Motorschaden

Dieselgate Der politisch-automobile Komplex sollte eigentlich streng sein. Jetzt gibt’s erst mal Steuererleichterungen
Ausgabe 31/2017
Immer wenn es mal nicht so lief, konnte die Autobranche auf politische Unterstützung bauen
Immer wenn es mal nicht so lief, konnte die Autobranche auf politische Unterstützung bauen

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Der Autogipfel wollte Probleme lösen. Die Skandale der letzten Zeit gingen aber nicht unter die Haut der Verursacher des politisch-automobilen Komplexes aus Wirtschaft und Politik. Im sogenannten „Nationalen Forum Diesel“ stand der Super-GAU der Autoindustrie auf der Tagesordnung: Abgasbetrug, geschönte Verbrauchsangaben, mutmaßliche Kartellverstöße. Wie war das alles möglich? Warum konnten die Akteure trotz früher Warnhinweise einfach weitermachen? Warum hat auch der Autogipfel die Probleme nur vor sich hergeschoben und nicht etwa gelöst?

Die Erzählung der Autoindustrie

Es ist ein Teil der Antwort, dass sie sich allzu leicht hinter technischen Details verstecken lassen. Deshalb glaubte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, CSU, der den Autogipfel zusammen mit Umweltministerin Barbara Hendricks, SPD, moderierte, den Anschein einer Problemlösung erwecken zu können: Die im Verkehr befindlichen Dieselmotoren seien nicht hinnehmbar, würden aber ja nun umgerüstet. Diese Erzählung hatte die Autoindustrie ihm in den Mund gelegt. Ein unwissendes Opfer ist Dobrindt aber nicht. Man muss es mehr als Arbeitsteilung sehen: Die Industrie arbeitet eine Erzählung aus – und die CSU, die in Bayern, einem Zentrum der Autoindustrie, regiert, hat zu ihrem Schutz einen Mann ins entscheidende Ministerium entsandt. Die Geschichte der Industrie geht so: Die Dieselmotoren seien zwar ein Problem, doch ihre Abschaffung würde das Problem noch vergrößern. Denn Benzinmotoren, das stimmt, würden noch mehr Schadstoffe ausstoßen.

Ehrgeizige Klimaziele seien in Wahrheit nur einzuhalten, wenn Dieselmotoren für eine Übergangszeit noch in Gebrauch blieben. Man befinde sich eben in einem „Zielkonflikt“. Zwar müsse gegen den gesundheitlichen Schaden etwas getan werden. Fahrverbote aber seien ein ganz schlechter Weg. Doch könne man die Dieselmotoren derart umrüsten, dass sie weniger Stickoxid ausstoßen würden.

Selbst die FAZ fragte verwundert: „Warum ist das plötzlich möglich?“ Weil es Kosmetik ist. Konkret handelt es sich darum, dass die übergroße Mehrzahl der verkauften Autos Motoren der „Euronorm 5“ gebraucht, die zu viel Stickoxid ausstoßen. Die Industrie behauptet, eine Umrüstung könne die Emissionen um 25 Prozent senken. Doch dazu müssten sie erst einmal zurückgerufen werden. Da gekaufte Autos weiterverkauft werden, könnte sie die Käufer nicht einfach anschreiben, sie hat nicht alle Adressen, sondern müsste auf die freiwillige Rücksendung der Autos aufgrund eines Aufrufs über die Medien hoffen. Von BMW zum Beispiel war zu hören, die Hälfte der verkauften Autos könne vielleicht zurückgerufen werden. Eine Umrüstung sei aber schwierig, wenn es sich um die Baujahre 2001 und älter handle.

Das klingt nach einem Dilemma, aber worin soll es denn bestehen? Gäbe es doch zwei Möglichkeiten, denen die Industrie mit ihrer Erzählung gerade ausweichen will: Erstens könnte ein Rückruf aller Autos mit Euronorm 5 angeordnet werden – vom Kraftfahrtbundesamt nämlich. Da ist Dobrindt vor. Und zweitens würde die wirkliche Umrüstung darin bestehen, in allen rückgerufenen Autos die hardware auszutauschen, also andere Motoren einzubauen. Nach einem Test des ADAC am VW Passat könnte dadurch der Stickstoffausstoß im Realbetrieb um bis zu 90 Prozent gesenkt werden. Der Industrie sind aber die Kosten zu hoch. Während ihr eine Aktualisierung des derzeitigen Betriebssystems nur 50 bis 100 Euro pro Auto kostet, müsste sie für eine hardware-Umrüstung ungefähr 1500 Euro pro Auto ausgeben.

Geschieht beides nicht, könnte der Gebrauch der Autos nach Euronorm 5 verboten werden; Dobrindt hat das bestritten. Dass Fahrverbote zulässig sind, hat jetzt aber ein Gericht festgestellt. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe, weil zum Beispiel in Stuttgart die Grenzwerte seit siebeneinhalb Jahren überschritten werden. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass nur Fahrverbote helfen. Eine Nachrüstung der Euronorm 5 wurde verworfen: Die Wirkung sei wissenschaftlich nicht belegt worden, und selbst wenn es sie gäbe, würde sie nicht ausreichen. Diese Lösung, die keine ist, „würde den rechtswidrigen Zustand um zweieinhalb Jahre verlängern“. Gesundheit sei nun einmal ein Grundrecht, ein Recht auf Diesel gebe es nicht.

Aber was soll’s: Im Anschluss an die Verkündung des Urteils wurde dieses von der Autoindustrie „kritisiert“. Dabei geht die Rechtswidrigkeit über den deutschen Rechtsbereich noch hinaus. Die Klageschrift der EU-Kommission gegen Deutschland, weil es permanent gegen die Stickstoffgrenzwerte verstößt, ist fast fertig. In Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien wird deutlich seltener gegen sie verstoßen als hierzulande. Und die Kommission fragt sich, warum die deutsche Regierung nichts dagegen tut. In Vorbereitung der Klageschrift verlangte sie erst vor zwei Wochen eine Auskunft von ihr: Warum werden keine Sanktionen gegen Hersteller verhängt, die „unzulässige Abschalteinrichtungen“ in die Autos eingebaut haben? Solche Einrichtungen sind der Kern des Abgasbetrugs, der aufgeflogen ist. Sie haben dafür gesorgt, dass die Autos während der staatlichen Prüfung weniger Stickstoff ausstoßen als im Realverkehr. Weil auch Porsche sie einsetzt, hat Dobrindt in diesem Fall den Rückruf angeordnet, öffentlichkeitswirksam ein paar Tage vor dem Autogipfel. Dies geschah aber, um den generellen Rückruf oder das generelle Fahrverbot von Autos nach Euronorm 5 zu vermeiden. Bleibt noch zu erwähnen, dass auch die Behauptung falsch ist, Deutschland verfolge ehrgeizige Klimaziele und müsse auch deshalb den Dieselmotor „für eine Übergangszeit“ tolerieren. Die Wahrheit ist, dass diese Übergangszeit von der Regierung nach Kräften verlängert wird. Sie könnte nämlich nur so lange andauern, wie man nicht umhin kann, Autos entweder mit Diesel- oder Benzinmotor zu bauen. In dieser Zeit schädigt der Diesel die Gesundheit, das Klima aber weniger als das Benzin. Doch bräuchte man beide nicht, sondern könnte das Elektroauto durchsetzen. Frankreich und Großbritannien haben sich verpflichtet, dass es ab 2040 keine Diesel- oder Benzinmotoren mehr geben soll. Norwegen will dieses Ziel 2025 erreicht haben. Deutschland jedoch erst 2050.

Auto ins Museum

Das wahre Problem liegt darin, dass die deutschen Politiker glauben, Deutschlands Wohlstand hänge hauptsächlich von der Autoindustrie ab. Selbst die Grünen glauben das. Sie hatten am Montag eine Umweltkonferenz veranstaltet, in der ihr Vorsitzender Cem Özdemir einen bemerkenswerten Satz sagte: „Wer möchte, dass die Automobilproduktion am Standort Deutschland erhalten bleibt – und das geht nur mit emissionsarmen oder -freien Fahrzeugen –, der findet bei uns Grünen das bessere Angebot.“

Der Umweltaktivist Bernhard Knierim hingegen schrieb 2013, dass umweltfreundliche Branchen wie Fahrrad-, Wind- und andere Industrien „zusammengenommen schon jetzt mehr Menschen in Arbeit und Brot“ gebracht hätten als die Autobranche. Die Behauptung der Auto-Lobby stimmt nicht, dass jeder siebte Arbeitsplatz vom PKW abhängt; es ist nur jeder 50. Der Autogipfel wurde ohnehin nicht einberufen, um das Diesel-Problem zu lösen. Vielmehr ist die Autoindustrie besorgt, dass die Nachfrage nach Dieselautos eingebrochen ist. Die Ministerpräsidenten aus den Autoländern Bayern und Niedersachsen, Horst Seehofer und Stephan Weil, hatten prompt eine Idee, wie man den Dieselverkauf ankurbeln könnte: durch Steuererleichterungen für Dieselfahrzeuge, um die Nachfrage künstlich zu stützen. Jetzt wissen wir, was der Name „Nationales Forum Diesel“ bedeutet. Und wofür er gut ist. Der Motorschaden ist eine nationale Aufgabe: Gelöst wird sie nicht, für die Kosmetik aber soll der Steuerzahler mit aufkommen. Denn das Geld für den Fonds in Höhe von 500 Millionen Euro, der den Kommunen bei der Verbesserung der Luftqualität helfen soll, wird nur zur Hälfte von VW, Daimler und BMW aufgebracht. Die andere Hälfte zahlt der Bund, das heißt der Steuerzahler.

Die Öffentlichkeit wacht auf

Es ist aber doch zweifelhaft, dass die Autoindustrie so billig davonkommt. Die Kommunen selber haben sofort protestiert: Die Präsidentin des Städtetags, Eva Lohse, CDU, schließt Fahrverbote auch nach dem Gipfel nicht aus, „falls die Grenzwerte weiterhin nicht eingehalten werden“. Der Chef des Verbraucherzentrale-Bundesverbands Klaus Müller spricht von einer vertanen Chance und fordert einen zweiten Gipfel, bei dem auch Verbrauchervertreter mit am Tisch sitzen. Jürgen Resch, der Chef der Deutschen Umwelthilfe, kündigt weitere Klagen vor Gericht für bessere Luft in den Städten an, weil der Autogipfel „weniger als nichts“ gebracht habe. Der ADAC lässt verlauten, die Bundesregierung sei vor den Konzernen eingeknickt. Man fragt sich, warum diese massive Kritik nicht vor dem Gipfel publik wurde, da doch vorher bekannt war, worauf er hinauslaufen sollte. Das ist auch ein Problem der Medien. Die Leitmedien jedenfalls haben keineswegs vor diesem Gipfel gewarnt. Es ist, als ob er erst stattfinden musste, damit jetzt wenigstens ein Teil der Öffentlichkeit aufwacht.

Protest kommt jetzt auch von allen im Bundestag vertretenen Parteien. Er ist nicht immer glaubwürdig. Klar positioniert sich die Linkspartei, deren Vorsitzender Bernd Riexinger von einer „Farce“ spricht. Grünen-Chef Özdemir äußert jetzt, es sei „viel zu wenig“ herausgekommen, und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagt, es werde „leider nicht reichen“. Doch auch Union und SPD tun jetzt so, als hätten nicht ihre Spitzenpolitiker mit den Konzernen verhandelt. So will Horst Seehofer, Bayerns Ministerpräsident, den Eindruck erwecken, er treibe die Autoindustrie vor sich her: „Ich gebe dem Programm maximal drei Monate“, tönt er mit großer Pose, als reiche diese Zeit nicht, die vereinbarte Kosmetik umzusetzen.

Besonders wichtig ist die Reaktion der SPD, weil viele von ihr erwarten, sie kämpfe für einen Politikwechsel. Jedenfalls will sie ja die Bundestagswahl gewinnen. Doch hatte ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz schon vor dem Gipfel beim Besuch einer Autofirma gesagt, für eine Übergangszeit werde der Diesel noch gebraucht. Umweltministerin Hendrix hat sich vor, während und nach dem Gipfel nur vorsichtig von Dobrindt distanziert. Ihr Hauptpunkt und der ihrer Partei ist, daß die Kontrolle der Industrie nicht mehr allein in Dobrindts Hand verbleiben dürfe. Doch wenn ihr Ministerium kontrollieren würde, wäre das schon die Lösung? Man zweifelt daran, wenn man ihren Kommentar zum Gipfel hört: Die Autohersteller hätten erkannt, dass es einiges wiedergutzumachen gelte. Glaubt sie das wirklich? Hat sie nicht gelesen, daß nach dem Gipfel die Aktienkurse der Hersteller gestiegen sind, offenbar weil sie so billig davongekommen sind?

Das Beste ist, dass das Thema nicht aus den Schlagzeilen kommt. In diesen Tagen muss sich Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil gegen den Vorwurf verteidigen, er habe eine Einflussnahme des VW-Konzerns auf seine Regierungserklärung 2015 zugelassen, ja selber veranlasst. Seine damalige Kritik am Konzern wurde diesem für Korrekturvorschläge zugeleitet. Die meisten Vorschläge wurden dann zwar nicht übernommen, eine aber doch: Während im Entwurf noch stand, VW habe gegen Gesetze verstoßen und Vertrauen missbraucht, hat VW daraus gemacht, es sei gegen Gesetze verstoßen und Vertrauen missbraucht worden. Diese Anonymisierung hat Weil sich zu eigen gemacht. Wenn er jetzt sagt, Kritik daran sei ein Wahlkampfmanöver der Union, zeigt das doch nur, wie wichtig es ist, den Wahlkämpfern auf die Finger zu schauen – gerade auch denen der SPD.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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