Professor Ratzingers Heilsgeschichte

Kritik am Papst Benedikt XVI. hat in Israel der Millionen von den Nazis ermordeten Juden gedacht, doch kein Wort zum Schweigen des Vatikans während des Zweiten Weltkrieges verloren

Benedikt in Jad Vaschem – viele haben sich enttäuscht geäußert. Warum hat Pius XII. zum Judenmord der Nazis geschwiegen? Man hätte gern gewusst: Wie nimmt ein Papst aus Deutschland dazu Stellung? Warum will er Pius gar heilig sprechen lassen? Wie erklärt er seine Versöhnungsgespräche mit der Pius-Bruderschaft, ja mit dem Holocaust-Leugner Williamson? Kein Wort zu alledem. Wie man es inzwischen schon erwarten konnte, hat Benedikt XVI alias Professor Ratzinger vielmehr seine abstrakte Theologie ausgebreitet. Jad Vaschem heißt "Gedenkstätte der Namen", dazu fiel ihm ein, dass Namen vergessen werden können, dass sogar ihre Auslöschung versucht wurde und sie trotzdem in Gottes Gedächtnis bewahrt blieben – so spricht man, wenn man selbst gar nichts damit zu tun hat. So spricht eine Kirche, die sich so sehr außerhalb der Welt wähnt, dass es nichts gibt, was sie verunsichern könnte.

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Für Benedikt ist Auschwitz ein Ereignis in Gottes Heilsplan. Ein schreckliches sicher, in dem aber doch nur der "Glaube" der Vergasten "geprüft" wurde. Wie andere, "wie Jakob wurden auch sie in den Kampf eingetaucht, um die Pläne des Allmächtigen zu erkennen", sagt er in seiner Rede. Wie das ein Deutscher, Papst oder nicht, über die Lippen bringt, ohne dass ihm die Zähne aus dem Mund fallen, ist schleierhaft. Heißt das: Gottes Wege sind unerforschlich? Irgendeinen guten Sinn wird letztlich auch Auschwitz gehabt haben? Die Vergasten waren die ersten, die Gelegenheit hatten, darüber nachzudenken?

"Wie Jakob": Es ist eine Anspielung auf Jakobs Kampf mit Gott, der sich ereignete, als er des Nachts mit seiner Familie einen Fluss überquerte. Ein Mann, der Gott ist, stellt sich ihm in den Weg, renkt ihm das Hüftgelenk aus, kann ihn jedoch nicht besiegen. "Der Mann sagte: Lass mich los; denn die Morgenröte ist aufgestiegen. Jakob aber entgegnete: Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest." Daraufhin wird ihm der Name Israel, "Gottesstreiter", zugesprochen, und er denkt: "Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen." (Genesis 32)

Würde ein jüdischer Theologe Auschwitz so einordnen, könnte man es interessant finden. Aber wenn ein Christ, zumal ein deutscher Christ, so spricht, ist es ein Skandal. Denn es bedeutet nicht weniger, als dass Auschwitz mit der Existenz des Christentums überhaupt nichts zu tun habe. Als Jakob mit Gott kämpfte, gab es noch kein Christentum. Als Juden in Auschwitz vergast wurden, geschah es in einer christlichen Kultur, und man konnte die Henker sehr gut aus der Geschichte, die das Christentum genommen hatte, erklären. Und wie gesagt, es geschah, ohne dass der damalige Papst laut protestierte. Und so wenig wie Pius XII. durfte jetzt Benedikt XVI. zu dieser Wendung einer "Heilsgeschichte" schweigen, in der doch angeblich mit Christus der endgültige Durchbruch zum Besseren schon gelungen war.

Auschwitz als heilsgeschichtliches Ereignis, müsste das nicht mindestens heißen, dass Christus als Repräsentant des jüdischen Gottesvolks, wie ihn auch das Neue Testament verstand, zum zweiten Mal gekreuzigt wurde? Und dass somit das Christentum falsifiziert worden ist? Den Professor Ratzinger kann das nicht erschüttern. Er stellt sich hin und ermuntert quasi die Juden, in ihrem Ringen mit Gott nicht nachzulassen. Wenn das der Zustand der Kirche ist, dann soll man auch nicht enttäuscht sein über die Reden ihrer Päpste, sondern soll ihr eine große Katastrophe wünschen, in der ihr auch einmal eine Hüfte ausgerenkt wird und sie sich endlich eines Besseren besinnt.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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