Nur nicht planen

Emissionshandel Ist Jürgen Trittin ein "Verpackungskünstler"?

Obwohl das Umweltprotokoll von Kyoto bis heute nicht in Kraft treten konnte, weil die Ratifizierung zum Beispiel Russlands und der Vereinigten Staaten aussteht, folgt die Europäische Union schon seinen Vorgaben. Und so folgt ihm auch Deutschland. Weil es das EU- Land mit dem größten Schadstoffausstoß ist, muss es am meisten zu dessen Minderung beitragen: 21 Prozent bis 2012 gegenüber 1990. Dass davon zur Mitte des vorigen Jahres 18 Prozent schon erreicht waren, berechtigte nicht zum Optimismus. Denn dieser "Erfolg" geht zu 80 Prozent auf die Jahre bis 1995 zurück. Er spiegelt den Zusammenbruch der ostdeutschen Industriestrukturen. Bis Ende 2001 hatten sich die Emissionen EU-weit um nicht mehr als 2,3 Prozent verringert. Sie waren 2001 wieder um ein Prozent gestiegen. 2002 stiegen sie weiter. Die Europäische Umweltagentur forderte deshalb im Mai 2003 zusätzliche Maßnahmen ein, ohne welche man die Ziele von Kyoto verfehlen werde.

Die Emissionsminderung soll durch ein System des Handels mit Emissionsrechten herbeigeführt werden. Es funktioniert so: Großemittenden wie die Energieerzeuger, Zementwerke und Papierproduzenten nehmen am Handel teil, sie werden mit Zertifikaten ausgestattet. Die Zertifikate legen eine Obergrenze erlaubter Emissionen fest. Wenn jemand mehr emittieren will, kann er Zertifikate von anderen dazukaufen. Das wird er dann tun, wenn ein solcher Kauf billiger ist, als es die Umrüstung veralteter Anlagen zu Anlagen mit verminderter Emission wäre. Umgekehrt werden Zertifikate dort lieber verkauft als eingekauft werden, wo die Umrüstung am wenigsten kostet. Das System zwingt also nicht zur Wahl zwischen Mehrkosten und Einschränkung der Produktion; es belohnt den technischen Fortschritt. Die Großemittenden sind damit im Vorteil gegenüber anderen Emissions-Verursachern wie vor allem den privaten Endverbrauchern, den Haushalten und Verkehrsteilnehmern. Denn auch diese tragen durch höhere Strom- und Benzinpreise zur Erfüllung des Kyoto-Protokolls bei, haben aber keine Chance, für weniger Fahren oder Heizen einen Handelserlös herauszuschlagen. Die Wahl zwischen Mehrkosten und Einschränkung, die den Nutznießern des Zertifikatsystems unter Umständen erspart bleibt, ist ihnen aufgezwungen.

Bis zum 31. März 2004 wollen alle EU-Länder ihre nationalen Allokationspläne, das heißt die Verteilung der Zertifikate auf die Großemittenden, nach Brüssel gemeldet haben. In Deutschland sind 2629 Anlagen betroffen. Vorteil hin oder her, deren Eigentümer laufen nun Sturm. Je näher der Termin rückt, desto dreister versuchen sie und ihr Anhang, die verlangte unternehmerische Bewährungsprobe auf andere abzuwälzen. Es reicht ja, wenn die Arbeitslosen ihren Innovationswillen beweisen, wozu ihnen bekanntlich die "Agenda 2010" Gelegenheit gibt. Zum Anhang der Unternehmer gehört Bundeswirtschaftsminister Clement. Ende Januar 2004 brach der Streit zwischen ihm und dem Bundesumweltminister offen aus. Jürgen Trittin hatte den Entwurf des Allokationsplans vorgelegt und war auf den Widerspruch des BDI-Präsidenten Michael Rogowski gestoßen. Sogleich hieß es, Trittins Entwurf werde "Gegenstand weiterer Beratungen" zwischen dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium sein.

Rogowski berief sich auf mündliche Zusagen Clements und auch des Bundeskanzlers, die Industrie brauche erst von 2008 an mit der Emissionsminderung zu beginnen. Daraus leitete er das Recht der Industrie ab, zum Einführungszeitpunkt am 1. Januar 2005 "bedarfsgerecht" mit Zertifikaten versorgt zu werden, das heißt genau den Schadstoff, den sie nun einmal ausstößt, als verbrieftes Recht zugesprochen zu bekommen. Trittin will aber schon bis 2008 eine Minderung um 3,4 Prozent des heutigen Stands erreichen. Wenn sich die Minderung nicht auf alle Jahre bis 2012 verteilt, wer soll dann glauben, dass die Industrie 2008 mit verdoppelter Jahresleistung einsteigt? Sie und der Kanzler spielen doch nur wieder auf Zeit - wie beim angeblichen Atomausstieg.

In den folgenden Wochen setzte das Unternehmerlager, unterstützt von den Gewerkschaften der betroffenen Branchen, die bewährte Nebelwerfermaschine in Gang. Vom Gegenstand des Streits war immer weniger die Rede, stattdessen ging es um die Vernichtung des deutschen Wirtschaftsstandorts, ja um Trittins Versuch, die Planwirtschaft wieder einzuführen. Der Emissionshandel war einmal als marktwirtschaftliches Instrument hochgelobt worden. Aber als Trittin sagte, jetzt komme "Marktwirtschaft in den Klimaschutz", nannte die FAZ ihn einen "Verpackungskünstler". Der Vorwurf richtet sich gegen Trittins Plan, die Zuteilung von Zertifikaten am Wirkungsgrad moderner Gas- und Dampfkraftwerke auszurichten. Der Wirkungsgrad bezieht die Energie- und damit die Emissionsmenge auf die Produktmenge. Er ist ein Maß ökologisch erwünschten technischen Fortschritts. Trittins Plan bedeutet: Für alle Anlagen, die einen geringeren Wirkungsgrad als jene modernen Anlagen erreichen, müssen Zertifikate dazugekauft werden. Eine ökologisch sinnvolle Produktionsverlagerung von Kohle auf Gas wäre die Folge.

Anfang März holte das Bundeswirtschaftsministerium zum finalen Schlag aus. Der dort angesiedelte Wissenschaftliche Beirat stellte das Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien (EEG) in Frage. Es werde in dem Maße sinnlos, wie der Emissionshandel greife. Wahrscheinlich ist das der Versuch, dem Umweltminister eine Art Paketlösung aufzunötigen: Lass du der Industrie ihren Schadstoff, dann lassen wir dir deine Windmühlen. Aber es muss ja auch argumentiert werden. Der Beirat macht eine neue Rechnung auf: Durch das EEG werde die Verfeuerung von Kohle und Gas und die damit verbundene Emission zurückgedrängt. Die Eigentümer entsprechender Anlagen könnten folglich unbrauchbar gewordene Zertifikate verkaufen. Die Folge sei dann nur, dass die Schadstoffe bei den Käufern ausgestoßen würden. Die Emissionsmenge bleibe die gleiche, nur dass nicht mehr Deutsche, sondern Unternehmer in Ländern, die kein EEG kennen, an Kohle und Gas verdienten. Ausländer!

Es ist barer Unsinn, weil der erwartete Effekt des EEG im nationalen Allokationsplan natürlich schon berücksichtigt ist. Was werden wir uns noch alles anhören müssen? Bald wird sicher auch der Bundeskanzler mit der Mahnung, man dürfe die Industrie nicht überfordern, das Wort ergreifen. Aber sein Vorbild Tony Blair will die Vorgaben von Kyoto sogar übertreffen. Wenn ab Mitte Mai Ökologen die "Klimastaffel 2004" durch Deutschland tragen, haben sie ihr aktuelles Thema. Die Staffel kommt gerade recht, den innovationsfaulen Bären den Pelz zu waschen.

Informationen zur "Klimastaffel": europe@klimabuendnis.org;

www.klimabuendnis.org


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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