Umdenken Das Hochwasser in Deutschland sinkt. Merkwürdig ist allerdings, dass die Parteien bei diesem Thema so zurückhaltend sind. Das ist eine Chance für die Linke
Die Linke tagt am Wochenende in Dresden, das gerade von der Flut heimgesucht wurde, um ihr Wahlprogramm zu beschließen. Macht sie etwas aus diesem Zusammentreffen? Die Frage führt mitten in die Probleme dieser Partei, die in den letzten drei Landtagswahlen scheiterte.
Um ihre Lage zu begreifen, empfiehlt sich ein Rückblick auf die vergangenen zwölf Monate seit dem chaotischen Parteitag in Göttingen. Die dort gewählten Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger erwiesen sich als harmonisches und inner- wie außerparteilich erfolgreiches Gespann. Sie gingen sofort daran, unter der Losung „Fragend schreiten wir voran“ die innerparteiliche Diskussion zu organisieren und mit der einvernehmlichen Vorstandsempfehlung des Wahlprogrammentwurfs auch z
rfs auch zu einem guten Ende zu führen.Auf der öffentlichen Bühne machen sie eine gute Figur. Die Medien wenden sich zwar weiterhin an Dietmar Bartsch, den sie favorisieren, und an Fraktionschef Gregor Gysi, wenn sie jemanden für die Partei sprechen lassen wollen. Doch haben sie Kipping und selbst Riexinger letztlich ebenso viel Schreib-, Rede- und Sendeplatz eingeräumt. Dazu trägt sicher bei, dass die beiden nicht verbiestert, sondern sehr kommunikativ auftreten.Den innerparteilichen Konflikt zu besänftigen, ist bisher gelungen. Eine Klippe war die Aufstellung der Spitzenkandidaten für die bevorstehende Bundestagswahl. Oskar Lafontaine trat nicht an, wohl weil er weiß, dass er die Zeit besser nutzt, wenn er Sahra Wagenknecht unterstützt. An deren Seite aber wollte der „Reformer“ Gysi nicht kandidieren. Also fand man die Lösung einer ganzen Gruppe von Kandidaten, der neben Gysi und Wagenknecht auch Bartsch sowie einige weniger bekannte Linke angehören.Viele Medien fanden das albern, doch der Unterschied zum „Kompetenzteam“ des SPD-Kandidaten Peer Steinbrück war nicht so groß. Bemerkenswert ist eher, dass nicht auch Kipping und Riexinger der Gruppe angehören. Sie sind klug genug, sich auf ihre Vorstandsrolle zu konzentrieren, die nach Lage der Dinge vor allem darin besteht, die Partei zusammenzuhalten. Die Energie der Flügelexponenten wird nach außen gelenkt, wo sie einzig von Nutzen sein kann.Die Dialektik des HochwassersEine weitere Klippe war Lafontaines Stellungnahme zum Euro. Da dieser Mann bei den Medien unbeliebt ist, fehlte ihnen wie üblich die Bereitschaft, ihm genau zuzuhören; sie behaupteten, er wolle wie die neue Partei Alternative für Deutschland den Euro abschaffen. Stattdessen hatte er nur zu bedenken gegeben, dass Staaten mit schwächeren Volkswirtschaften einst die Option zum Geldabwerten brauchten und man sie ihnen zurückgeben sollte. Vom Euro sollten sie deshalb nicht gänzlich abgekoppelt sein.War Lafontaines Überlegung so unvernünftig? Die Parteiführung betonte nur, dass sie am Euro nicht rütteln lasse; man sieht daran, wie gefährlich der innerparteiliche Konflikt immer noch ist. Eine richtige Debatte würde zu viele Wunden aufreißen. Die Medien aber, ohnehin immer bemüht, Lafontaine zu isolieren, konnten dessen Überlegung nicht als Haltung der Partei hinstellen, sodass für diese kein Schaden eintrat. Der Parteitag in Dresden wurde mit Ruhe vorbereitet, und der Wahlprogrammentwurf ist tatsächlich nicht schlecht. Dennoch muss man gerade aus Anlass eines solchen Programms fragen, warum die Linke in den letzten Wahlkämpfen nicht erfolgreicher war. Und da kommen wir auf die Überflutung zurück.Die Überflutung ist nicht zuletzt ein ökologisches Thema. Die Frage, ob ein Zusammenhang mit der Klimakatastrophe besteht, hatte sich schon 2002, beim letzten Elbehochwasser, aufgedrängt. Damals wurde sie von den Grünen noch ziemlich laut gestellt. Man konnte wissen, dass man keiner „Jahrhundertkatastrophe“, sondern eher einer Jahrzehntkatastrophe beiwohnte. Jetzt, wo die nächste, noch schlimmere eingetreten ist, wäre ein bisschen Rechthaberei der Grünen – wie 2011 nach dem Atomunglück von Fukushima – durchaus angebracht gewesen. Aber nichts dergleichen.Märchen vom ElektroautoDie Grünen stellen den möglichen Zusammenhang mit der Klimakatastrophe an so versteckter Stelle her, dass man es kaum bemerken kann. Dass er anderswo ohnehin versteckt wird, ist auch klar. Die Medien fragen, warum keine haltbaren Dämme gebaut wurden, nicht aber, warum man die Klimakatastrophe so weiterlaufen lässt, mit jährlichem Ansteigen des CO2-Austoßes. Bei dieser Frage müsste man sich ja mit der mächtigen deutschen Autoindustrie anlegen.Da hätte die Linke eine Aufgabe. Ihr Entwurf für das Wahlprogramm enthält einen guten ökologischen Teil, der auch auf die Probleme der Autokultur und -industrie hinreichend eingeht. Anders als den Grünen fehlt es ihr nicht an der notwendigen Radikalität, das Märchen vom ökologisch verträglichen Elektroauto zurückzuweisen. Indessen steht der ökologische Teil des Wahlprogramms an zweiter Stelle, zuerst kommen die Fragen der Sozialpolitik.Dies hängt auch mit dem Koalitionsgebaren der Partei und namentlich ihrer „Reformer“ zusammen, die sich an der SPD orientieren. Von Katja Kipping weiß man zwar, dass sie eher mit den Grünen konkurrieren will, doch ist daraus bisher keine Politik geworden. Dabei wäre es so wichtig für die Wahlkämpfe in Westdeutschland.Die Partei macht sich zu wenig klar, was für ein Menschenschlag in Westdeutschland lebt. Diese Menschen, wie man sie in ihren Kaufhaus- und Eisdielen-umsäumten Fußgängerzonen antrifft, sind für politische Veränderung sehr wohl zu haben. Doch vor jeder Attitüde, die ihnen radikal scheint, scheuen sie zurück. Ökologische Veränderung, das verstehen sie. Deshalb sind die Grünen so erfolgreich. Hier den Hebel anzusetzen, wäre kluge linke Politik.„Ökologie entschieden statt verwässert“ und „Ökologische Veränderung sozial abfedern“: So könnte man den Grünen entgegentreten. Die Linke sagt beides, aber es steht eben nicht im Vordergrund. Man nimmt sie nur als sozialpolitische Partei wahr, die außerdem noch gegen Kriegseinsätze auftritt. Der Parteitag in Dresden wäre die Gelegenheit, einen neuen Akzent zu setzen. Es ist ja fast ein Wunder, dass er trotz der Flutschäden überhaupt stattfinden kann.
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