerhaus Bethanien, in der es um den Aufbruch „des Menschen“ ins Weltall geht. Vom Jazzmusiker Sun Ra borgt sich die Schau den Untertitel Space is the Place. Im Vorfeld war daher Kritik daran laut geworden, dass zwar afrofuturistische Visionen zitiert würden, aber nur ein Künstler of color eingeladen wurde.
Mit dem Rückgriff auf Stanisław Lem solle „auf die Unmöglichkeit der Schadensbegrenzung bei der kosmischen Grenzüberschreitung“ verwiesen „und trotzdem nicht von der Hoffnung auf Erlösung in höheren Sphären“ gelassen werden, erläutert der künstlerische Geschäftsführer Christoph Tannert. Die religiöse Sprache ist kein Zufall. Die christliche Himmelfahrt – wenn einst die Erde verbrennt, lesen wir beim Kirchenvater Augustin, tragen die „Heiligen“ keinen Schaden davon, weil sie schon in „höhere Regionen“ aufgestiegen sind – wird heute in dem Glauben, man sei über die Bibel längst hinaus, entmetaphorisiert und technisch umgesetzt. Dabei scheint die Technik auf dem besten Weg, zum neuen Opium des Volkes zu werden. Für Tannert ist sie es wohl bereits. „Der Mensch“ habe „seelische Bedürfnisse“, schreibt er, „und sucht seine Rückbindung an den Kosmos, das Weltganze“. Das Problem ist, dass er so eine Perspektive vorgibt, die von den meisten ausgestellten Künstlern und Künstlerinnen nicht geteilt wird. Wer Tannerts Euphorie in den Bildern und Videoinstallationen wiederzufinden versucht, muss ratlos bleiben.
So klar wie Nik Nowak sprechen zwar nicht alle: „Warum“, fragt er im Katalog, „versucht man mit großem technischem Aufwand einen Planeten wie den Mars mit einer lebensfeindlichen Atmosphäre zu besiedeln, anstatt die lebensfreundliche Atmosphäre der Erde zu retten?“ The Mantis (2019) zeigt einen Mars Exploration Rover, der nicht über den Nachbarplaneten rollt, sondern, umgeben von vermutlich giftigem Dampf, über eine kopfsteingepflasterte Erdstraße. Er lässt an die Gottesanbeterin denken, das Insekt, das den Partner nach der Paarung verspeist.
Silicon-Valley-Heroismus
Kaum ein Bild versäumt es aber, die dystopische Dimension hervorzuheben. In Guy Allotts Alien VII (2018) rieseln wahrscheinlich nicht Goldkörner wie im Mythos der Danaë, die von Zeus auf diesem Weg befruchtet wird, sondern Bomben auf Strohhut und Gesicht einer Erdkugel herab; fünf schwarze Augen lassen an Einschlagtrichter denken. Von seinen Music Manuscripts (2018) schreibt Song-Ming Ang, sie zeigten „das Einsamkeitsgefühl der Astronauten“. Eines besteht aus drei sich durchkreuzenden Notenliniensystemen, als solle das Wachstum unserer Möglichkeiten illustriert werden. Stünden nun noch Noten auf dem Blatt, wäre etwas gewonnen.
In Annette Schröters Kosmos (2018) schreiten zwei Helden mit realsozialistischer Attitüde heroisch voran, man versteht aber angesichts des Entstehungsjahrs nicht, wie der Katalogschreiber annehmen kann, sie habe damit nur das „repressive System des Ostblocks unter Führung der UdSSR“ ironisieren wollen. Hebt doch Tannert im Vorwort hervor, dass heute Silicon-Valley-Kapitalisten wie der PayPal-Mitgründer Elon Musk die Fackel weitertragen.
Info
Milchstraßenverkehrsordnung (Space is the Place) Künstlerhaus Bethanien, Berlin, bis 15. September
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