Raus aus der Sackgasse!

Sozialdemokraten Bei Licht besehen läuft Gabriels Forderung nach einem „neuen Sozialpaket“ auf den Wechsel zu rot-rot-grüner Politik hinaus. Die SPD sollte sich nicht einschüchtern lassen
Wird von allen Seiten attackiert: Sigmar Gabriel
Wird von allen Seiten attackiert: Sigmar Gabriel

Bild: CLEMENS BILAN/AFP/Getty Images

Was war so falsch an Sigmar Gabriels Satz, ein „neues Sozialpaket für unsere eigene Bevölkerung“ sei nötig, den er am vorigen Donnerstag in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ aussprach? Dieser Satz wäre in so vielen vergangenen Jahren richtig gewesen, in denen kein SPD-Vorsitzender ihn über die Lippen brachte. Mehr Kita-Plätze, mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau, Aufstockung geringer Renten, überhaupt die Abkehr vom strikten Sparkurs - wird das jetzt alles falsch, weil Gabriel es mit der Gefahr begründete, die Gesellschaft fliege sonst auseinander? Hätte er bei Illner nicht zitieren dürfen, was nicht nur er schon oft hat sagen hören: „Für die macht ihr alles“ – für die Flüchtlinge nämlich –„für uns macht ihr nichts“?

Auch von der Linken wird Gabriel kritisiert. Er spiele Deutsche und Flüchtlinge gegeneinander aus. Und die Kanzlerin stößt ins gleiche Horn. Eine solche Äußerung, sagte Angela Merkel am Sonntag bei Anne Will, dürfe man sich nicht zu eigen machen. Sie sei gefährlich. Ja eben! Vor der Gefahr hat Gabriel gewarnt. Und hat sich die Äußerung nicht zu eigen gemacht, sondern erkannt, dass man auf sie reagieren muss, weil sie nicht völlig wirklichkeitsfremd ist. „Jetzt sind auf einmal Milliarden Euro verfügbar, sogar ohne dass der Sparkurs aufgegeben werden muss, aber unsere soziale Situation habt ihr verschlechtert, statt sie zu verbessern!“ – so übersetzt, ist die Äußerung richtig. Genauso wie sie richtig war, als auf einmal Geld da war, marode Banken in der Finanzkrise zu stützen.

Es ist eine seltsame Hypermoral, der jetzt manche das Wort reden: Deutsche, die benachteiligt werden, hätten jetzt, wo es um die Flüchtlinge geht, den Mund zu halten. Auf keinen Fall dürfe der Eindruck entstehen, sie neideten den Flüchtlingen etwas. Welche Mutter reagiert so, wenn eins ihrer Kinder aufs andere eifersüchtig wird? Und darf man nicht mehr sagen, dass Deutsche und Flüchtlinge wirklich zweierlei sind, so lange jedenfalls, wie letztere noch nicht integriert sind? Sie sind ja gerade erst angekommen! Es ist schon bemerkenswert, mit wie viel Gereiztheit sich die politische Debatte auflädt. Wirklich erstaunlich ist es aber nicht.

Bei Licht besehen läuft Gabriels Forderung doch auf den Wechsel der SPD zur rot-rot-grünen Koalition hinaus. Denn mit Merkel und Wolfgang Schäuble kann sie nicht verwirklicht werden. Die aber sehen dem möglichen Wechsel nicht tatenlos zu. Gleich hat Schäuble geantwortet, wie man ihn kennt: „Wenn wir Flüchtlingen - Menschen, die in bitterer Not sind - nur noch helfen dürfen, wenn wir anderen, die nicht in so bitterer Not sind, das Gleiche geben oder mehr, dann ist das erbarmungswürdig." Das Gleiche oder mehr – was für ein erbarmungswürdiger Versuch, die Köpfe zu vernebeln! Warum denn nicht das Gleiche, Herr Schäuble? Damit geben Sie ja denen recht, die „Für uns macht ihr nichts“ sagen! Der Bundesfinanzminister spielt dasselbe Spiel wie in der Griechenlandkrise: lautes Gepolter, das von der brutalen Entschlossenheit ablenken soll, die Austerität aufrechtzuerhalten. Mit Grund darf er hoffen, dass die SPD sich einschüchtern lässt.

Um dieser Sackgasse zu entkommen, muss die SPD aus der schwarz-roten Koalition aussteigen. Um aus der Koalition auszusteigen, muss sie „ein neues Sozialpaket“ fordern, ganz wie Gabriel es jetzt tut. Gewiss drängt sich die Frage auf, ob der SPD-Vorsitzende es ernst meint oder vielleicht nur einen Luftballon steigen lässt, weil Landtagswahlen bevorstehen. Aber dann müsste die Linke dies eruieren, statt an Schäubles Seite über ihn herzufallen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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