Nachdem die neue Bundesregierung ihre erste Generaldebatte im Bundestag hinter sich hat, treten ihre Konturen deutlicher hervor. Es ist lohnenswert, sie mit der Anfangsphase der ersten rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder zu vergleichen. Beide Regierungen waren kaum im Amt, als sie sich schon als Teilnehmer eines osteuropäischen Krieges wiederfanden. Der russische Einmarsch in die Ukraine war der Auslöser – aber der Versuch, Russland ökonomisch total zu isolieren, ist eben auch eine Kriegshandlung, so wie einst die britische Kontinentalsperre gegen Napoleon eine war.
Im Krieg aber scheint es, um mit Kaiser Wilhelm II. zu sprechen, „keine Parteien mehr“ zu geben. 1914 wie 2022: Tosender Beifall der Unionsparteien, weil Sozialdemokraten plötzlich einsehen, dass nationale Sicherheit nicht umsonst zu haben ist, vielmehr üppig finanziert werden muss. Und auch 1999 stimmten Regierung und Opposition in der Kriegsfrage überein.
Indes verlieren solche Parallelen, wenn man näher hinschaut, ihre Aussagekraft. Denn die Situation von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist eine sehr besondere. Auf den ersten Blick scheint zwar klar, dass er kurz nach Ausbruch des Krieges das Ende einer deutschen Sonderrolle verkündet hat, die darin bestand, ein Ohr für Russlands Befindlichkeiten zu haben, unabhängig davon, für wie rational man sie hierzulande hielt. Immerhin hatte Deutschland dem ukrainischen NATO-Beitrittswunsch widersprochen.
Doch ob diese Rolle wirklich aufgegeben wurde, ist nicht so klar, da man auch fragen muss: Was hatte denn Deutschland als NATO-Mitglied für eine Wahl, wenn eine „Zeitenwende“, in welchen Worten immer, auch sonst überall in der NATO verkündet wird? Am Sonntag bei der Talkshow Anne Will behauptete Scholz zwar, er habe sie als Erster eingeläutet. Das stimmt aber nicht. Eine Schutzbehauptung? Als er kürzlich auf einer Veranstaltung zum hundertsten Geburtstag Egon Bahrs sprach, hat er dargelegt, dass die klassische Ostpolitik Willy Brandts, für den Bahr die Ideen entwickelt hatte, nur im Rahmen der westlichen Allianz möglich war, ja dass auch unter Brandt die Militärausgaben erhöht wurden. Diese Ausführung könnte gelesen werden, als wollte Scholz sagen, er setze trotz allem die Entspannungspolitik der SPD fort, wenn auch unter zeitgemäßen Bedingungen.
Merz spielt nicht mit
In dieser Perspektive wird die Frage zentral, wie er die angekündigten hundert Milliarden Eur0 Sondervermögen für die Bundeswehr einzusetzen gedenkt: ob nur für militärische Ausrüstung oder – wie von Grünen sofort gefordert – im Sinne eines „erweiterten Sicherheitsbegriffs“, unter den auch die Abwehr ökologischer Katastrophen und der Armut subsumiert würden.
Wenn man sich der Vorgeschichte erinnert, hatte es zunächst so ausgesehen, als sei Scholz endlich eine Methode des Regierenkönnens eingefallen. Alleingelassen mit den beiden Koalitionspartnern seiner Partei, hatte man sich ja schon gefragt, was er gegen diese denn ausrichten konnte. Die ganz einfache Antwort schien zu sein: Scholz arbeitet mit der CDU/CSU-Opposition zusammen, in Fortsetzung der Großen Koalition. Das kann er nicht gegen beide Partner gleichzeitig tun, wohl aber mit einem gegen den anderen. So strebte er die Impfpflicht gegen die FDP, zusammen mit Union und Grünen an, und was das Sondervermögen angeht, sahen es Union und FDP rein militärisch, während die Grünen, wie gesagt, von Anfang an widersprachen. Sie hätten aber gegen ein „nationales“ Bündnis Union-SPD-FDP keine Chance.
Die Generaldebatte schien dann zu zeigen, dass Scholz im Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) einen ebenbürtigen Gegner gefunden hat. Denn Merz nannte die Scholz’sche Methode beim Namen und erklärte, dass er nicht mitspielen wolle: Die Union werde den Kanzler in keiner Frage unterstützen, in der sich die Regierungskoalition nicht einig sei. An Scholz’ Ausgebufftheit reicht er aber doch nicht heran. Denn kann er es sich leisten, das Sondervermögen für die Bundeswehr abzulehnen? Es würde dann ja scheitern und Merz hätte den Schwarzen Peter. Ob Scholz es nur militärisch sieht oder nicht, bleibt im Moment offen. Er will es nicht zeigen. Auch Anne Will fragte ihn in ihrer Sendung nicht danach. Vom Außenministerium wird jetzt in aller Form eine „nationale Sicherheitsstrategie“ entwickelt, und die Ministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat schon mitgeteilt, dass ihr der „erweiterte Sicherheitsbegriff“ zugrunde liegt. Schwer vorstellbar, dass die Sache auf solcher Fallhöhe öffentlich wird, ohne dass sich die Ministerin mit dem Kanzler abgestimmt hätte. Wie weiter? Die ersten Auszahlungsschritte des „Vermögens“ werden sicher nur der Bundeswehr zugutekommen, die späteren kann Scholz sich offenhalten.
Wenn man Scholz mit Gerhard Schröder vergleicht, dem ersten rot-grünen Kanzler, dann sticht sein weit größeres Geschick hervor. Erstaunlich ist es nicht, weil er ja schon der letzten Merkel-Regierung als Vizekanzler angehört hat. Obwohl aus dieser Regierung neben ihm selbst nur noch der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sowie, in neuer Position, Christine Lambrecht (Verteidigung) und Svenja Schulze (wirtschaftliche Zusammenarbeit) geblieben sind, konnte sein neues Kabinett von Anfang an völlig reibungslos arbeiten und auch zusammenarbeiten. Die ministeriellen Apparate waren ja schon vor dem Dezember 2021 an sozialdemokratische Führung oder übergreifende Mitsprache gewöhnt worden. Gerhard Schröder hatte sich nach 16 Jahren schwarz-gelber Regierung unter Helmut Kohl in einer ganz anderen Situation befunden.
In Schröders ersten Monaten passte nichts in seinem Kabinett zusammen, sodass er auch selbst nicht handlungsfähig war. Während Scholz zu denen gehörte, die Putin vom Krieg abzuhalten versuchten, hat Schröder keine vergleichbare Rolle im Vorfeld des Kosovo-Krieges gefunden. Stattdessen entnervte er seinen innerparteilichen Rivalen, den Finanzminister Oskar Lafontaine (SPD), sodass dieser zurücktrat, und demütigte auch den grünen Umweltminister Jürgen Trittin, wobei er mit dem grünen Außenminister Joseph Fischer zusammenspielte.
Man hat gar nicht den Eindruck, als habe ihn der Kosovo-Krieg sonderlich interessiert. Seine Regierungsmacht zu festigen, darin war er gut. Schröder entdeckte auch die Methode, mit der Opposition zusammen gegen den eigenen Koalitionspartner und notfalls auch die eigene Partei zu regieren. Das bewährte sich im Kosovo-Krieg wie dann später bei den Hartz-Reformen. Was das Militärische anging, zeigte er sich immerhin als klassischer Sozialdemokrat, als er den Angriff der USA und einiger ihrer NATO-Verbündeten auf den Irak verurteilte.
Mit Waffen Fakten schaffen
Mit diesem Hin und Her verglichen erscheint der heutige Kanzler wie ein Fels in der Brandung. Das ist umso wichtiger, als man sehen muss, dass Kosovo-Krieg und Ukraine-Krieg nicht etwa zwei ganz verschiedene Dinge sind. Nein, man muss sagen, dass der eine sich aus dem anderen entwickelt hat. Um dies zu erkennen, muss man sich des Kontextes erinnern, in dem damals NATO-Bomben auf Serbien fielen. Der Kosovo-Krieg wurde nämlich auch geführt, um eine neue NATO-Doktrin durchzusetzen: Militäreinsätze ohne UNO-Mandat. Was ein klarer Bruch des Völkerrechts war, wurde als dessen Ausdifferenzierung hingestellt.
Karl-Heinz Kamp von der Konrad-Adenauer-Stiftung formulierte es so: Die NATO werde sich in ihrer „militärischen Handlungsfreiheit“ nicht mehr einschränken lassen, auch nicht durch die UNO; sie verabschiede sich aber nicht aus dem Völkerrecht, da sie doch ausdrücklich, „wenn auch in allgemeiner Form“, erkläre, dass ihre Militäraktionen „immer auf der Grundlage des Völkerrechts und im Sinne der Charta der Vereinten Nationen erfolgen werden“. In den Monaten zwischen der Abwahl der Kohl-Regierung und den Anfängen der Schröder-Regierung hatte die US-Regierung begonnen, Serbien zu drohen. Zu diesem Zeitpunkt waren noch nicht alle NATO-Mitglieder auf die Linie der neuen Doktrin gebracht. Doch in Deutschland wurde gerade nicht regiert, da war kein Widerstand zu erwarten. Die Doktrin wurde erst ein paar Wochen nach dem Kosovo-Krieg beschlossen. Da war der NATO-interne Widerstand gebrochen, denn dieser Krieg, der die Doktrin schon umsetzte, hatte vollendete Fakten geschaffen.
Man sollte das alles mitdenken, wenn heute russische Einwände gegen die NATO-Osterweiterung als wahnhafte Marotte hingestellt werden. Die NATO sei doch nur ein Verteidigungsbündnis, wird US-Präsident Joe Biden nicht müde zu behaupten. Das stimmt eben nicht. Kann von Scholz der Versuch erwartet werden, dass er Biden korrigiert? Man wird sehen.
Kommentare 21
Dass Scholz das nur militärisch sieht, glaube ich nicht - die ganze "Zwei-Prozent-Ideologie" hat primär einen politischen Aspekt: es soll nicht der Eindruck entstehen, als lasse Deutschland Osteuropa "für sich arbeiten", wenn es um seine Sicherheit geht. (Ökonomisch besteht dieser Eindruck ohnehin.)
Zu sagen, man könne den Ukrainekrieg nicht vom Jugoslawienkrieg trennen, sind insofern die selben Dinge, als keins von beidem von den Vereinten Nationen gebilligt war. Da allerdings enden dann auch die Gemeinsamkeiten.
Der Jugoslawienkrieg zwang Moskau keineswegs dazu, die Ukraine zu einem gescheiterten Staat zu erklären, der der "Demilitarisierung" und der "Entnazifizierung" bedürfe.
das muß man erstmal fassen :
..."die deutsche sonderrolle die darin bestand,
ein ohr für russische befindlichkeiten zu haben" ...
wozu muß man ein ohr haben, wenn man in putin hinein-gekrochen
ist ?
die sträfliche haltung deutscher regierungen gegen den
immer stärker autokratisch-kriegerisch sich zeigenden putin,
ist durch scholzens wende
("der versuch" einen krieg-führenden "ökonomisch total zu isolieren"
"ist auch eine kriegshandlung" !! ???)
keineswegs getilgt.
die deutsche kungelei bei dem vergifteten erdgas-deal,
die törichten einbindungs-versuche nach dem schema
"wandel durch handel" hat putin erst ermöglicht,
seine destruktive kraft zu entfalten.
vom gekauften schröder, der sozi-außen-ministerin aus meck-pom,
jetzt hier nicht zu reden.
scholz und schröder haben beide eine mit-schuld an putins
überfall auf die ukraine.
Ein klassischer Michael Jäger Artikel. Oberflächlich und ohne eigene Gedanken dem Horizont des westlichen, parlamentarischen Betriebes bis in den letzten Halbsatz hinein verhaftet.
Hat Scholz Visionen? Ich glaube nicht ...
ein klassischer kds-kommentar : tief-verbohrt plus ohne gedanken,
den horizont des eigenen haft-raums erbittert verteidigend...
Vielleicht ist die Menschheit immer noch nicht reif für echte Demokratie, echte Freiheit, echte Solidarität und dauerhaften Frieden.
Die folgende Rede ist inzwischen rund 80 Jahre alt und stammt aus dem US-amerikanischen Spielfilm von 1940 "The Great Dictator" (Der große Diktator) von und mit Charlie Chaplin.
Der Hollywood-Klassiker ist eine großartige und geniale Persiflage auf Hitler und Nazi-Deutschland (von Youtube noch nicht gelöscht/gesperrt/zensiert):
https://www.youtube.com/watch?v=J7GY1Xg6X20
oder
https://www.youtube.com/watch?v=ww0zvl18-Ys
Ich habe gelesen, dass Chaplin den Spielfilm nicht gemacht hätte, wenn er seinerzeit von dem tatsächliche Ausmaß der deutschen Konzentrationslager gewusst hätte. Es wäre dennoch sehr schade gewesen. Der Spielfilm ist ein leidenschaftliches Plädoyer für echte Demokratie, echte Freiheit, echte Solidarität, Humanität und ein friedliches Miteinander.
Es ist ein Treppenwitz der Geschichte und zeigt die Doppelmoral, Bigotterie und Scheinheiligkeit der Vereinigten Staaten von Amerika, dass Chaplin wenige Jahre später in der McCarthy-Ära auf der schwarzen Liste der US-Regierung landete und wegen anti-amerikanischer Umtriebe nicht mehr in die USA einreisen durfte.
Man sollte die Rede daher nicht nur Wladimir Putin, sondern auch Leuten wie Joe Biden, Viktor Orbán, Boris Johnson, G. W. Bush, Tony Blair, Donald Trump, Emmanuel Macron, Mario Draghi, Annalena Baerbock, Olaf Scholz und vielen anderen "lupenreinen" Demokraten mindestens einmal pro Tag vorlesen oder vorspielen.
Was das Vorlesen angeht: Keine gute Idee.
Erstens: es hätte etwas von Gehirn- oder Herzwäsche. Der Zweck heiligt nicht a l l e Mittel.
Zweitens: dass Charlie Chaplin sehr massive persönliche Konsequenzen auf sich nehmen musste, ist bedauerlich. Sein Leben in der - nicht gerade für Armut bekannten - Schweiz war wohl weit weniger unannehmlich als für Menschen in heute vergleichbaren Fällen.
Drittens: der Hinweis auf McCarthy stimmt, ist insgesamt aber eher zu vernachlässigen. Es gibt viele Missstände in den USA 2022: ein neuer McCarthy ist meines Wissens nicht in Erscheinung getreten. Es gibt viele kleine Hetzer und Eiferer. Es ist halt die USA.
Wer heute ein wirkungsvolles Plädoyer in obiger Angelegenheit halten möchte, dem stehen andere Wege und Mittel zur Verfügung. Auch zeitgemäßere.
"Die ersten Auszahlungsschritte des „Vermögens“ werden sicher nur der Bundeswehr zugutekommen, die späteren kann Scholz sich offenhalten."
Ich würde darauf wetten, dass die gesamten 100 Milliarden erstens durch das Verteidigungsministerium und zweitens für Auf- und Ausrüstung der Bundeswehr ausgegeben werden. Der "erweiterte Sicherheitsbegriff" ist grosso modo Parteitagsrede, um die Zustimmung der Grünen für die militaristische Politik und Aufrüstung der Ampel zu erhalten und ihr Gewissen zu befrieden, sofern vorhanden. Und wer für Energieimporte bei Katar Klinken putzt und im nächsten Absatz eine wertegeleitete Aussenpolitik anpreist, muss seine ZuhörerInnen schon für sehr dumm halten.
Annalena Baerbock stimmte schon 2020 in das öffentliche Mittel-Gejammer der Bundeswehr ein: „Es fehlen Nachtsichtgeräte zum Üben, von Flugstunden ganz zu schweigen. Wir müssen uns da ehrlich machen. Ja, in manchen Bereichen muss man mehr investieren, damit Gewehre schießen und Nachtsichtgeräte funktionieren“, sagte Baerbock der „Süddeutschen Zeitung“.
Jedes Ministerium kann locker auf X-Beispiele für mangelnde Ausrüstung verweisen, allein schaffen es Jugendfreizeiteinrichtungen, Familienbildungsstätten, Senioreneinrichtungen, Schulausstattungen nur an den Katzentisch der Ampel.
Deswegen: Unterschriftenliste: Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!
Solche Kommentare sind das entscheidende Problem heutiger Tage. Egal ob man (ich) der Aussage des Artikels zustimmt, der Kommentar ist qualitativ substanzlos, steht aber natürlich unter dem Schutz der Meinungsäusserung. Die Vielzahl substanzloser Meinungsäusserungen führt zum Rückzug qualifizierter Meinungsäusserungen und vermittelt so indirekt den Eindruck von Substanz durch Menge.
Vielen Dank für das Herausführen aus der konkreten Situation im Jetzt und die Positionierung in größere (historische, zeitliche, parteiliche, nationale...) Kontexte.Für jeden der heutzutage von unserem Journalismus kein Antworten erwartet, sondern die Hinwendung zu Fragekomplexen war das ein sehr gut zu lesender Artikel.
Grässliche Zeiten. Scholz ist unerträglich. Er wird die Rechnung für seinen Rüstungswahn präsentiert bekommen, von genau denen, die ihm jetzt zujubeln weil sie, nach zwei Jahren Corona Angstmodus, bestens vorbereitet sind, nichts als autoritäre Maßnahmen zu akzeptieren. Aber auch den Leuten wird irgendwann klar werden, wer sich da woran eine goldene Nase verdient hat und wer das bezahlen muss. Jetzt ist Sonnenblumenöl alle, Rapsöl teilweise 550% teurer, die Spritpreise explodieren. Und die Russen spielen mit uns, trotz der Sanktionen, die angesichts der vom Westen in den letzten Jahrzehnten produzierten Opfer, Kriegstoten, Verwüstung im Nahen Osten, Jugoslawien, Afghanistan, Jemen einfach nur lächerlich sind. Sie wissen genau, dass sie unsere Volkswirtschaft abschießen könnten, wenn sie konsequent auf die Bezahlung in Rubel bestünden – und haben erst mal entschärft. Eine Geste oder meinetwegen eine Strategie die man vonseiten des Westens in der Form niemals erlebt, da ist außer ideologischer Beton und großspuriger Doppelmoral nichts. Die Telepolis schreibt heute in einem Artikel: Todsichere Sicherheitspolitik
"Angesichts der Begründung der Nato-Sicherheitspolitik drängt sich der Gedanke an den Roman 1984 des britischen Schriftstellers George Orwells auf. Die Herrschenden nennen "Krieg" darin "Frieden" und deuten "Ignoranz" als "Stärke". Es ist besorgniserregend, dass vergleichbare Überlegungen nicht den gebotenen Widerstand der Öffentlichkeit hervorrufen, sondern weitgehend ohne Widerspruch hingenommen werden."
Genau so ist es. Aber das ist kein Dauerzustand. Irgendwann werden die Menschen begreifen, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wurde und wird. Sie werden verstehen, dass sie hinter die Fichte geführt wurden von unseren Öffentlich/Rechtlichen und der Hauptstadtpresse. Dazu kommt: Weder mit den 2% die Scholz jetzt der Rüstung in den Hals wirft, noch mit den 100 Milliarden können Fakten geschaffen werden, weil man mit einer Atommacht keinen konventionellen Krieg führen und gewinnen kann. Russland und China verbünden sich und weite Teile der Welt haben einen anderen Blick auf diese Krise. Die Hybris der Amerikaner ist seit Jahrzehnten so offensichtlich und die Folgen allen bekannt. Die Rechnung wird kommen, auch wenn sich das noch sehr lange hinziehen kann.
>>Ich würde darauf wetten, dass die gesamten 100 Milliarden erstens durch das Verteidigungsministerium und zweitens für Auf- und Ausrüstung der Bundeswehr ausgegeben werden<<
Das denke ich auch. Als Zuschlag zum unabhängig davon existierenden Etat des Kriegsministeriums. Deswegen ist ja der Aktienkurs von Rheinmetall und Hensold nach der Verkündigung sprunghaft angestiegen. Die Dividendenerwartung muss nun bedient werden.
Wo Zins & Tilgung für das "Sondervermögen" eingespart werden wissen wir ja auch.
Sie müssen Ihren grobianismus nicht immer wieder heraus-streichen!
vom "in den hintern kriechen" hab ich n i c h t gesprochen.
man kann auch in jemand hinein-kriechen, indem man soviel
putin-verständnis aufbringt, seine perspektive übernimmt und seine
eigene darüber vernachlässigt.
putin wurde in deutscher sicht vorherrschend zu einem
potenten, patenten wirtschafts-partner,
dem unterdrückung wesens-fremd und
ein krieg in europa nicht zuzutrauen war.
es gab ja auch "untrügliche" anzeichen:
im gegensatz zu den romanows und stalin trug putin:
nie uniform ! der pfiffige gab sich den anschein von zivilität !
das mußte ja für ihn einnehmen !
>>Weder mit den 2% die Scholz jetzt der Rüstung in den Hals wirft, noch mit den 100 Milliarden können Fakten geschaffen werden, weil man mit einer Atommacht keinen konventionellen Krieg führen und gewinnen kann<<
Ja . Aber das alte Rezept: "Besiegen durch ruinöses Wettrüsten" wird halt noch mal versucht. Klappt nur diesmal auch nicht, denn Russland ist der Beziehung das gebrannte Kind, dass das Feuer meiden wird.
Was bleibt sind üppige Dividenden der Kriegsrüstungsaktien und Untertanen die immer noch für den Scheiss aufkommen müssen.
Ruinöses Wettrüsten findet doch im Moment gerade umgekehrt statt. Wir sind dabei uns totzurüsten, in sinnloses Gerät zu investieren, Geld dort abzuziehen, wo es dringend gebraucht würde: Im sozialen Bereich und der Aufrüstung umweltfreundlicher Technologien. Das, wo Scholz sich in alter Sozi-Manier hat rein ziehen lassen, gepaart mit der Teuerung der Energie und anderer Rohstoffe, die wir bislang günstig in Russland eingekauft haben, wird der Politik auf die Füße fallen. Die Russen halten sich bedeckt was die Rüstungsausgaben anbelangt. Das Ganze wird kippen, wenn die nicht eurozentrierte oder US amerikanische Welt Finanzsysteme etablieren kann, die sich vom Dollar und seinen Machtinstrumenten etablieren. Das wird kommen, weil sich viel zu viele Staaten bereits jetzt darüber bewusst sind, in welchem Maße die USA ihre Dollarmacht ausgenutzt haben. Die Saudis erwägen Öl gegen Yuan zu verkaufen, die Inder Öl und Gas in Rubel zu bezahlen. Es werden immer mehr, die die Basis nicht mehr unterstützen wollen, auf der die Amis Schulden machen und in einem Maß hochrüsten, das wirklich nur noch absurd ist, angesichts der realen Probleme der Welt. Irgendwann bricht das zusammen auch wenn es jetzt für viele noch weit weg erscheint. Und dann ist Feierabend auch für all das was Scholz jetzt angeschoben hat.
Gäbe Deutschland > 2 % vom BIP für den Verteidungshaushalt aus, wie es geplant ist, ist der Wehretat höher als der von Russland. Deutschland befände sich auf der Welt mit > 2 % BIP für den Wehretat im Rüstungsranking an dritter oder vierter Stelle mit Indien, hinter den USA und China. Das ist eine Hochrüstung! Purer Wahnsinn. Eigentlich kommt danach nur noch von der Grössenordnung her Kriegsproduktion / -wirtschaft. https://de.statista.com/statistik/da...itaerausgaben/
Was die Aufrüstung angeht, muss man registrieren, dass schon die bisherigen Regierungen die Rolle der Bundeswehr von einer Wehrpflichtigen-Verteidigungsarmee (deren verteidigungspolitische Relevanz man in der Ukraine sieht) in eine Berufsarmee mit einem weltweiten Auftrag (Afghanistankrieg, Mali, Jordanien, Horn von Afrika, Fahrten ins Südchinesiches Meer, Statiónierungen in Osteuropa(!) ) als Teil der NATO / USA umgewandelt haben. Die Bundeswehr ist fest in die NATO / USA imperiale Strategie eingebunden.
Es braucht zwar etwas Geschick, dem Volk klar zu machen, warum man militärisch im Ausland die Freiheit Deutschlands verteidigen muss, aber das akademisch und kampagnenmässig umzusetzen, dafür werden viele Leute auch bei uns und in den USA (nicht nur in Russland!) gut bezahlt.
Die neue von der Ampel verabschiedete Hochrüstung gehört zur neuen (eigentlich seit Berufsarmee) Rolle der Bundeswehr in Europa und der NATO (während sich die USA militärisch stattdessen künftig mehr im Pazifik gegen China engagieren wollen). Die Bundeswehr wird zukünftig verstärkt in den osteuropäischen Ländern Truppen fest stationieren, zumal die NATO infolge des Ukrainekrieges die mit Russland in der NATO-Russland-Grundakte vereinbarten Begrenzungen für die Stationierung von Kampfbataillonstruppen in den osteuropäischen Ländern künftig ignorieren wird. © 2016 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 077/16 Zulässigkeit rotierender Truppen in den östlichen Mitgliedstaaten der NATO (zukünftig fest stationierte Kampftruppen).
Die Bundeswehr steht zukünftig als Teil der NATO im Baltikum, in Polen, Rumänien etc. mit Kampfbataillonen an der russischen Grenze (dafür braucht es mehr Panzer, Artillerie, Flugzeuge usf. als bisher und andere Waffen als für eine reine Verteidigungsarmee nach dem GG notwendig wäre).
Vermutlich werden noch Aufträge in der Ostsee dazu kommen, wozu es sehr teure Kriegsschiffe braucht.
Appell und Unterschriftenliste: Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!
Ps. Ich persönlich würde mich in DE viel sicherer fühlen, wenn DE eine reine Verteidigungsarmee hätte und nicht in der NATO wäre (wie die CH).
"Das ist umso wichtiger, als man sehen muss, dass Kosovo-Krieg und Ukraine-Krieg nicht etwa zwei ganz verschiedene Dinge sind. Nein, man muss sagen, dass der eine sich aus dem anderen entwickelt hat. Um dies zu erkennen, muss man sich des Kontextes erinnern, in dem damals NATO-Bomben auf Serbien fielen. Der Kosovo-Krieg wurde nämlich auch geführt, um eine neue NATO-Doktrin durchzusetzen: Militäreinsätze ohne UNO-Mandat."
So sieht es aus. Es war nicht Russland, das 2022 eine Sicherheitsarchitektur in Europa zerstörte, sondern es war die NATO, die diese 1999 über Belgrad entsorgte. Wenn dies nicht in der Politik und Diplomatie erkannt und anerkannt wird, dann werden wir zwar über Frieden reden können, ihn aber nie bekommen. Es ist Teil des Problems, dass Deutschland seit 1999 die bis dahin gültige Sicherheitsordnung kräftig mit zerstörte - und als Teil der westlichen Gemeinschaft die wichtigsten internationalen Einrichtungen (OPCW, OSZE usw. - fortgesetzte Manipulationen und Instrumentalisierungen) entwertete.
Danke für diesen Artikel, Herr Jäger!
++ Der Jugoslawienkrieg zwang Moskau keineswegs dazu, die Ukraine zu einem gescheiterten Staat zu erklären, der der "Demilitarisierung" und der "Entnazifizierung" bedürfe. ++
Stimmt, ich frage mich manchmal auch, aus welchen geostrategischen Höhen solche Urteile ergehen. Über den Kosovo selbst sagt der Autor ja auch nichts. Da waren vielleicht Kriege oder so, aber das scheint nicht wesentlich. Es ist auch nicht wesentlich, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist, sondern dass die NATO dort übt, wie UNO-Regelungen übergangen werden können. Dass da ein Krieg tobt, ist vernachlässigbarer Hintergrund.
Es gibt schon noch mehr zusammenhänge. Die Tatsache, dass der Jugoslavienkrieg von der Nato auf völkerrechtlich tönernen füßen stand, liefert die Grundlage für Putins Narrativ in der Ukraine eingreifen zu dürfen. Wir damals in Jugoslawien, sagt er, will sich eine Region mit guten Gründen abtrennen und die zentrale Gewalt verhindert das mit brutalen Mitteln.
Dass das natürlich damals tatsächlich so war und heute hauptsächlich zusammenfantasiert wird, ist dabei nebensächlich.
Und so war das eingreifen der Nato damals wohl richtig, besser wäre es aber gewesen, die USA hätten damals versucht es im Rahmen der UNO zu tun. Wäre schwer geworden, weil Russland als Vetomacht zu Belgrad gehalten hätte. Aber die Russen waren schwach damals, vielleicht hätte es geklappt. V.a. hätten die USA und der Westen die darauffolgenden Jahrzehnte nutzen können, did UNO zu ertüchtigen. Statt sich selbst außerhalb der UNO regeln zu stellen. Bei jedem guten Willen der Welt, war klar, dass das Konfliktpotential hat.
..."Der Jugoslawienkrieg zwang Moskau keineswegs dazu, die Ukraine zu einem gescheiterten Staat zu erklären, der der "Demilitarisierung" und der "Entnazifizierung" bedürfe"...
Herbert Wehner wuerde dazu jetzt eine knallende Rede im Bundestag halten (Oder Günter Guillaume?).