Der Rechtsruck ist gescheitert. Die deutsche Gesellschaft lässt sich nicht von der AfD vor sich hertreiben. Selbst wenn es dieser Partei gelingt, Teilen der politischen Klasse die Marschrichtung vorzugeben, die Bevölkerung zieht nicht mit. Die Aktivitäten des Bundesinnenministers Horst Seehofer waren für große Teile des bayrischen Elektorats, besonders Frauen, der Anlass, sich von der CSU abzuwenden. Nicht nur in Bayern, auch in Berlin wurde illustriert, was die Bevölkerung von der rechten Dynamik hält. Knapp eine Viertelmillion Menschen versammelten sich hinter einem Aufruf, der nicht nur jeglichen Rassismus zurückwies, sondern auch den Abbau des Sozialstaats anprangerte: die Misere des Bildungs- und Gesundheitswesens, die Wohnungsnot, den Niedriglohnsektor und vor allem die Agenda 2010.
Darin zeigt sich auch, dass die Menschen wissen: Für die rechte Dynamik sind nicht nur rechte Parteien verantwortlich. Die Agenda 2010 ist das Werk des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Nicht nur auf den Straßen Berlins, auch in Bayern sieht man in der SPD keine Alternative mehr zur CSU. Beide Parteien wurden abgestraft. 2013 summierten sich ihre Stimmanteile auf 68,3 Prozent, jetzt haben CSU, AfD und SPD zusammen 57,1 Prozent. Dem entspricht der relative Wahlsieg der Grünen, die von CSU und SPD etwa gleich viele Stimmen abziehen konnten.
Dass die rechte Dynamik gestoppt ist, heißt weder, dass sie nicht schon viel zu viel Terrain gewonnen hat, noch dass nicht weiter versucht werden wird, sie zu befeuern. Selbst wenn sich Seehofer in Zurückhaltung üben oder zurücktreten würde – sein Projekt werden andere übernehmen: die AfD-Losung „Merkel muss weg“ doch noch zu realisieren. Das vergangene Wochenende lässt allerdings erwarten, dass es auch in künftigen Landtagswahlen zugehen wird wie in denen der vergangenen Jahre: Wenn ein Landesverband signalisiert, dass er rechter als Angela Merkel sein will, werden ihm die Wähler und Wählerinnen nicht folgen. Wenn er, deutlicher gesprochen, signalisiert, dass er der CDU von 1992 nachtrauert. Denn darum geht es bei den Auseinandersetzungen heute.
Der CDU gelang es in jenem Jahr, eine sogenannte Neuregelung des Asylrechts durchzusetzen, die in Wahrheit dessen Abschaffung war. Nur Asylbewerber, die nach Deutschland kamen, ohne vorher Europa durchquert zu haben, hätten ihm zufolge noch die Chance gehabt, zu bleiben. So gut wie niemand also. Von einer AfD brauchte sich die Partei damals nicht treiben zu lassen, weil jene in ihr noch integriert war. Dafür ließ sie sich von denen bestimmen, die 1991 in Hoyerswerda ein Flüchtlingswohnheim mit Steinen und Brandsätzen angriffen. Man vergesse nicht: Auch an jenem fundamentalen Rechtsruck war die SPD beteiligt. Ohne ihre Zustimmung hätte der Vorstoß der CDU keinen Erfolg gehabt.
Als Flüchtlinge vor allem aus Syrien 2015 vor der bayrischen Grenze standen, hätte Merkel sie nach den Regeln von 1992 zurückweisen können, hat es aber nicht getan. Darin zeigte sich eine gewisse Zivilisierung, der sich die CDU in der Zwischenzeit unterzogen hatte. War es ein Wunder, dass sie nicht die ganze Partei erfasste? Nein, es war natürlich, dass ein Teil der Partei nicht mitzog. Einmal vorhanden, wurde die AfD zur Projektionsfläche vieler, auch widersprüchlicher Bedürfnisse. Wer sie wählt, lässt sich aber den rassistischen Tenor und die gezielte Verharmlosung der NS-Zeit mindestens gefallen. Ein Grund, vor der AfD Angst zu haben, bestand gleichwohl nicht, da sie eben nur den Rückzug besonders hartgesottener Rechter verkörpert, die in der CDU keine Zukunft mehr hatten. Dennoch gibt es Kräfte, die uns seit Jahren einreden, man müsse der AfD Zugeständnisse machen. Darin bestand eigentlich der Rechtsruck, der nun vorläufig gestoppt wurde.
Die Auseinandersetzung ist nicht beendet, gezeigt hat sich aber am vorigen Wochenende, wie viel von unserem Handeln abhängt. Immer wieder lesen oder hören wir in den Medien, dass die rechte Dynamik so etwas wie eine historische Tendenz sei, die ganz Europa und mit Verspätung nun auch Deutschland erfasse. Dieser Determinismus hat zur verfehlten Angst vor der AfD nicht wenig beigetragen. Besonders im Blick auf die ostdeutschen Bundesländer muss man sich das klarmachen. Dort ist der Rechtsruck noch nicht gescheitert. Die AfD ist zwar auch dort nur eine Minderheit, aber eine stärkere als im Westen. Der Grund liegt natürlich nicht darin, dass Ostdeutsche rassistischer wären als Westdeutsche. Aber sie wurden, was Arbeit und Soziales angeht, viel stärker abgehängt als diese. Manche haben deshalb die AfD gewählt. Sie haben gehandelt, nun muss die Linke handeln.
Das Angebot, das sie ihnen machen kann, ist Kampf an ihrer Seite für ihre sozialen Rechte unter der Bedingung, dass sie aufhören, ihren Protest rassistisch zu artikulieren. Didier Eribon hat den Weg gewiesen: Es geht darum, „einen Resonanzraum zu organisieren“ – jenseits der AfD –, in dem Benachteiligte ihre Stimme erheben können und gehört werden; es gilt, „eine politische Sichtweise auf die Realität zu konstruieren“ – wie die AfD es getan hat, aber ganz anders –, „Theorien und Sichtweisen, die neue Perspektiven erschließen“, vor allem indem sie zeigen, wie die Herrschaft bekämpft werden kann und dass Migranten auch nur deren Opfer sind. Von solchen Theorien und Sichtweisen sind wir selbst noch weit entfernt.
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