Ökologische Fragen und Antworten

Eine Korrespondenz Brauchen wir den Systemwechsel?

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Ihre Freitag-Redaktion

Der Blogger, der sich „Moorleiche“ nennt, hat mir unter meinem Artikel Noch viel grüner werden ein paar grundsätzliche Fragen gestellt, auf die ich dort auch geantwortet habe. Und auch andere haben es dort schon getan. Ich hielt es für sinnvoll, unsere Korrespondenz hier noch einmal gesondert zu veröffentlichen.

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M o o r l e i c h e

So wie ich Ihre Grundrichtung verstehe, kritisieren Sie die Grünen für ein/ihr Festhalten am Effizienzgedanken, die Lösung jedoch liege in der Suffizienz, der Einschränkung.

Mit der Suggestion von mehr Effizienz als Lösung, gibt es unweigerlich ein 'Weiter so', bezogen auf die Idee des Wachstums, auch wegen der von Ihnen früher dargestellten Reboundeffekte (wo es umweltschonender ist, Strom zu verbrauchen, wird mehr verbraucht, gerade weil es ja so schonend geht).

Ein Systemwechsel hingegen (weg vom Kapitalismus), würde das Übel insofern an der Wurzel packen, als die Ideologie/Idee des Wachstums (und damit auch der Steigerung von Effizienz) untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden ist. Habe ich Ihre Gedanken damit einigermaßen erfasst, oder fehlt etwas wichtiges?

Ich habe oft den Eindruck, dass die Absolutheit mit der ein Systemwechsel alles ändern würde, eher auf einer Hoffnung beruht. Wenn ich den Riss innerhalb der Linken in letzter Zeit richtig verstanden habe, dann wird von klassischen Linken kritisiert, dass die grünlinke Ausrichtung, vielleicht etwas grob gesagt, eine Gutmenschenattitüde ist und die wahren Probleme der wirklich Armen, z.B., die Konkurrenz mit unterprivilegierten Migranten, zu geringer Lohn, zu wenig bezahlbarer Wohnraum und so gut wie keine Aufstiegsmöglichkeiten von den Grünlinken übersehen werden. Würden Sie diesen Streit ähnlich deuten?

Falls ja, ist das nicht von Seiten der klassisch Linken eher der Ruf sogar nach mehr Konsummöglichkeiten, für die Armen, also ebenfalls mehr Wachstum? Ich sehe erst mal nicht , dass da überhaupt irgendein Umwelt- oder Klimagedanke zwingend mitgedacht ist. Es ist freilich nicht auszuschließen, dass neue oder sanierte, mietkostengünstigere Wohnungen auch nach besten Ökostandards errichtet werden, aber der Grundgedanke der klassisch linken Richtung ist doch erst mal grünlinke 'Luxusgedanken' hinten an zu stellen. Erst mal überhaupt Wohnung, erst mal überhaupt mehr Geld … irgendwann dann das Problemchen, ob die Bio-Tomaten auch 100% oder nur 98,5% frei von Gentechnik und Pestizidrückständen sind.

Aber ist die 'neue' Erkenntnis nicht eigentlich die, dass die 'Luxusproblemchen' der Grünlinken zwar im schlimmsten Fall Gewissensberuhigung sein können (wenn man 20 Jahre nur feiert, dass man die Plastiktüten abgeschafft hat), aber doch eigentlich überhaupt keine Luxusprobleme sind? Es mögen kleine und kleinste Stellschrauben sein, aber es wären genau die, die die klassisch Linken ihrem Klientel auch beibiegen müssten: Lass mal das Dosenbier, nix mit, demnächst vielleicht mal ein dickes Auto, vergesst auch mal demnächst irre mobil zu sein, vile Fleisch zu essen, usw.? Das heißt, auch in den Systemwechsel müssten zwingend grüne Projekte eingeflochten werden, sonst verschlimmert man die Ausgangslage.

Soweit ich das hoffentlich verstehe, will man den Zugewinn an Wohlstand der Armen durch eine Reduktion der Konsummöglichkeiten der Mittelschicht (die wenigen Reichen spielen da m.E. keine große Rolle, denn auch der Superreiche kann nur in genau einem Flieger sitzen oder einem Auto fahren und wie klimaschädigend sein Verhalten auch sein mag, es sind wenige an der Zahl) kompensieren. "Die Warenmenge muss jetzt sinken." Die Mittelschicht macht eindeutig mehr Dreck, also kann man diesen reduzieren, per Gesetz.

Wenn aber alle sparen müssen, muss diese Konsumbeschränkung ja durch einen empfundenen nicht nur suggerierten Zugewinn an Wohlbefinden ausgeglichen werden, will man wirklich eine bessere Welt. (Sonst hat man eine Revolution die man vielleicht nicht will, siehe Frankreich, wo es nicht um Umweltschutz geht.) Warum aber ist diese nicht über eine Vielzahl kleiner Schritte und Einsichten zu erreichen? Also dann, wenn man wirklich was tut, natürlich nicht, wenn man nichts tut. Warum also muss die Systemfrage am Anfang stehen, warum kann sie sich nicht organisch ergeben? Würde sich nicht, dem Effizienzgedanken folgend, aus diesem erweisen können, dass Effizienz allein ineffizient ist, wenn sie es denn sein sollte und dass man anderen oder weiteren Strategien folgen muss? Ich sehe nicht, dass dem Markt etwas zu überlassen, zwingend mit Wachstum zu tun haben muss. Und anders herum, ergibt die die Notwendigkeit des Wachstums auch aus der Zunahme der Weltbevölkerung, wie will man da eingreifen, auch mit Blick auf eine Ausbeutung der natürlichen Ressourcen (ein Reicher kann einfach nicht mehr essen und trinken, als 10.000 Arme, die ja zudem nicht arm bleiben sollen)?

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A n t w o r t

„Ein Systemwechsel hingegen (weg vom Kapitalismus), würde das Übel insofern an der Wurzel packen, als die Ideologie/Idee des Wachstums (und damit auch der Steigerung von Effizienz) untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden ist.“ Ja, das wollte ich zum Ausdruck bringen, nur daß Wachstum nicht bloß eine mit dem Kapitalismus „verbundene“ „Ideologie/Idee“ ist, sondern er selber in seiner Praxis; Zwang zum Wachstum ohne Ende ist das, was ihn definiert. Marx hat das als erster erkannt und ausgesprochen, heute wird es wohl von niemandem mehr bestritten, nur daß viele Ökonomen sich nicht gern damit befassen. Der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger, der die Ökosteuer vorgeschlagen hat, hat auch Bücher über den Wachstumszwang geschrieben.

„Die Lösung liege in der Suffizienz, der Einschränkung“, beginnen Sie ihr Referat. Der Ausdruck „Einschränkung“ klingt nach „Verzicht“ und ich habe nun schon oft geschrieben, daß das nicht meine Linie ist. Wenn ich von einer schlechten in eine gute Wohnung umziehe, werde ich das nicht mit dem Satz „Ich hatte eine Wohnung, habe aber auf sie verzichtet“ beschreiben. Dieser Satz suggeriert, daß ich jetzt obdachlos bin, und ist also unwahr; aber dennoch gelingt es mir nicht, Sie oder jemand anders hier von dieser Unwahrheit zu überzeugen. Der gesellschaftlich Umstieg vom Privatautofahren zum hervorragenden dichten System Öffentlichen Verkehrs zum Beispiel würde erheblich CO2 einsparen und wäre keine Einschränkung, kein Verzicht, sondern würde dem Umziehen in die gute Wohnung entsprechen.

Für ökologische Politik macht es natürlich einen erheblichen Unterschied, ob ich sage „Verzichtet auf eure Privatautos!“ oder „Kämpft für ein viel besseres Verkehrssystem!“ Es macht aber vor allem erst einmal einen ökonomischen Unterschied. Das bessere Verkehrssystem kann nämlich nicht kommen, wenn nicht die Gesellschaft es entscheiden und erzwingen kann. Das längst bekannte Mittel wären gesellschaftliche Wahlen, ausgedehnt aber auf die Belange der Ökonomie. Am Anfang von allem müßte die Einhaltung der ökologischen Gleichgewichte gewählt werden, das ist die Sache mit den „1,8 Hektar“ [= der mit den ökologischen Gleichgewichten verträgliche "ökologische Fußabdruck" pro Person]. Innerhalb der so gezogenen Grenzen würde es in weiteren Wahlen dann um die ökonomische Gewichtung gehen, z.B. eben wieviel Privatautoverkehr, wieviel Öffentlicher Verkehr. Und selbst diese Grundwahl als Verzicht zu beschreiben wäre unwahr. Sie würde vielmehr den Gewinn eines Planeten, der ein gutes Leben zuläßt, bedeuten. Nur um einen Verzicht kommt man, wenn man ökonomische Grenzen ziehen will, allerdings nicht herum, man muß nämlich dann auf den Kapitalismus verzichten, der wie gesagt die ökonomische Zwangsbewegung des Wachsens ist; immer wachsen müssen heißt ja keine Grenze unüberschritten sein lassen können.

Für dieses Programm müßte die Gesellschaft ihr Recht gewinnen, über ihre eigene Ökonomie zu verfügen, statt daß es wie heute dabei bleibt, daß das Kapital dieses Recht usurpiert hat. Das ist der entscheidende Punkt.

Wenn das Programm durchgesetzt wäre, wäre ökologisch „alles geändert“. Und ich sehe keine andere Möglichkeit.

Die Frage, ob „Grünlinke“ die wahren Probleme der wirklich Armen übersehen, möchte ich an Sie zurückgeben. Lesen Sie, was Robert Habeck dazu geschrieben hat: Eine neue soziale Logik, Oder was man aus zehn Tagen Hartz IV-Diskussion lernen kann.

Den „klassisch Linken“ würde ich nicht vorwerfen, daß sie wegen der Armen nach mehr Wachstum rufen, nicht jedenfalls in Deutschland und nicht, wenn Sie die Linkspartei meinen. Die SPD, ja, auf die trifft das zu. Linksparteipolitiker würden eher eine Umverteilung verlangen, und das würde ich selbst ebenfalls tun. Das Konzept des guten Lebens, das wir entwickeln müssen, führt auf jeden Fall die Armen aus der Armut heraus, und da hätte doch gerade die Linkspartei ihre Aufgabe. Bezahlbare Wohnungen gehören sicher dazu. Im Übrigen könnte die Linkspartei schon heute Traditionen früherer kommunistischer Parteien aufgreifen, die darin bestanden, den Armen Möglichkeiten des gesellschaftlichen Lebens zu bieten bzw. ihnen bei der Selbstorganisation zu helfen. Früher gab es in Italien die l’Unità-Feste und die bedeutendsten Komponisten des Landes wie Nono versuchten, Werke für die Arbeiter und Arbeiterinnen zu schreiben und mit diesen zu kommunizieren. Am Ende des 19. Jahrhunderts hat die SPD die Tradition begründet, zu Sylvester Beethovens Neunte aufzuführen. Durch Arbeitervereine! Und heute? Aber vielleicht denkt man, die Leute säßen ja ohnehin vor der Mattscheibe, und hält das für Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

Wenn es nicht um Deutschland geht, sondern um die ganze Welt, sehen wir viele Regionen wirklich schwerer Armut, die man beim Wirtschaftswachstum unterstützen muß, weil sie bei „1,8 Hektar“ noch gar nicht angekommen sind.

Aber daß der Klimagedanke bei der Linkspartei nicht wirklich mitgedacht ist, könnte wahr sein. Sie greift gern den Kapitalismus an, tut es aber so abstrakt, daß sie die ökologische Konkretheit übersieht, die ihr Angriff haben könnte und müßte. Diese Konkretheit besteht eben in dem „Rebound“-Mechanismus, den ich oben im Artikel wieder beschrieben habe: Alles, was Ökologietechniker schaffen, wird vom Zwang zu immer mehr Waren wieder aufgefressen. Die Linkspartei greift den Konsumismus so wenig an wie die Grünen es tun.

„Die Mittelschicht macht eindeutig mehr Dreck, also kann man diesen reduzieren, per Gesetz.“ Das ist der falsche Ansatz, weil er verschiedene Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielt, als ob ihnen nicht allen am Leben der Nachgeborenen gelegen sein müßte. Die Mittelschicht ist nicht das Kapital. Sowohl die Armen als auch die Mittelschicht müssen an der ökologischen Wende von sich aus teilnehmen, anders kann es gar keine geben. Man kann nicht Leuten das Autofahren verbieten mit dem Argument, daß andere Leute sich ein Auto nicht leisten können. Denn das funktioniert nicht, Stichwort Gelbwesten.

Warum ist ein „Zugewinn an Wohlbefinden nicht über eine Vielzahl kleiner Schritte und Einsichten zu erreichen?“ Er ist darüber zu erreichen, aber es geht ja nicht so, daß z.B. immer mehr Leute einzeln ihre Autos stehenlassen, um in den guten Öffentlichen Verkehr umsteigen, der dadurch immer größer wird. Das wird er auf diese Weise nicht. Vielmehr zwingt umgekehrt der beschränkte Öffentliche Verkehr die Leute dazu, ihre Autos nicht stehenzulassen. Für den größeren und besseren Öffentlichen Verkehr müßte sich schon die Gesellschaft als ganze entscheiden, sonst kommt er nicht. Kleine Schritte müssen also darin bestehen, daß die Einsicht in diese Tatsache immer mehr wächst. Mit der Einsicht aber, daß die Gesellschaft über die Formen der Mobilität entscheiden können müßte, und über andere ökonomische Grundfragen auch, statt daß das Kapital es tut, ist die „Systemfrage“ nun einmal aufgeworfen.

„Ich sehe nicht, dass dem Markt etwas zu überlassen, zwingend mit Wachstum zu tun haben muss.“ Das würden viele, vielleicht die meisten Marxisten bestreiten, ich selbst sehe es aber auch nicht, stimme Ihnen in diesem Punkt also zu. Ein Markt muß kein kapitalistischer Markt sein. Das heißt, er muß nicht unter dem Zwang stehen, immer mehr Waren zu verkaufen. Heute tut er das aber; der Markt, den wir haben, ist der kapitalistische Markt. Ihm etwas zu überlassen, hat „zwingend mit Wachstum zu tun“.

„Die Notwendigkeit des Wachstums ergibt sich auch aus der Zunahme der Weltbevölkerung.“ Die Bevölkerung nimmt in den reichen Ländern ab. Sie nimmt zu in den armen Gebieten, die wie gesagt bei „1,8 Hektar“ noch gar nicht angekommen sind, wo also Wachstum nicht nur notwendig ist, sondern auch keinen ökologischen Schaden anrichten würde.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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