Nächte in arabischen Gärten

Maerzmusik 2013 Vom Berliner Festival für aktuelle Musik - sechster und letzter Bericht
Ensemble "unitedberlin"
Ensemble "unitedberlin"

Foto: Mathias Bothor/ Berliner Festspiele

Vom Abschlusskonzert gestern Abend bleibt noch zu berichten. "[Um]Brüche", dritter Schwerpunkt der diesjährigen MaerzMusik, bezogen auf die Gegenwart der Region des "arabischen Frühlings": Hat der am Sonntag in irgendwelchen musikalischen Wendungen eine Spur hinterlassen? Es wäre wohl zu platt, so zu fragen. Wollte man eine Beziehung herstellen, wäre sie komplex: Wie es im arabischen Frühling, könnte man sagen, darum ging, ob das westliche Demokratiemodell in der islamischen Welt adaptiert werden kann, gibt es umgekehrt junge arabische Komponisten, die unsere westlichen Ohren für die Sirenenklänge ihrer traditionellen Musik öffnen. Sie tun das, indem sie die mit Vierteltönen durchsetzten Schleifen und Girlanden der arabischen (und auch türkischen) Melodik in modern westliche Kompositions-Schemata eintragen. Natürlich stellt sich dann die Frage, ob sie so nicht den Geist ihrer Musik opfern und entfremden.

Bei einem Stück wie Escalay von Hamza el Din (1971) möchte man die Frage bejahen. Der 1929 geborene Ägypter gilt als Pionier der "Weltmusik", die mit etwas Bosheit als Nivellierung der Kulturen charakterisiert werden könnte. Escalay, zu Deutsch "Wasserrad" - das der Ochse am Nil in Bewegung setzt -, ist ein Stück für Djoze und Streichquartett, das eine ein auf Vierteltöne gestimmtes arabisches Instrument, eine Art Banjo, das andere, wohltemperiert, uns seit Haydn geläufig. Auf dem oder der Djoze hatte Bassem Hamar, begleitet von Saad Tharmir auf einer traditionellen Trommel, zuvor alte irakische Lieder gespielt. Wenn nun deren Schleifen und Girlanden im Rahmen europäischer Streichquartettmusik erklingen, wechseln sie, obgleich selber unverändert, ihren Charakter: indem ihre originäre Ortlosigkeit, das selbst als "Schweben" zu bildhaft beschrieben wäre, auf das reduziert wird, was im europäischen Tonartensystem die Dominante heißt. Die Schleifen umkreisen sie, die ihnen wesensfremd ist, und übersetzen sich so in ein vorgebliches Wissen darüber, wohin sie wollen und nicht können - zum Grundton nämlich. Ist doch die Dominante das Sprungbrett zur Tonika. Wenn sich El Din davor zwar rettet, seine Musik auf den Grundton direkt zurückzuführen, entkommt sie doch dessen längerer Leine nicht.

So kritisch ich diese Zeilen niederschreibe, muss ich auch sagen, dass Escalay für mich eine Offenbarung war. Ich glaubte nämlich die Genese der unsern Ohren so vertrauten spanischen, das heißt andalusischen Folkloremusik nachvollzogen zu haben. Gerade dass diese Musik, wie wir sie aus George Bizets Carmen oder Manuel de Fallas Nächten in spanischen Gärten kennen, im Schwebezustand der Dominante zu verweilen liebt, macht ja für uns ihren exotischen Reiz aus. Hier kann wirklich mit Recht von einem Schweben gesprochen werden, weil es die Spannung zur vermiedenen Tonika ist, die das Ohr der andern Europäer erregt, in deren Staaten niemals Mauren geherrscht haben. Es ist klar, dass sie zu Carmen passt, der Gesetzlosen! Wenn es aber stimmt, dass ihr jene Schleifen und Girlanden zugrunde liegen, die noch heute in arabischen Liedern erklingen, dann muss von ihrer spanischen Version gesagt werden, dass sie da schon zum zahmen Haustier geworden ist. An die Kette muss sie immerhin gelegt werden, die vormals an Wüstenluft gewöhnte Löwin. Ganz ungefährlich ist sie denn doch nicht geworden.

Ich frage mich, was ich aus den Vierteltönen, "Schleifen und Girlanden" heraushöre, wobei ich mich für die Monotonie des von mir ständig wiederholten Ausdrucks entschuldige - mir fehlen einfach die Worte, solche Musik im Detail zu beschreiben, doch rechne ich darauf, dass fast jede(r) sie schon mal gehört hat. Was teilt sie mir mit? Sie scheint von einer Gestaltlosigkeit zu sprechen, mit der hoffend oder sehnsüchtig die Gestalten des Tages umgeben werden: als mit der Möglichkeit, dass sie auch anders sein könnten. In einer Komposition des Libanesen Karim Haddad für Kontrabass solo wird es ausgesprochen, indem ihr ein Gedicht von Ezra Pound zugrunde liegt, und es bestimmt den Titel: And the days are not full enough (2012); das Gedicht geht weiter: "And the nights are not full enough / And life slips by like a field mouse / Not shakung the grass". Das könnte vom arabischen Frühling gesagt werden, aber es kann von allem gesagt werden.

Solche Musik scheint an einem Begriff von Möglichkeit, auch von Unendlichkeit festzuhalten, wie ihn Aristoteles noch hatte, der uns Europäern von den Mauren überliefert wurde: einer Unendlichkeit, die nicht in die Ferne ausgreift, sondern nur auf der Unbekanntheit des Grenzverlaufs der nahen Sachen, bevor sie "geformt" sind, beharrt.

Bei Escalay, wie gesagt, kann man sich fragen, ob diese Haltung nicht im Zuge der Eingemeindung in europäische Musik verloren geht. Doch das ist ein älteres Stück. Die übrigen Kompositionen des Abends sind 2003, 2006 und 07, 2012 und 13 entstanden. Hier hat man den ganz anderen Eindruck, dass die europäische Musik sich mächtig anstrengen muss, um wenigstens annähernd den Rahmen bereitstellen zu können, in dem uns arabische Musik allenfalls verständlich wird. Die Europäer und US-Amerikaner haben Wege ins Unbestimmte doch erst im 20. Jahrhundert entschlossen gesucht, und gerade bei Schlagwerke-Experimenten, dem anderen Schwerpunkt des Festivals. Daran knüpfen die jungen arabischen Komponisten nicht an, wohl aber an der elektroakustischen Spektralanalyse (Alif, 2007, des Anglo-Marokkaners Brahim Kerkour) oder auch an der Engführung der Tonhöhenverläufe zum Cluster, wie man sie von Ligeti kennt (Instability, 2003, des Ägypters Amr Akba, oder Madih, 2006, des palästinensischen Israeli Samir Odeh-Tamini - ich gestehe, dass mein Gedächtnis hier versagt). Solche modernen westlichen Wege sind gerade gut genug, dem Anliegen der Araber einen halbwegs unentfremdeten Kontext zu verschaffen.

Zur Vervollständigung erwähne ich noch die Uraufführung von Tahila. Zwei Wiegenlieder fürAbraham. Der Komponist Iyad Mohammad ist palästinensischer Abstammung. Leider wurde dies wichtige Werk - es stellt ein palästinensisches und ein jiddisches Wiegenlied in den Kontext aktueller europäischer Musik - nicht angemessen zur Aufführung gebracht, so dass ich auch nichts weiter dazu sagen kann. Denn natürlich kenne ich beide Wiegenlieder nicht und konnte ihre Spuren im Stück daher nicht verfolgen. Sie hätten vor der Aufführung für sich vorgestellt werden müssen.

Mit diesem Bericht endet meine Begleitung der diesjährigen MaerzMusik. Wie immer kann ich nur Danke sagen, stellvertretend sicher für die meisten Besucher des Festivals, dafür, dass es unsern Horizont erweitert hat. Nicht zuletzt haben das die Komponisten getan, die am Sonntag zu hören waren , und die aufführenden Künstler: das ensemble unitedberlin „& friends“, das sind die schon erwähnten Bassam Hamar und Saad Tharmir sowie Osama Abdulrasol, Samir Mansour und Adnan Schnan. Ferenc Gábor war der Dirigent.

Beiträge zu früheren MaerzMusik- und auch den Berliner "Musikfest"-Festivals können Sie von hier aus aufschlagen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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