Protokollfragen und wirkliche Bewegung

Landesparteitage der Linkspartei.PDS WASG-Mitglieder erhalten Plätze auf der Offenen Wahlliste

Vor dem Listenwahlmarathon der Linkspartei.PDS am Wochenende war die Kritik des Verbündeten, der Wahlalternative Arbeit soziale Gerechtigkeit (WASG), nicht zu überhören. Bundesvorstandsmitglied Klaus Ernst warnte: "Dass wir im Saarland in den Meinungsumfragen bei 20 Prozent liegen, liegt nicht an der PDS." Hintergrund war das Ergebnis der bayerischen Listenwahlen vor knapp zwei Wochen. Da wurde zwar Ernst als Spitzenkandidat aufgestellt, doch Fritz Schmalzbauer, den Vorsitzenden der WASG Bayern, ließen die Delegierten durchfallen. Der PDS-Landesvorstand müsse die Basis erst noch vom gemeinsamen Weg überzeugen, sagte Ernst und fordere die PDS zum verantwortlichen Umgang mit der Offenen Liste auf. Präziser äußerte sich Ernsts Vorstandskollege Thomas Händel: Wenn mit Berufung auf Bundeswahlleiter Hahlen behauptet werde, die Offene Liste der Linkspartei dürfe höchstens 25 Prozent freie Kandidaten enthalten, so sei das falsch; Hahlen habe eine solche Zahl nicht genannt.

Keine gemischten WASG-PDS-Listen

Nach den acht Landesparteitagen vom Wochenende zeigt sich, WASG-Mitglieder erhalten keine 25 Prozent der Listenplätze. Auf aussichtsreichen Plätzen tauchen überhaupt nur wenige WASG-Namen auf. In Mecklenburg-Vorpommern kandidiert Isabel Simon auf Platz fünf, in Brandenburg Steffen Hultsch auf Platz 6. Mit Platz acht in Thüringen hat Frank Fiebig kaum Chancen, ganz zu schweigen von Petra Schollmeyer auf Platz 17. Im Westen freilich gibt es mehr WASG-Kandidaten, und sie rangieren weiter oben. Wie Klaus Ernst in Bayern wurde Oskar Lafontaine in Nordrhein-Westfalen Spitzenkandidat. Dort kann sich die WASG nicht beklagen, denn mit Hüseyin Aydin wurde außerdem ein Mitglied des Bundesvorstands auf Platz sechs gesetzt, und Inge Höger-Neuling auf Platz drei war eben erst von der WASG zur PDS übergetreten. Die Listen von Bremen, Hamburg, Hessen und Schleswig-Holstein verzeichnen WASG-Mitglieder jeweils auf Platz zwei.

Dass die WASG hier und da mehr erhofft hatte, wurde nicht nur in Bayern deutlich. In Hamburg war Streit um Platz eins aufgebrandet: Joachim Bischoff von der WASG und Yavuz Fersoglu von der Linkspartei.PDS fanden sich wechselseitig untragbar. Fersoglu erhielt schließlich Platz drei, während Bischoff leer ausging. Spitzenkandidat wurde der von beiden Seiten geschätzte Völkerrechtler Norman Paech. In Brandenburg bewarben sich mehrere WASGler vergeblich um Plätze, ebenso in Thüringen. Es gab auch Streit in der WASG selber. In Hamburg und Brandenburg protestierte ein beträchtlicher Teil der Basis gegen die von ihren Vorständen ins Rennen geschickten Kandidaten.

Die Landesparteitage stellten nicht nur Listen auf, sondern änderten auch den Parteinamen. Insgesamt haben sich nun lediglich Hessen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und das Saarland gegen den Zusatz "PDS" zum Namen "Linkspartei." entschieden. In NRW betrifft der Verzicht nur die Wahlplakate. Weil die WASG auch in dieser Hinsicht mehr erwartet hat, wird mancher sich fragen, ob Enttäuschung mitklang, als Bundesvorstandsmitglied Axel Troost den Delegierten der Bremer Linkspartei.PDS sagte, die WASG werde einen eigenen Wahlkampf führen. Aber es gibt keinen Grund, enttäuscht zu sein. Zwar wurde die Möglichkeit, sich im Westen nur "Linkspartei." zu nennen, deshalb geschaffen, weil man fürchtete, Westwähler scheuten den Namen "PDS". Doch die Umfragen haben längst gezeigt: Den Wählern erscheint die Lage offenbar viel zu ernst, als dass sie solchen bloßen Protokollfragen viel Interesse entgegenbrächten.

Man kann mit dem Verlauf der Landesparteitage schon deshalb zufrieden sein, weil davon eine gewaltige Mobilisierung für den Wahlkampf ausgeht. Keine andere Partei hat schon jetzt Vergleichbares erreicht. Es ist aber auch nicht unwichtig, dass jeder Beschuldigung, die Gesamtliste der Linkspartei.PDS sei das Ergebnis einer wahlrechtswidrigen Absprache zweier Parteien, der Boden entzogen wurde. Die Unzufriedenheit der WASG bis in den Bundesvorstand hinein beweist, dass nach dem kommenden Wochenende, wenn der Berliner Landesverband als letzter gewählt hat, eine Liste allein der Partei, die sich bisher PDS nannte, vorliegen wird. Dass es keine gemischte WASG-PDS-Liste gibt, machte Klaus Ernst auch mit dem Hinweis auf die Parteiprogramme deutlich: "Die PDS will das Arbeitslosengeld II nur aufbessern", die WASG hingegen verlange seine Abschaffung, sie wolle "einkommensabhängige Zahlungen". Zur Wahl steht nun ganz eindeutig das Programm der Partei, die PDS hieß.

Herbert Driebe, der Vorsitzende der WASG Brandenburg, hat Recht, wenn er Marx zitiert: Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme. Ob Parteiprogramm, Parteiname oder Zahl der WASG-Kandidaten - es ist alles zweitrangig, es zählt der starke Schritt. Wohl gibt es eine Parteiabsprache, doch besteht sie nur in der Bekundung, die Parteien wollten sich in zwei Jahren vereinigt haben. Die Namensänderung der PDS reflektiert diesen Willen. In solcher Erwartung kann die WASG damit leben, dass sie beim Zustandekommen der jetzigen Liste nicht mitbestimmt. Ein solches Quidproquo ist rechtssicher. Auch politisch kann für die WASG eigentlich nichts schief gehen.

Klaus Ernst ist beizupflichten, wenn er sagt, 20 Prozent Zustimmung im Saarland habe nicht die PDS erreicht. Den unwahrscheinlichen Fall einmal angenommen, dass die Linkspartei.PDS versuchen wollte, die WASG auszubooten: Wem würde das wohl schaden? Die Bundestagsabgeordneten, die der WASG angehören, bräuchten ja nur aus der Fraktion der Offenen Liste auszutreten, und ob ihre Zahl dann sieben oder siebzig beträgt, spielt gar keine Rolle. Man darf aber schon annehmen, dass die Linkspartei.PDS nichts dergleichen versuchen wird, auch wenn die Zeitungen des Hartz-IV-Spektrums es anders prophezeien, um WASG-Mitglieder zu verunsichern.

Den schnellen Zusammenschluss suchen

Der Partei mit stetig sinkendem Mitgliederstand, die PDS hieß, konnte doch gar nichts Besseres passieren, als dass sie nun die Chance erhält, zum Ostverband einer gesamtdeutschen Linkspartei zu werden, in dem sie zwar in absehbarer Zeit eine Minderheit bilden dürfte - weil es mehr Westdeutsche als Ostdeutsche gibt -, aber eine so ungewöhnlich starke Minderheit, wie sie keine andere Partei aufzuweisen hat.

Wichtig ist nur, dass der "Schritt" auch wirklich getan wird. Deshalb hat, wer misstrauisch ist, eine einfache Agenda: Er muss beide Parteien zum schnellen Zusammenschluss nötigen. Der Horizont von zwei Jahren, den sie sich gesteckt haben, ist viel zu groß. "Differenzen der Parteiprogramme" sind keine Entschuldigung. Ob das Arbeitslosengeld II aufgebessert oder abgeschafft werden soll, ist eine wichtige Frage, aber mit ihr sollen sich die Delegierten der vereinigten Partei befassen. Wenn die Gliederung, die sich jetzt WASG nennt, nicht nur Wähler, sondern auch Mitglieder rekrutiert, kann sie künftigen Parteitagen gelassen entgegensehen.


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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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