Maßhalten beim Gegenfinanzieren

Nach dem "Jobgipfel" Die peinliche Enthüllung der grünen Finanzexpertin Christine Scheel

Es läuft alles wie gehabt. Auf dem jüngsten "Jobgipfel" verhandelten Regierung und Opposition nicht wirklich über neue Arbeitsplätze, vielmehr über neue Steuergeschenke an Unternehmer. Man bedient wieder ihren Egoismus, angeblich damit sie ihrer Gemeinwohl-Verpflichtung nachkommen - glaubt noch irgendwer die Lüge? Seit wie vielen Jahren werden ihnen Steuern erlassen? Diesmal soll der Körperschaftssteuersatz von 25 auf 19 Prozent gesenkt werden, Personengesellschaften werden über eine großzügigere Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommenssteuer entlastet, bei Betriebsübergängen wird die Erbschaftssteuer in jedem Jahr der Unternehmensfortführung um zehn Prozent gesenkt. Darauf haben sich Regierung und Opposition schon geeinigt. Offen ist noch die Gegenfinanzierung; besser gesagt, man zögert noch, bekannt zu geben, dass die neuen Geschenke keineswegs in Gänze gegenfinanziert werden sollen. Man kann ja auch weitere Staatsleistungen abbauen, zum Beispiel die Renten kürzen, wie der Regierungsberater Rürup jetzt vorschlägt.

Die Regierung zögert, die Opposition drängt, auch das ist wie immer. Als erster meldete sich der baden-württembergische Finanzminister Stratthaus zu Wort: Die Gegenfinanzierungsmaßnahmen müssten "moderat ausfallen", denn man könne "der Wirtschaft" nicht mit der einen Hand geben, was man mit der anderen wieder nehme. Dass man ihr jedenfalls zu geben hat, ist klar, und genau genommen natürlich nicht "der Wirtschaft", nicht den Arbeitern, sondern den Unternehmern, egal was die mit den Geschenken dann machen. Warum hören sich die Bürger solche Sprüche an und tragen stoisch die Folgen? Sie haben wirklich selbst Schuld. Am Tag, als Stratthaus sprach, sprach auch Clement: Er schließe eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht aus, sagte der Bundeswirtschaftsminister, der die Logik auf seiner Seite hat. Man kann den Unternehmern geben, was man den Endverbrauchern nimmt. Man nimmt ja auch dem Sozialstaat, man hat den Arbeitslosen genommen. Von nichts kommt nichts.

Neu ist, dass die Regierungskoalition, während sie fortfährt, den Befehlen der Unternehmerverbände zu willfahren, dabei vernehmlich mosert. Schon in seiner Bundestagsrede vor dem "Jobgipfel" hatte der Kanzler sich beklagt, die Betriebe reagierten auf die Lockerung des Kündigungsschutzes nicht mit mehr Einstellungen. Am Ostersonntag legte er nach: Als Gegenleistung für die Arbeitsmarktreformen solle endlich investiert werden, und zwar in Deutschland, sagte er der Bild am Sonntag; das "ständige Gerede" von der Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland müsse aufhören.

Ob Schröder wirklich glaubt, er könne seinerseits durch nicht einmal ständiges Gerede die Unternehmer zum Verzicht auf den größtmöglichen Vorteil bewegen? Man darf es bezweifeln. Nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen wird er wieder anders reden. Aber dass er jetzt schimpft, verrät schon einige Nervosität.

Wenn dann noch Leute kommen, die seine Klage ernst nehmen und konkretisieren, wird es regelrecht peinlich. Der grünen Finanzpolitikerin Christine Scheel fiel jetzt ein, dass Unternehmen die Kosten, die bei der Arbeitsplatzverlagerung entstehen, in Deutschland gewinnmindernd und damit steuersenkend geltend machen können. Würde man diese Subvention streichen, hätten Bund und Länder bis zu fünf Milliarden Euro Mehreinnahmen jährlich, und damit wäre schon einmal die Senkung der Körperschaftssteuer annähernd gegenfinanziert. Die Dame hat einen Faktor der Arbeitslosen-Vermehrung greller beleuchtet, als dem Kanzler lieb sein kann. Denn wenn Unternehmer fünf Milliarden jährlich für den Umzug ausgeben, lässt das auf einen gewissen Umfang schließen. Darauf deuten ja auch andere Zahlen. Der Anteil der ausländisch erstellten Vorleistungen für die Exportwaren-Endmontage in Deutschland ist zwischen 1999 und Ende 2004 von 27 auf 40 Prozent gestiegen. 32 Prozent der Industrie-Unternehmer haben in den vergangenen vier Jahren Arbeitsplätze verlagert, 60 Prozent wollen es einer Umfrage zufolge in den kommenden vier Jahren tun. Und nun erfahren wir so nebenbei, dass der Staat diese Bewegung auch noch subventioniert.

Und der Kanzler tut so, als rede er den Unternehmern ins Gewissen. Weiß er nicht, dass die Industrie- und Handelskammer ihre Mitglieder ganz offen auffordert, ins Ausland zu gehen? Dagegen sollen seine Appelle helfen? Das sollen wir glauben? Dabei sehen wir doch, er ist in der EU nicht einflusslos; er hat dort eine Lockerung der Stabilitätskriterien durchgesetzt, er könnte auch der Arbeitsplatzverlagerung einen Riegel vorschieben. Von welcher Seite man die Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung auch ansieht, zeigt sie sich als zynisch und verlogen.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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