Gutmensch ist das Unwort des Jahres 2015. In der Begründung verweist die Jury zunächst auf die rechtspopulistische Verwendung: „Als ‚Gutmenschen‘ wurden 2015 insbesondere auch diejenigen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen.“ Sie fügt aber hinzu, dass das Wort auch in die Leitmedien Eingang findet: „Schluss mit dem Gutmenschen-Gegurke“ war vor einem Monat ein Artikel im Handelsblatt überschrieben. In dieser Brückenfunktion des Worts, dass es von rechts außen bis in die Mitte hinein wirkt, liegt das Problem. Die Älteren erinnern sich, dass es auch schon bei der Rechtswende der Grünen seit 1990 eine Rolle spielte: Menschen, die sich der nicht anschlossen, wurde gern „Betroffenheitsjargon und Gesinnungskitsch“ vorgeworfen.
Das Wort schillert in mehreren Bedeutungen. Es kann den Gesinnungsethiker meinen, der die Folgen seiner Tat nicht mitbedenkt, oder den Menschen, der nicht an das Böse und Schlechte glauben will. Doch diese Bedeutungen erklären nicht die hässliche Wortbildung „Gutmensch“, in der noch etwas ganz anderes steckt, nämlich die Unterstellung, dass jemand sich selbst für gut hält und dann etwa den Flüchtlingen hilft, um mit eigenem Gutsein zu glänzen. In Wahrheit würde sich niemand einen guten Menschen nennen, sogar Jesus hat die Bezeichnung zurückgewiesen. Auf die Anrede „Guter Lehrer!“ erwidert er: „Was heißt du mich gut? Keiner ist gut, nur einer: Gott.“ In der Tat, muss man gut sein, um ehrenamtlich zu helfen? Nein. Hilfsbereitschaft und soziale Empathie sind nicht „gutmenschliche“, sondern menschliche Eigenschaften.
Warum werden sie in Frage gestellt? Weil das Menschliche reduziert wird, zunächst auf Selbstbehauptung. Aber da fragt man sich, warum sie denn als bedroht gilt. Der Hintergrund des kapitalistischen Konkurrenzkampfes, auch auf dem Arbeitsmarkt, erklärt es nicht allein. Fremdenangst tritt offenbar hinzu. Nur, warum kann sie so leicht aktiviert werden? Die leiseste Abweichung vom „Normalen“, auch vom Aussehen „normaler“ Deutscher kann schon dazu führen. Diese Fährten weisen darauf hin, dass gerade zu wenig diskursive Auseinandersetzung stattfindet. Zwar trifft Pegida, wenn es demonstriert, auf Gegendemonstranten, die wohl auch Schilder hochhalten, aber das ist nicht genug. Die oft zu hörende Ansicht, mit Pegida-Leuten solle nicht gesprochen werden, ist vielleicht doch nicht richtig. Wäre der Versuch, sie diskursiv in die Enge zu treiben, nicht besser? Und wenn man es nur täte, um das Überschwappen solcher Vorstellungen wie der des „Gutmenschen“ in die Mitte der Gesellschaft aufzuhalten. Wer den „Gutmenschen“, das heißt in Wahrheit den Menschen und das Menschliche angreift, hat eine Gegenvorstellung, die man polemisch ans Licht ziehen muss.
Wir sind Zeugen und Beteiligte einer großen gesellschaftlichen Auseinandersetzung: Die Hilfsbereiten sind offensiv, und die Rechtsextremisten sind es auch. Das ist eine ganz ungewöhnliche Lage. Meistens wandelt sich die Gesellschaft, weil nur eine Seite offensiv ist. Wenn es heute anders ist, dann weil eine Art Entscheidungsschlacht stattfindet – Ausgang offen. Eben deshalb dürfen die Hilfsbereiten nicht zögern, ihre Offensive noch auszuweiten. In diesem Augenblick gerade wollen die Rechten auf die Kölner Ereignisse mit einem „Rachefeldzug“ reagieren. Dem darf man weder taten- noch wortlos zusehen.
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