Das 64. Heft der Zeitschrift Kulturrevolution trägt den Titel "foucault und/oder ideengeschichte". Diesem Thema widmete sich im November 2012 eine Tagung, deren Referate hier abgedruckt sind. Es ist die typische Dienstleistung einer Zeitschrift mit sowohl wissenschaftlichem als auch politischem Anspruch, die in beiden Flussbetten gegen den Strom schwimmt und genau weiß, was sie will. So haben ihre Autoren von Anbeginn – das erste Heft erschien 1982 – mit Michel Foucaults Ansatz gearbeitet, zu einer Zeit, als er in der deutschen akademischen Szene noch weit mehr angefeindet wurde als heute. Direkt mit dem französischen Philosophen oder seinem Schlüsselbegriff der „Diskurse“ befassten sich schon etliche Ausgaben: „Diskurs-Macht-Hegemonie“ (Nr. 17/18), „foucault mit luhmann“ (Nr. 47), „Arbeiten mit Foucault“ (Nr. 31) und andere.
Ging es in den beiden erstgenannten Heften um Foucaults Verortung im wissenschaftlich-politischen Frageraum (Nr. 17/18 hätte wegen der Betonung von „Hegemonie“ auch „Foucault mit Gramsci“ überschrieben sein können), so wird der französische Denker in der aktuellen Nummer zu neuesten akademischen Entwicklungen ins Verhältnis gesetzt. Die Vorstellung einer linear und kontinuierlich verlaufenden Ideengeschichte war ja gerade das, was Foucault destruieren wollte. Dadurch veranlasst ist aber ein reformiertes Konzept von Ideengeschichte entstanden, gegen das sich nun wieder die dokumentierte Tagung wendet. In der geht es außerdem um eine von vielen neuerdings behauptete Ablösung: des „linguistic turn“, also der Wende zur Beachtung des Sprachlichen statt nur des „Bewusstseins“ in früher so genannten „Geisteswissenschaften“, durch einen „iconic turn“, der den Hauptakzent auf die Rolle setzt, die Bildsignale in der Textorganisation spielen. Dass dieses neue Paradigma etwas mit der Ausbreitung des Internets zu tun hat, ist klar, dass es in Foucaults Bestimmung von „Diskursen“ eingreift, ebenfalls.
Die Zeitschrift hat sich keineswegs sklavisch an den französischen Philosophen gehängt. Das war einer Zeitschrift für „angewandte“ Diskurstheorie, so ihr ständiger Untertitel, gar nicht möglich, denn ein Ansatz, mit dem man praktisch arbeitet, bleibt nur in der Weiterentwicklung vital. Die „kRR“, wie sich das Blatt gern abkürzt, will der praktischen (Oppositions-) Politik aufhelfen: Da musste es Begriffe zu entwickeln versuchen, die so übergreifend sind wie die Politik selber. So wurde der Begriff des „Interdiskurses“ gefunden, so setzten sich viele Hefte mit den „Kollektivsymbolen“ auseinander, die in unseren Medien verwirrend herumgeistern. Zu ihnen gehört etwa alles, was vom Auto herrührt, wie die „gebremste“ Konjunktur, der politische „Geisterfahrer“, oder vom Fußball, wie die Partei, die sich „ins Abseits“ stellt.
Die Wirksamkeit solcher schein-evidenter Symbolik sollte nicht unterschätzt werden. Auch der „Normalismus“ ist so ein übergreifender Begriff: Abgesehen davon, dass er die Verwechslung von Normen und Normalverteilung aufzeigen will, bezeichnet er auch eine Integrationsklammer, die alle Subsysteme der Gesellschaft auf intellektuell bescheidende und doch sehr wirksame Art miteinander gleichschaltet.
Interdiskurs, Kollektivsymbolik, Normalismus: All diese fruchtbaren Begriffe kommen aus einer Werkstatt – der des Bochumer Literaturwissenschaftlers Jürgen Link, der die Zeitschrift gegründet hat. Wie die Zeitschrift Kommune konnte sie Ende letzten Jahres ihr „30.“ feiern, doch im Unterschied zu jener macht sie weiter und hat noch viel vor.
Kommentare 4
Ich habe den ersten Satz des Artikels wieder eingefügt, der hier weggefallen war in den ersten 16 Stunden. Ich fand auch den Subtitel im Print besser: „M.J. über das beharrliche Weiterleben der Zeitschrift ‚Kulturrevolution‘“. Das ist in der Tat das Thema des Artikels. Sollte etwa sogar ein Zusammenhang zwischen dem Austausch des Subtitels und dem Verschwinden des ersten Satzes bestehen (Wiederholung von „das 64. Heft“ vermeiden)? Ich will es nicht hoffen. Jedenfalls mußte ich auch den Subtitel rückgängig machen, wo hier in den ersten 16 Stunden stand „Das 64. Heft der Zeitschrift ‚Kulturrevolution‘ nimmt sich Michael Foucault zur Brust“.
Klingt interessant, aber auch ziemlich anstregend. ^^
Lieber Michael,
wie auch @SIKKIMOTO schreibt, klingt es interessant und auch anstrengend.
Leider habe ich wegen meiner jahrzehntelangen Abwesenheit aus dem "Christlichen Abendland" wenig bis gar keine Zeit gehabt, der innerdeutschen, innereuropäischen Diskussion über Kulturrevolution beizuwohnen.
Das Thema selbst ist aber für uns alle mehr als wichtig. In meinem aktuellen Studium über die Herausbildung einer christlich geprägten Post-Inkakultur in Lateinamerika stosse ich auf das Treiben der katholischen Kirche und ihrer "Inkulturation" der "salvajes", der "Wilden", durch verschiedene Orden und Kongregationen. Analog verhält es sich mit protestantischen Sekten bis heute. Das Thema bekam in den letzten 25 Jahren besondere Bedeutung durch die international (vonseiten der UN) anerkannten Rechte der indigenen Völker auf eigene Kultur, Zivilisation und Territorium. In diesem Zusammenhang müsste völkerrechtlich das fortwährende Treiben von Missionen der päpstlichen Kirche und protestantischer Sekten geächtet werden.
Was mir daran hochstösst, ist die Schaffung des europäischen christlichen Abendlandes etwa 800 bis 700 Jahre vor Beginn der Wüterei der Rö.Ka.Ki. in Lateinamerika. Die Durchdringung der Kirche mit ihrer selbsternannten herrschenden Kulturauffassung in den germanischen/slawischen Raum mit bis dahin grosser Diversität von Zivilisationen und originären Kulturen kam einer ungeheuren kulturellen Revolution gleich, wie später in Lateinamerika, dem Neuen Kontinent. Wir alle sollten uns einmal bildlich in unsere Vorfahren hineinversetzen, wie ihre Seelen mit Schwert und Bibel in die Spur gezwängt wurden, die wir heute als so verteidigungswert ansehen.
LG, CE
die krr ist auch gut für lehrer, die "am ball bleiben wollen", germanisten, philosophen, soziologen,... sind doch aktuelle medien vielbesprochen dort, unter anderem.