Bundespräsident Joachim Gauck, der uns wiederholt lobte, wir lebten jetzt alle in Freiheit und nichts sei wichtiger als das, hat aus Anlass der Flüchtlingskrise noch kräftigere Worte gefunden. Das Engagement vieler freiwilliger Helfer bezeuge „ein helles Deutschland“, sagte er beim Besuch eines Flüchtlingsheims: „Das stellt sich dem Dunkeldeutschland leuchtend gegenüber, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte oder gar fremdenfeindlichen Aktionen gegen Menschen hören.“
Woher rührt das Unbehagen, das man bei solchen gut gemeinten Sätzen empfindet? Sie haben ja auch eine gute Seite. Als vor über 20 Jahren schon einmal eine Flüchtlingskrise, die viel harmloser als die heutige war, über Deutschland hereinbrach, wichen die etablierten Parteien vor dem Terror des braunen Mobs zurück und höhlten den Asylparagrafen des Grundgesetzes aus. Heute ist es anders, die Politiker zeigen Flagge. Mit der Rede vom „Dunkeldeutschland“ stachelt Gauck die Bevölkerung an, sich den Flüchtlingshelfern anzuschließen.
Dennoch war sein Auftritt problematisch. Bevor Politiker dazu auffordern, man möge sich auf die richtige Seite stellen, sollten sie die Seiten erst einmal erhellend bestimmen, das heißt zeigen, wo die Trennlinie zwischen ihnen verläuft. Zwischen hell und dunkel? Mögen die Helfer hell sein, für ein helles Deutschland stehen sie noch lange nicht. Vor der Flüchtlingsunterkunft Berlin-Zehlendorf, um ein Beispiel zu nennen, standen Helfer Schlange und mussten irgendwann abgewiesen werden. Zehlendorf ist ein wohlhabender Bezirk. Je wohlhabender man ist, desto leichter fällt die Helle. Was wäre aber Gaucks Botschaft an die, von denen Bert Brecht sagt: „Die im Dunkeln sieht man nicht“? Und warum tritt Gauck nicht vor großen Unternehmen auf? Ich habe noch nicht gehört, dass Aldi eine schöne Summe gespendet hätte.
Noch mehr fast als von seiner sozialen Unempfindlichkeit ist man von Gaucks Wortwahl betroffen. Er ist Pastor und spielt mit der Bibel: „So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts“, heißt es im Römerbrief. Paulus glaubte so sprechen zu können, weil er meinte, Weltende und Jüngstes Gericht stünden kurz bevor. Denn der Satz ist begründet durch den vorausgehenden: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen.“ So eine Sicht auf Deutschland 2015 anzuwenden, ist absurd und blasphemisch. Wie es, nach biblischem Maßstab, auch blasphemisch ist, eine Freiheit zu behaupten, die fix und fertig vorhanden wäre.
Die Folgen werden nicht ausbleiben. Frei und unfrei, hell und dunkel, schon länger haben sich Politiker der USA in solchen scheinbar glasklaren Dichotomien bewegt. Hier die „freie Welt“, dort das „Reich des Bösen“. Kehrseite war immer der Krieg, angesagt und gerechtfertigt von einem Imperium. Imperien brauchen solche Selbstbilder. Ist es ein Zufall, dass derselbe Gauck so hell und dunkel spricht, der Deutschland auch zu mehr militärischem Engagement ermuntert? Schließt er sich denen an, die Deutschland raten, imperial zu werden?
Den dunklen Aktionen der Rassisten steht keine pure Helle gegenüber. Von hellen Politikern erwarten wir mehr. Sie müssen Schlechterverdienenden die Angst nehmen, Flüchtlinge nähmen ihnen etwas weg. Dazu braucht es Taten, nicht nur Worte. Und anerkennend, dass es etwas wie Angst vor dem Fremden gibt, müssen sie Ängstliche auffordern, trotzdem zu helfen.
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