Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linken, und Lorenz Gösta Beutin, Landessprecher der Linken Schleswig Holstein, haben am 28. Juni ein Papier zum „sozialen und ökologischen Systemwandel“ vorgelegt, das schon in der Überschrift den unverwechselbaren eigenen Zugang ihrer Partei kundtut: „Das Klima, nicht den Kapitalismus retten“. Im Folgenden wird nicht nur zu diesem Aufruf Stellung genommen, sondern auch zur innerparteilichen Kritik an ihm, die sich in dem unter freitag.de am 5. Juli veröffentlichten Artikel „Zurück zur sozialen Frage“ von Dana Moriße und Manuel Huff äußert, Mitgliedern des Landesvorstands der Linken NRW. Moriße/Huff nennen den Aufruf zwar nicht, kritisieren aber Aufrufe solcher Art und haben zweifellos genau diesen im Auge. Es bietet sich an, mit ihrem Artikel zu beginnen, weil man, um ihre Kritik zu beurteilen, mehr als die beiden Titel nicht kennen muss – was allein schon ein trauriges Licht auf die innerlinke Debatte wirft.
Denn was Moriße/Huff kritisieren, ist der Umstand an und für sich, dass nicht nur der Kollege Beutin, sondern auch der Parteivorsitzende das Klima als politisch zentrales Thema würdigt. Damit, meinen sie, laufen Riexinger/Beutin den Grünen hinterher, es nütze aber nichts und sei falsch, deren Thema zu übernehmen, schon weil man ohnehin die ökologisch bessere Partei sei; vor allem aber, weil die Linke ein anderes Thema habe, eben die „soziale Frage“. Abgesehen von dieser Grundaussage gehen sie auf den Text von Riexinger/Beutin überhaupt nicht ein. Es stimmt freilich, man kann dort schon im zweiten Satz lesen, dass in Deutschland „die Sorge um das Weltklima ganz oben auf der Agenda“ stehe, und die das schreiben, machen sich die Priorität zu eigen. Die soziale Frage wird deshalb allerdings nicht ausgeblendet, sie steht vielmehr ihrerseits im Zentrum des ökologischen Zentrums, denn weiter unten lesen wir: „LINKE Klimapolitik stellt die Interessen der Menschen, Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit, in den Mittelpunkt. Klimagerechtigkeit heißt in Deutschland für eine sozial gerechte treibhausgasfreie Volkswirtschaft einzutreten, die allen Menschen, nicht nur den Wohlhabenden und Konzernlenkern, nützt.“
Der ganze Aufruf gibt sicher auch Katja Kippings Position wieder, weshalb es umso bemerkenswerter ist, dass von den beiden Parteivorsitzenden allein Riexinger unterzeichnet. Riexinger, der langjährige Gewerkschafter, auch frühere Gewerkschaftsführer – er ist nun wirklich der letzte, dem man mangelnde Leidenschaft für die soziale Frage unterstellen dürfte. Sein erst kürzlich erschienenes Buch Neue Klassenpolitik etwa (Hamburg 2018), mit dem Untertitel „Solidarität der Vielen statt Herrschaft der Wenigen“, zeugt von genauester Kenntnis der sozialen Problemlagen, wie es auch gut durchdachte Kampflösungen anbietet. Seine Alleinunterzeichnung des ökologischen Aufrufs unterstreicht daher noch über diesen hinaus, für wie wichtig die soziale Seite des Ökologischen gehalten wird. Und tatsächlich sagt der Text aus, dass es gar nicht möglich ist, „sozial“ und „ökologisch“ voneinander zu trennen: „Aufgabe der LINKEN ist es, gesellschaftlichen Druck für konkreten sozial-ökologischen Wandel aufzubauen und zu unterstützen.“ Wie im Titel des Aufrufs angekündigt, wird unter „Wandel“ der Ausstieg aus dem Kapitalismus verstanden, denn es folgt die Feststellung, „dass Alternativen zur kapitalistischen Produktions- und Wirtschaftsweise dringend notwendig und machbar sind“. Der Kapitalismus hat die Erderhitzung verursacht und muss deshalb beseitigt werden.
Trotz allem sind Riexiger/Beutin in den Augen von Moriße/Huff nicht bei der sozialen Frage, deshalb rufen sie „Zurück zu ihr“. Klimaschutz? Der werde ja „den Grünen zugeschrieben“. „Das soll nicht bedeuten, dass man das Thema vernachlässigen sollte“, aber im Mittelpunkt soll es eben nicht stehen. Ist das ein hilfreicher Vorschlag für ihre Partei? Ich glaube nicht. Sie wiederholen damit auf ihre Weise, was die SPD in den Ruin getrieben hat: sich auf die Rolle eines „gesamtgesellschaftlichen Betriebsrats“ zu beschränken. So wurde es von führenden Sozialdemokraten in den frühen 1990er Jahren formuliert und das hieß im Klartext, für die großen strategischen Entscheidungen, die den Weg der deutschen Gesellschaft schlechthin betrafen, waren statt der SPD die Unionsparteien zuständig. Die SPD plädierte damit für ihre eigene Subalternität, man kann auch sagen für den ewigen Fortbestand der Klassengesellschaft. Dass sie sich hauptsächlich als Vertreterin der Arbeiterinnenklasse verstand, war ja gut und richtig. Wenn sie dann aber nur „Betriebsrat“ sein wollte, wollte sie die Klasse offenbar nicht auffordern, aus ihrer subalternen Rolle jemals herauszutreten. Moriße/Huff sprechen nicht wie weiland die Sozialdemokraten, aber indem sie es falsch finden, dass ihr Parteivorstand das Thema Ökologie in den Mittelpunkt stellt, bringen sie zum Ausdruck, dass die Linkspartei sich zu den Grünen verhalten soll wie die SPD zu den Unionsparteien. Die Kompetenz, über die Strategie des gesellschaftlichen Wegs zu entscheiden, wird an eine andere Partei abgetreten! Denn Ökologie, die sie den Grünen überlassen, ist heute die strategische Kernfrage unserer Gesellschaft.
Wenn sie gleichwohl beanspruchen, ihr Zugang sei der eigentlich antikapitalistische, ist das wiederum bezeichnend: dafür, dass „Antikapitalismus“ als Leerformel gebraucht werden kann. Was soll man von einem Antikapitalismus halten, der die Ökologie glaubt beiseite lassen zu können? Und was von einer sozialen Frage, die mit Ökologie nichts zu tun hat? Sie kann doch nur von Menschen handeln, die nicht behelligt sein wollen, wenn auf welche Art auch immer die Klimakatastrophe zu stoppen versucht wird. Welche Vorstellung liegt da zugrunde? Dass diese Katastrophe entweder auch vom Kapitalismus bewältigt werden kann oder es gar nicht so wichtig ist, ob sie nun bewältigt wird oder nicht? Ich sehe logisch keine dritte Interpretationsmöglichkeit neben diesen beiden, die Moriße/Huff doch selbst nicht richtig finden. Den Kapitalismus greifen sie zwar an, aber mit welchen Menschen denn zusammen? Was sagen sie den Arbeitern, die für den Erhalt der Kohleindustrie kämpfen? Sie werden doch das Thema Kohle im gemeinsamen Kampf nicht ausklammern.
Haben sie die Wiedervereinigung vergessen?
Unter allen Parlamentsparteien denkt nur die Linke antikapitalistisch, eben deshalb brauchen wir sie. Das Traurige ist, dass sie so wenig daraus macht. Leider trifft dieses Urteil in anderer Weise auch den Text von Riexinger/Beutin. Damit, dass sie das Klima zum „Kernthema der Linken“ machen, gehen sie zwar in die richtige Richtung. Das muss erst einmal positiv hervorgehoben werden. Sie begnügen sich nicht mit einer Betriebsratsrolle für ihre Partei. Auch alles, was sie konkret vorschlagen, kann und muss man begrüßen: Energiewende beschleunigen, Energiekonzerne vergesellschaften, Energiearmut bekämpfen; Umsteuern für eine sozial-ökologische Mobilität der Zukunft; Wohnen bezahlbar für alle und ökologisch; regionale Kreisläufe stärken, gute Nahrungsmittel für alle; sozial-ökologische Innovation in Industrie und Handel, gute und sinnvolle Arbeit für alle, Demokratie in der Wirtschaft; Millionärssteuer für sozialen Klimaschutz und gerechte Übergänge; Klimagerechtigkeit als historische Verantwortung des Nordens, Bekämpfung von Fluchtursachen. Das ist es, was sie unter Ökologie verstehen, und wer glaubt denn, dass von diesen Forderungen viel übrig bliebe, übergäbe man sie ganz einfach den Grünen als der Partei, der die Leute Ökologie „zuschreiben“? Es ist auch richtig, dass die Macht des Kapitals mindestens zurückgedrängt wäre, gelänge es, die Energiekonzerne zu vergesellschaften und Demokratie in der Wirtschaft zu verwirklichen. So weit, so gut! Aber zufrieden kann man nicht sein.
Es ist klar, dass alle Forderungen nur so weit vorangebracht werden können, wie Menschen hinter ihnen stehen, viele, sehr viele Menschen, die gesellschaftlichen Druck dafür ausüben. Der Staat allein wird’s nicht richten, selbst ein Bundeskanzler der Linken könnte es nicht. Jedenfalls könnte er nichts gegen kapitalistische Unternehmer tun, die von willigen Käufern der Waren dieser Unternehmer gestützt werden. Hier liegt aber das ganze Problem sowohl der Ökologie als auch des Antikapitalismus, und man hat nicht den Eindruck, es werde von Riexinger/Beutin erkannt. Selbst da nicht, wo sie gegen den „unnötigen Individual-Autoverkehr“ für Öffentlichen Verkehr Stellung beziehen; denn dass sich „die Bundesregierung zur Dienerin der Autokonzerne macht“, ist zwar wahr, aber dass sich Millionen Menschen, indem sie die Autos abkaufen, zu ebensolchen Dienerinnen machen lassen, ist es ebenfalls. Da reicht es nicht zu sagen, ihr Kaufverhalten sei „unnötig“! „Mit Vorgaben für die Wirtschaft“, lesen wir noch, „gewinnt DIE LINKE die Beschäftigten für eine Neuausrichtung der Automobilindustrie, die ihre Arbeitsbedingungen verbessert und gesellschaftlich wie ökologisch sinnvolle Arbeit schafft.“ Gut, und wie gewinnt man die Konsumentinnen?
Die Konsumentinnen kommen in der beschworenen „Demokratie in der Wirtschaft“ nicht vor, denn wie man weiß und wie hier wiederholt wird, versteht die Linke darunter „Wirtschaftsräte unter Beteiligung der Belegschaften, der Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände sowie gewählter Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen, Länder und des Bundes“. Riexinger/Beutin haben vergessen oder es ist ihnen nie nahe gegangen, dass die DDR-Bürger, als sie zur Wiedervereinigung drängten, unter anderem auch vom westlichen Individual-Autoverkehr angezogen waren, überhaupt vom westlichen Konsumismus – dass sie als Konsumenten wiedervereinigt werden wollten. Nicht mehr jahrelang auf den Trabi warten. Keine staatliche Begrenzung der Tourismus-Wünsche. Zur Wunscherfüllung tragen seitdem die Billigflüge bei, über die sich auch wir Westdeutschen gefreut haben, auch für uns ist da eine Mauer gefallen. Wenn man übertrieben böse wäre, könnte man sagen, Riexinger/Beutin haben den undemokratischen Charakter der DDR nicht begriffen. Auch die Führung dieses Staates fand vieles „unnötig“, anderes nötig und war in ihrem Urteil durchaus nicht blöd. Es geht aber schief, wenn eine Führung sich an die Stelle des Urteils der Gesellschaft setzt, selbst wenn noch so viel dafür spricht, dass die Gesellschaft schlechter urteilt. Eine solche Verfassung führt immer dazu, dass die unmündig Gehaltenen den Unsinn herauspicken, den die Führung gelegentlich spricht – zum Beispiel wenn Walter Ulbricht sich über das „Yeah, yeah, yeah“ der Beatles mokiert und daraus reale Einschränkungen entspringen –, während sie billige Mieten als bloße Gewohnheitssache ganz unwichtig finden.
Sehr viele Menschen, ob aus dem Osten oder Westen kommend – sagen wir ruhig: die allermeisten –, werden auch heute noch vom Konsumismus angezogen. Es ist richtig, das Auto hat an Ausstrahlung verloren. Aber erstens reicht es dann nicht, für mehr und besseren Öffentlichen Verkehr zu sorgen. Gerade die Beschäftigten in der Autoindustrie werden doch deshalb nicht für weniger Autoproduktion kämpfen, schon weil es unter den herrschenden Bedingungen ihre Arbeitsplätze gefährdet. Auch aber, weil sie auch Konsumenten sind und als solche wahrscheinlich nicht in vorderster Autoverächterfront stehen. Zweitens treibt der Kapitalismus selber den Konsumfanatismus aller Bürgerinnen voran. Weil er ihn braucht. Er kann nämlich nicht existieren, wenn er nicht ständig wächst. Nebenbei zerstört er damit die ökologischen Gleichgewichte. Wachsen kann er nur, wenn die Bürgerinnen nicht nur immer weiter konsumieren, sondern der Konsum selber immerzu wächst. Dies wird heute von Wirtschaftswissenschaftlern zunehmend begriffen und betont. So lesen wir im eben erschienenen Buch Der Wachstumszwang (Weinheim 2019) von Mathias Binswanger, dem Schweizer Ökonom, es seien immer weniger „ungesättigte Bedürfnisse, welche das Wachstum in entwickelten Volkswirtschaften antreiben, sondern das Bemühen der Unternehmen, stets neue Wachstumspotenziale zu schaffen. Rein technologisch ist dies kein Problem“, der „Engpass“ indessen „liegt bei den Konsumenten, die von Treibern zu Getriebenen des Wachstums geworden sind, indem man ständig versucht, sie zu weiterem Konsum zu animieren.“ „Nur durch konstante Anstrengungen zur Weckung weiterer Bedürfnisse wird man auch in Zukunft Menschen zum Kauf von immer noch mehr Gütern und Dienstleistungen verleiten können, obwohl ihre grundlegenden Bedürfnisse im Wesentlichen gedeckt sind. Doch in dieser Hinsicht haben kapitalistische Wirtschaften mittlerweile erstaunliche Fähigkeiten entwickelt.“
Wer, wenn nicht die Linkspartei?
Man denke nun nicht, dies sei eine „bürgerliche“ Analyse, es ist vielmehr so, dass bürgerliche Wissenschaftler, und immer noch längst nicht alle, endlich eingeholt haben, was Marx vor hundertfünfzig Jahren als erster erkannte: „Das Kapital als solches setzt nur einen bestimmten Mehrwert, weil es den unendlichen nicht at once setzen kann; aber es ist die beständige Bewegung, mehr davon zu schaffen.“ Das schreibt Marx in den Grundrissen und wiederholt es im Kapital. Es ist seine theoretische Kernaussage überhaupt. Wohl die meisten Marxisten vergangener Epochen haben das nicht gesehen, ihr Marxismus reduzierte sich auf eine Lehre von der Ausbeutung und vom Klassenkampf. Ausbeutung und Klassenkampf hat es aber immer gegeben (wie schon im ersten Satz des Kommunistischen Manifests zu lesen), deshalb ist der Kapitalismus durch diese Begriffe unterbestimmt und in seiner Spezifik überhaupt gar nicht bestimmt. Man muss freilich die Ausbeutung in den Mittelpunkt stellen, aber als spezifisch kapitalistische. Was ist sie dann? Ich hebe jetzt nur hervor, was in unserem Kontext von Interesse ist: Diese Ausbeutung verträgt sich in Deutschland und überhaupt in den Metropolen des Kapitals mit dem Konsumismus der Ausgebeuteten, ja lebt geradezu von ihm; und sie besteht nicht nur, ja nicht einmal hauptsächlich darin, dass der Arbeitslohn und damit die von Arbeiterinnen gekauften Lebensmittel nicht noch knapper bemessen werden – er besteht vielmehr übergreifend darin, dass die Kapitalistenklasse das Recht, über die Verwendung des Mehrwerts zu entscheiden, usurpiert hat. Eines Mehrwerts, der schon bald so gigantisch wurde, dass ihn auch beide Klassen zusammen nicht auffressen konnten, selbst wenn sie es gewollt hätten. Die Kapitalisten verwenden ihn dafür, den Konsumismus immer noch zu steigern, weil sie sich ja auf dem Weg zum „unendlichen Mehrwert“ wähnen – während eine Arbeiterinnenklasse, die den Kapitalismus stürzen wollte, um damit auch die Klassengesellschaft ad acta zu legen, gerade umgekehrt beschließen würde, den Konsumismus zurückzufahren und zu beenden. Dies würde sie, und könnte sie nur, in ihrer Doppeleigenschaft als Produzentinnen und Konsumentinnen tun.
Wer sich an diesem Kampf beteiligt, muss weiterhin begreifen, dass der Konsumismus nicht nur der ständigen Mehrwertsteigerung, sondern auch der beständigen Hegemonie des Kapitals dient. Ich habe das mit meinen obigen Bemerkungen zur Wiedervereinigung schon illustriert. Westdeutschland konnte sich „freie Wahlen“ erlauben, nicht so die DDR. Der Konsumismus war für beides der Grund. Illustrationen finden wir aber jeden Tag. Heute lebt der Kapitalismus vom Smartphone, das so überflüssig ist wie es ökologisch die ärgsten Schäden impliziert. Jahrzehntelang haben wir die Fehlsteuerung der kapitalistischen Ökonomie mit dem zentralen Beispiel Individual-Autoverkehr versus Öffentlicher Verkehr veranschaulicht. So tun es auch Riexinger/Beutin, aber es reicht heute nicht mehr; fast kann gesagt werden, dass daraus inzwischen eine Problemverharmlosung entspringt. Denn wie schon gesagt, ist die Hegemonie des Autos rückläufig, während die der elektronischen Medien unablässig steigt. Wer unter der Parole „Das Klima, nicht den Kapitalismus retten“ kämpft, muss diese aktuelle Hegemonie angreifen. Wieviel solcher Medien pro Mensch und pro Haushalt, wäre die Frage, und wie lange sollen sie in Gebrauch sein.
Eine Partei, die Marx zu ihren Vätern zählt, muss ihm heute Gramsci, der den marxistischen Hegemoniebegriff entwickelte, zur Seite stellen. Dies wurde übrigens von einem wirklichen Spezialisten erkannt, dem chilenischen Diktator Pinochet. Er sagte 1992 zu den damaligen innerrussischen Wirren, sie seien der chilenischen Krise ähnlich, in der er „unmittelbar zugeschlagen“ habe. Das Marx’sche Kapital habe er studiert, darüber hinaus aber auch Gramsci, dessen Lehre ein gefährlicher „Marxismus in neuem Gewand“ sei. Denn in ihm lebe der Kommunismus nach dem Ende des Marxismus-Leninismus weiter. Der Mann hatte recht. Aber warum ist Gramsci „gefährlich“? Weil er ein Demokrat war. Indem er dazu auffordert, die Macht des Kapitals durch die Brechung der kapitalistischen Hegemonie zu bekämpfen, äußert er die eigentlich selbstverständliche Einsicht, dass die Menschen diese Macht wenn überhaupt dann nur freiwillig beseitigen werden. Das heißt nun eben, dass sie sich vom Konsumismus befreien müssten, der sie heute noch bindet. Deshalb ist die Reihenfolge falsch, die etwa Kathrin Hartmann vertritt, oder die ihr vielleicht nur unterläuft, jedenfalls schimmert sie auch im Papier von Riexinger/Beutin durch: „Um die Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse zu ändern, bräuchte es einen kollektiven Aufstand gegen das System, auf den wiederum eine radikale Änderung der Lebensweise des Westens folgen müsste.“ So in der Zeitschrift der Linkspartei zu lesen, LuXemburg, Mai 2018, die sich mit dem Untertitel „Gesellschaftsanalyse und linke Praxis“ schmückt. Nein, es muss beides gleichzeitig geschehen, denn wenn der „kollektive Aufstand“ die „radikale Änderung der Lebensweise“ nicht schon einschließt, wer sollen dann seine Trägerinnen sein?
Wer, wenn nicht die Linkspartei, wäre berufen, der Änderung der Lebensweise den entscheidenden Schub zu geben? Der würde darin bestehen, dass man Verhältnisse fordert, in denen die von den Menschen gewollte Lebensweise die Wirtschaft absolut verpflichtet. Es ist Marx‘ Ziel gewesen, es wäre der demokratische Kommunismus: Einen „Verein freier Menschen“ würde es geben und von dieser Freiheit der Gebrauch gemacht, „die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen“ zu „regeln“. Die Regelung geschähe durch freie Wahlen, statt dass ein Staat, mag er sich auch sozialistisch nennen, sie usurpiert. Nur wenn die Menschen wissen, dass es das ist, wofür sie kämpfen, werden sie bereit sein, die Änderung ihrer Lebensweise, ihrer heute vielfach kapitalistisch geprägten Bedürfnisse, zu wählen. Denn nur dann würde ihr Wille zur Änderung praktisch umgesetzt, statt dass es beim Kapitalismus bleibt, der ihn konterkariert. Doch auch Riexinger/Beutin sind noch weit entfernt, ihnen ein solches Kampfziel vorzuschlagen.
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