Opposition in Zeiten der großen Koalition: Natürlich haben Linkspartei, Grüne und FDP gegen die Gesundheitsreform protestiert - Linkspartei und Grüne mit sehr ähnlichen, die FDP mit ganz anderen Argumenten -, aber man hat kaum hingehört. Die Inszenierung der großen Einheitspartei mit ihrem Unions- und SPD-Flügel, die bei der letzten Bundestagswahl mehr als zwei Drittel der Wähler repräsentierte, erschlägt eben alles. Die Wähler würden sich erst regen, wenn sie die Folgen der Reform zu spüren bekämen - wie bei Hartz IV. Und dann ist es zu spät. Im Moment werden die Wähler vom abstrakten Gerede eingelullt, mit dem die Regierung ihre Reform nicht erklärt, sondern, wie man sagen könnte, durch Totreden totschweigt. Aber sie hat ihre Rechnung ohne die betroffenen gesellschaftlichen Institutionen gemacht. Diesmal hat der Widerstand bei den Krankenkassen und der Gewerkschaft Verdi begonnen.
Dabei ist die Widerstandslinie von Verdi gar nicht unproblematisch. Verdi legt den Akzent darauf, dass der geplante "Gesundheitsfonds" zum Abbau von bis zu 30.000 Stellen bei den Kassen führen könnte. So viele Beschäftigte sind bisher mit dem Beitragseinzug befasst, der künftig Sache des Fonds sein soll. Nun wäre es völlig verfehlt, der Gewerkschaft vorzuwerfen, sie interessiere sich nicht für den notwendigen Strukturwandel, ihr gehe es nur um "Besitzstandswahrung". Im Gegenteil: Der Protest gegen den Stellenabbau ist der nützliche Lärm, mit dem sie die Aufmerksamkeit weckt und darauf aufmerksam macht, dass der Wandel die Struktur verschlechtern würde. So hat sie denn nicht nur ihre Mitglieder auf die Straße geschickt, sondern am Dienstag voriger Woche auch eine Expertenanhörung organisiert. Ein Problem gibt es aber trotzdem. Denn es entsteht durch diese Taktik der Eindruck, als sei der Stellenabbau die sichtbare Außenhaut der strukturellen Fehler des Reformvorhabens. Wenn das so wäre, bräuchte nur der Stellenabbau vermieden zu werden, und man hätte eine fehlerfreie Reform.
Die Koalitionsparteien haben sofort erkannt, dass dies ihr Einfallstor ist. Ausgerechnet Elke Ferner, die stellvertretende Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD, die als Gesundheitssprecherin die Reform selbst mit ausgehandelt hat, sagt nun plötzlich, der Beitragseinzug durch die Kassen sei "das beste Verfahren auf der ganzen Welt", und schlägt vor, man könne es ja beibehalten, nur würden jene 30.000 Beschäftigten das Geld dann eben für den Fonds statt für die Kassen einziehen. Ein paar Tage später schloss sich die bayerische Sozialministerin Stewens dem Vorschlag an. In der Tat, er wäre durchführbar - und am skandalösen Design des Fonds würde sich gar nichts ändern.
Diesen Fonds wollen uns die Koalitionäre als Kompromiss zwischen den Bürgerversicherungsplänen der SPD und der Kopfprämie der Union verkaufen. In Wahrheit hat er mit einer Bürgerversicherung nichts tun, öffnet aber ganz klar den Weg zur Kopfprämie. Eine Bürgerversicherung ist es nicht, weil die Privatversicherten ungeschoren bleiben. In den Fonds fließt wieder nur das Geld von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, dazu ein Steuerzuschuss, der niedriger sein soll, als die Kassen ihn bisher erhielten. Die Bundeskanzlerin wirbt damit, dass die Versichertenbeiträge auf längere Zeit stabil gehalten würden. Die Kehrseite davon ist aber eben die Kopfprämie: Eine solche dürfen die Kassen zusätzlich erheben, wenn sie mit dem Fondsgeld nicht auskommen. Und sie werden angesichts des geringeren Steuerzuschusses bestimmt nicht damit auskommen.
Nun sagen die Koalitionäre, die Zusatzprämien würden zum Kassenwettbewerb im Interesse der Versicherten führen, weil diese zu der Kasse wechseln könnten, die eine geringere oder gar keine Prämie verlangt. Aber das heißt ja, die Politik will zu ihrem Prämienskandal nicht einmal selber stehen, sondern die Verantwortung den Kassen aufbürden. Kann man sich da wundern, dass die Kassen auf die Barrikaden steigen? Ist es nicht absurd, wenn die Gesundheitsministerin nun vorträgt, die Kassen hätten "kein politisches Mandat", also kein Recht zum Protestieren? Wo sie selber ihnen zwar kein Mandat, aber dafür eine politische Büchsenöffnerfunktion - den Kopfprämieneinstieg - aufzuzwingen versucht? Aber es wird nicht funktionieren, nicht einmal wenn es ihr gelingen sollte, den Kassenprotest auf dem Rechtsweg zu ersticken. Denn die Kassen werden sich hüten, in den Wettbewerb um die niedrigste Prämie einzusteigen, wie Herbert Rebscher, der Chef der Deutschen Angestellten-Krankenkasse, schon ankündigte. Stattdessen würden Leistungen gekürzt.
Man kann sich auch hinter der Protestfahne der Kassen nicht sammeln. Wie Verdi den Akzent auf den Stellenabbau setzt, so betonen die Kassen die Verwaltungskosten beim Aufbau des Fonds. Doch auch diese Kosten würden weitgehend reduziert, wenn die Beitragserhebung, nun im Auftrag des Fonds, Sache der Kassen bliebe. Die Versicherten hätten nichts davon. Nein, der Protest muss sich politisieren. An dem, was Elke Ferner erzählt, hat er einen Anhaltspunkt. Sie plaudert nämlich aus, wie es zu der Reform gekommen ist. Ursprünglich war der Fonds eine Idee des SPD-geführten Finanzministeriums; da sollten noch alle in ihn einzahlen. Als der Fraktionsvorsitzende der Union, Kauder, die Idee an die Öffentlichkeit brachte, war schon klar, die Privatversicherten würden ausgenommen. Nun war der Fonds eine Unionsidee geworden, so dass die SPD, wie sich Frau Ferner ausdrückt, nicht mehr "auf ihm bestanden hat". Sie blieb aber doch dabei! Warum nur? - Weil sie hoffte, im Tausch "einen zielgenaueren Risikostrukturausgleich zu bekommen". Danach wären die je nach Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand der Mitglieder unterschiedlichen Finanzrisiken der Kassen vom Staat ausgeglichen worden. Man hat sich hierauf aber nur im Prinzip geeinigt. Über die Ausführung streitet man.
Unterm Strich bleibt einfach, die SPD stimmt dem Einstieg ins Kopfprämiensystem zu. Man muss Verdi und den Kassen dankbar sein, dass sie den Protest eröffnet haben. Im September gibt es zwei Landtagswahlen. Dann wird die bisher so geräuschlose Arbeit der großen Koalition vielleicht zum Politikum.
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