Frustgefühle über die Regierungsbeteiligung der PDS, inzwischen Linkspartei, sind ein schlimmer Dauerbrenner. Seit Jahren lässt eine rationale Verarbeitung auf sich warten. Es sind doch Erfahrungen gemacht worden. Warum ist es so schwer, aus ihnen zu lernen? Jetzt liegen endlich zwei Bücher vor, die das versuchen. Sie zeichnen die Probleme detailliert nach, um die es im Regierungsalltag geht, und machen uns urteilsfähig, indem sie die Frage des Maßstabs aufwerfen. Diese Frage ist offensichtlich das Hauptproblem. Je nach Maßstab erscheint nämlich dieselbe Erfahrung den einen als Erfolg, den anderen als Misserfolg der Mitregierenden. So unterscheiden sich auch die Bücher.
Das eine prüft die Erfahrung der rot-roten Berliner Koalition und bewertet die Politik der Linkspartei-Senatoren im Ganzen positiv. Der Politikwissenschaftler Rolf Reißig hat es im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung geschrieben. Zu dem anderen, einem Sammelband, in dem sich vorwiegend Politiker aus Mecklenburg-Vorpommern (MV) äußern, hat Hans Modrow ein Geleitwort geschrieben. Er gibt den kritischen Ton an, der sich durch alle Beiträge zieht: "Wer erklärt, Hartz IV ist Armut per Gesetz, sollte nicht sagen, wir wollen es aber da, wo wir Regierungsverantwortung tragen, erträglicher machen."
Das ist zwar eine parteiinterne Debatte, aber die übergreifende Bedeutung liegt auf der Hand. Nach vier Jahren Regierung in MV sank der Stimmenanteil der damaligen PDS von 24,4 (1998) auf 16,4 Prozent (2002). In Berlin haben enttäuschte Genossen die WASG mitgegründet, die zur bevorstehenden Abgeordnetenhauswahl im September gegen die Linkspartei antreten will. Ist das die "Entzauberung der PDS", um die es manchen SPD-Strategen schon immer ging?
Schuldenabbau ohne eigenes Konzept
Aus Reißigs Studie erfahren wir, wie sich die Berliner PDS gezwungen sah, Politik unter Bedingungen einer Haushaltsnotlage zu machen. Sie wäre gar nicht in den Senat gelangt, hätte nicht der Berliner Bankenskandal zum vorzeitigen Ende einer schwarz-roten Koalition geführt. Aber nicht nur dieser Skandal belastete den Haushalt, sondern auch die neue Rolle Berlins nach dem Ende des Kalten Krieges. Damit, dass beide Stadthälften subventioniert wurden, weil sie als Schaufenster des Westens beziehungsweise Ostens gegeneinander wirkten, war es vorbei. So stellte sich die Frage, "wie die Stadt wieder auf eigene Füße gestellt werden sollte". Sollen Sozialisten sich etwa weigern, sie zu beantworten?
Sie taten es nicht, sondern regierten; in ihren Augen gab es zur Haushaltskonsolidierung keine Alternative. Es war unerträglich, dass mehr als zehn Prozent der städtischen Einnahmen für den Schuldendienst draufgingen, und unverantwortlich, diese Last nachfolgenden Generationen aufzubürden. Daher waren Sparmaßnahmen notwendig, die von der PDS zwar hier und da gemildert, aber doch aus Überzeugung mitgetragen wurden. Auf ihr Betreiben wurde die Haushaltsnotlage erklärt und Verfassungsklage eingereicht mit dem Ziel, die Bundesregierung möge der Stadt finanziell beispringen. Die PDS unterstützte die städtische Risikoabschirmung der in den Skandal verwickelten Banken, weil ein Konkurs die Bevölkerung noch teurer zu stehen gekommen wäre. Ferner stieg die Stadt aus dem Tarifvertragssystem aus, und die Wohnungsgesellschaft GSW wurde verkauft. Viele Bürger spürten die Einschnitte bei den konsumtiven Ausgaben.
Viele Bürger - aber doch nicht alle. Bezeichnend ist die Geschichte des Berliner Sozialtickets: Der Senat erwartet auch vom Stadtverkehrsunternehmen BVG Solidarität, streicht ihm Zuschüsse. Die BVG streicht daraufhin das Sozialticket. Dann folgen Verhandlungen, an deren Ende das Sozialticket wieder eingeführt wird, das allerdings nun 32 statt 20,40 Euro kostet. Auch den Berliner Symphonikern werden Zuschüsse gestrichen, ihnen jedoch bleibt nur der Untergang. Es hätte ihnen nichts genützt, mit der Abschaffung der Eintrittskarten zu antworten.
Die PDS wollte nicht nur weniger städtische Ausgaben, sondern auch mehr Einnahmen erreichen. Deshalb sorgten sich Gregor Gysi und nach ihm Harald Wolf, die Wirtschaftssenatoren der PDS, um die Ansiedlung neuer Unternehmen. Viele sind tatsächlich gekommen. Eine Zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle wurde für sie geschaffen. Bisherige Institutionen der Wirtschaftsförderung wurden zusammengeführt. Die Exportleistung der Stadt ist gestiegen. Gleichwohl setzte sich der ökonomische Schrumpfungsprozess fort. Die Frage ist, ob es besser gewesen wäre, Gysi und Wolf hätten diese Arbeit anderen überlassen, etwa einer fortgesetzten schwarz-roten Koalition. In diesem Zusammenhang bekommen wir Dinge zu hören, die denn doch irritierend sind. Schon als die Koalition noch nicht bevorstand, hat Wolf ein Papier mitverfasst, in dem es zum einen heißt, die PDS habe "nicht ernsthaft die Möglichkeit, einen Regierungswechsel zu verweigern", zum andern aber, es fehlten ihr leider die konzeptionellen Voraussetzungen für einen solchen Schritt; diese müssten erst noch entwickelt werden. Dann kamen die überraschenden Neuwahlen, und das Verhältnis kehrte sich um: Die PDS ging in die Regierung und suchte weiter nach einer Konzeption - ohne sie, nach Reißigs Urteil, zu finden.
Reißig kritisiert das, aber seine eigene Methode führt in das Dilemma nur tiefer hinein. Er will fragen, welche Ziele die PDS formulierte, welche Handlungsmöglichkeiten sie hatte und welche Handlungseffekte erreicht wurden. Dabei stellt er doch dar, dass die PDS nicht erst Ziele setzte und dann Handlungsmöglichkeiten erkundete, sondern umgekehrt mit diesen Möglichkeiten anfing (Haushaltsnotlage, Unausweichlichkeit des Regierungswechsels) und aus ihnen Zielmöglichkeiten ableitete, die Ziele also den Möglichkeiten anpasste. Kaum verwundert es, dass so entstandene Ziele dann auch realisiert werden konnten; die Methode, die es feststellt und wohl gar noch lobende Worte findet, ist weiter nichts als ein Zirkelschluss. Eigene Ziele, ein eigenes Konzept hat die PDS ja nicht entwickelt. Sie konnte froh sein, wenn sie wenigstens fremde fand, solche, denen sich zustimmen ließ! Ist das nicht ein merkwürdiges Verfahren, jedenfalls für eine sozialistische Partei?
Kommunen finanziell zurückgestellt
Auch in MV muss sich die Linkspartei mit einer Haushaltsnotlage herumschlagen. Die damalige PDS ging aber 1998 nicht ziellos, sondern mit einem Konzept und durchaus mit sozialistischem Anspruch ins Regierungsbündnis. Der "öffentlich geförderte Beschäftigungssektor" (ÖBS) war jahrelang auf Konferenzen erörtert worden; nun stimmte auch die SPD zu, ihn mit zwei Modellprojekten wenigstens auszuprobieren. Außerdem wollte die PDS die Eigenständigkeit der Kommunen stärken. Sie setzte in den Koalitionsverhandlungen durch, dass die Umsetzung dieses wichtigen demokratischen Ziels vom Finanzierungsvorbehalt ausgenommen wurde.
Damals war Lafontaine noch nicht als SPD-Vorsitzender und Bundesfinanzminister zurückgetreten. Als das geschehen war, lief die Entwicklung auf Schröders "große Steuerreform" zu. 2000 konnte sie den Bundesrat nur deshalb passieren, weil auch die PDS MV zustimmte. Die meisten Beiträge des Buchs zeigen nun, wie die Reform ihre Schädlichkeit entfaltete. 2003 wurde infolge einer Steuerabschätzung bekannt, dass dem Haushalt für die beiden Folgejahre rund 130 Millionen Euro Einnahmeverluste bevorstanden. Die SPD schlug vor, sie durch die Absenkung der kommunalen Mindestfinanzausstattung aufzufangen. Laut dem zweiten Koalitionsvertrag von 2002 waren die Kommunen vom Finanzierungsvorbehalt nicht mehr ausgenommen.
Der Vorschlag führte zu beträchtlichen Turbulenzen. Die PDS-Minister stimmten zu, die Fraktion lehnte ab; auch der Landesparteitag lehnte ab, war dann aber über den eigenen Trotz so erschrocken, dass er eine Abstimmungswiederholung zuließ und der Kürzung der Kommunegelder schließlich seinen Segen gab. Dass dann noch die Kommunen protestierten, änderte nichts mehr. Mitherausgeber Erwin Kischel zitiert aus einem Schreiben von sieben Bürgermeistern: "Notwendige Investitionen insbesondere im Brandschutz, im Straßenbau und in den Kindertagesstätten werden bereits überwiegend auf unbestimmte Zeit zurückgestellt." Die Kindertagesstätten wurden 2003 in kommunale Hand gegeben, seitdem tut sich eine Preisschere auf. In manchen Kommunen sanken die Elternbeiträge um bis zu einem Drittel. In anderen stiegen sie aufs Doppelte.
Auch am ÖBS ging Schröders Steuerreform nicht spurlos vorbei: "So nahmen am Ende des Jahres 2002 in MV nur noch rund 37.540 arbeitslose Frauen und Männer an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik teil, 24.200 weniger als Ende 1998", heißt es im Beitrag der Landtagsabgeordneten Barbara Borchardt. Dennoch gibt es die beiden Modellprojekte noch heute: "Gemeinwohlorientierte Arbeitsförderprojekte" und "Landesinitiative Jugend- und Schulsozialarbeit". Dem Letzteren ist zu verdanken, dass im Schuljahr 2004/05 jede vierte Schule einen Schulsozialarbeiter beschäftigte. Die ÖBS-Politik kann trotz aller Haushaltsprobleme nicht erfolglos genannt werden. Mit dem sozialistischen Anspruch freilich war es nicht weit her. Die Regierung widmete den Unternehmensneugründungen mehr Aufmerksamkeit als den Debatten um die eigentlich vorgesehene "Neubewertung der Erwerbsarbeit". Bezeichnend, dass jene Arbeitsgruppe im Bündnis für Arbeit, die ursprünglich "Erschließung gemeinwohlorientierter Beschäftigungsfelder" hieß, auf Druck der Unternehmerverbände in "Neue Wege der Arbeitsmarktpolitik" umbenannt wurde.
Die Herausgeber des Sammelbands vermeiden den Zirkelschluss des Berliner Kollegen Reißig. Sie befürworten eine Koalition dann, wenn es Projekte gegen die neoliberale Gesellschaftsentwicklung gibt, die PDS und SPD gemeinsam tragen. Diese Voraussetzung war 1998 "zum Teil" gegeben, so dass die Regierungsbeteiligung "gerechtfertigt sein mochte". Aber bald änderten sich durch die Politik der Bundes-SPD die Rahmenbedingungen. Als auf den Straßen gegen Hartz IV demonstriert wurde, wäre es "spätestens an der Zeit gewesen", die Administration dieser Reform "zu verweigern". Nach Ansicht der Herausgeber sollen die "Rahmenbedingungen" also nicht über die Ziele entscheiden, sondern darüber, ob man eine Regierungsbeteiligung eingeht beziehungsweise aufrechterhält oder nicht. Das ist uneingeschränkt plausibel. Es ist fast trivial.
Parlamentarischer Weg zum Sozialismus
Wie kommt es aber, dass die Landesverbände Berlin und MV dennoch im Ganzen eher der Linie Reißigs folgen? Mir scheint, das könnte mit dem Begriff der "Rahmenbedingungen", wie ihn Befürworter und Gegner der Regierungsbeteiligung gemeinsam verstehen, zusammenhängen. Ein Beitrag im Sammelband gilt ausschließlich diesem Begriff. Er sucht ihn differenziert aufzufächern - Kapitalmacht in neuen Dimensionen, marktgerechte Transformation des Staates, Landeskompetenzen und -ressourcen, Beschaffenheit der SPD als Koalitionspartner, dies alles noch vielfach unterteilt - und urteilt schließlich, "das Kräfteverhältnis" lasse einen Politikwechsel weg von neoliberaler Gesellschaftsentwicklung nicht zu; die PDS beweise nur "ihre Regierungsfähigkeit für das etablierte System". Eben dies dürften Rolf Reißig und Harald Wolf ebenfalls annehmen; sie ziehen nur nicht dieselben Schlüsse daraus. Aber hier wäre eine ganz andere Denkweise geboten.
Wir haben es doch letztlich mit der Frage des "parlamentarischen Wegs zum Sozialismus" zu tun. Die Frage wird von beiden Flügeln der Linkspartei bejaht. Aber was ist der parlamentarische Weg? Besteht er darin, nach dem geeigneten Koalitionspartner zu suchen? Wenn man will, ja. Aber entscheidend ist, dass Parlamente dazu da sind, Gesetze zu beschließen. Diese Gesetze sind die "Rahmenbedingungen" oder, wie Reißig sagt, die "Handlungsmöglichkeiten" des Regierens. Der parlamentarische Weg und Auftrag der Sozialisten besteht darin, sie zu ändern. Wenn sie keine Partner für neue, bessere Gesetze finden, können sie wenigstens das Parlament zur Bühne der Gesetzespropaganda machen. Finden sie aber Partner und erlangen mit ihnen zusammen die Mehrheit, dann ist eine Koalition möglich, die auf Basis selbst geschaffener Rahmenbedingungen regieren kann.
Es ist frappierend, dass auch der kluge Sammelband aus MV diese Antwort nicht findet, sondern eher nach "Rahmenbedingungen" jeder Art fahndet, vor deren geballter Fülle er dann, wen wundert´s, entmutigt zurückweicht. Ist es denn unmöglich, für systemsprengende oder wenigstens den Neoliberalismus sprengende Gesetze zu kämpfen? Friedrich Engels sprach schon 1886 von Ländern, "wo die unvermeidliche soziale Revolution gänzlich mit friedlichen und gesetzlichen Mitteln durchgeführt werden könnte". Er vergaß nicht hinzuzufügen, dass die herrschenden Klassen sich nicht ohne Rebellion "dieser friedlichen und gesetzlichen Revolution unterwerfen" würden. Die "gesetzliche Revolution" ist freilich Zukunftsmusik; aber um Gesetze geht es immer, daran könnte und müsste sich heute schon die Strategiedebatte der Linkspartei orientieren. Wer Schröders Hartzgesetze exekutiert und die Steuerreform gar mitbeschließt; wer einen Bankenskandal auf der Basis von Gesetzen, die ihn für die Schuldigen ungefährlich machen, mit dem Geld der Steuerzahler entsorgt, statt dies andere Parteien tun zu lassen: der ist in der Tat kein Sozialist.
Rolf Reißig, Mitregieren in Berlin. Die PDS auf dem Prüfstand, Karl Dietz Verlag, Berlin 2005
Edeltraut Felfe, Erwin Kischel, Peter Kroh (Hrsg.), Warum? Für wen? Wohin? 7 Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung, GNN Verlag, Schkeuditz 2005
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