A
Augustinus von Hippo (354 – 430) war der Kirchenlehrer der weströmischen Christenheit, auf seine Prädestinationslehre aber, die der Philosophiehistoriker Kurt Flasch als „Logik des Schreckens“ bezeichnet, griffen erst die Protestanten zurück. Sie besagt, dass Gott im Voraus bestimmt habe, welche Menschen zur Errettung erwählt, welche verdammt sein würden. Von ihrem eigenen „Wollen und Laufen“ hänge es nicht ab. Augustinus will das auch begreifen und zitiert Sirach 33, 14 f.: „Dem Schlechten steht das Gute, dem Tod das Leben gegenüber, und so steht gegen den gerechten Mann der Sünder. Schau hin auf alle Werke des Allerhöchsten: Paarweise sind sie geschaffen, eins steht dem anderen gegenüber.“ Gottes Ziel wäre eine ästhetisch ausgewogene Schöpfung gewesen. Der Kirchenlehrer fügt hinzu: „Jedenfalls erwächst das Bessere aus dem Vergleich mit dem Schlechteren und zieht Nutzen daraus.“
B
Bucer, Martin (1491 – 1551), der als Reformator Straßburgs und des Elsasses gilt, hat großen Anteil an der Wittenberger Konkordie (1536), einem Kompromiss im Abendmahlsstreit zwischen Huldrych Zwingli und Martin Luther. Die Frage war wohl deshalb besonders umstritten, weil sie gleichsam einen katholischen Rest im Protestantismus betrifft: Anerkennung eines äußerlichen Heilsmittels trotz des Grundsatzes, dass alles Heil nur aus dem Glauben komme. Zwingli hatte Jesu Einsetzungsworte, Brot und Wein „seien“ sein Leib, wenn man sie im Abendmahl zu seiner Erinnerung genieße, als bloß metaphorische Aussage verstanden, während Luther an Christi Realpräsenz in den Abendmahlsgaben festhielt. Die Kompromissformel spricht von der „sakramentlichen Einigkeit“von Brot und Leib Christi und sagt, sie seien „zugleich“ (simul) vorhanden. Man sieht die Ansätze zum neuzeitlichen Denken in diesem Streit: Aus dem katholischen Wunder der „Transsubstantation“ wird die Metapher, aus der Metapher die Gleichung.
C
Calvin, Jean (1509 – 1564) hat die Ausbreitung des Protestantismus in der westlichen Welt ermöglicht. Nicht Luther, denn dessen Obrigkeitsdenken taugte nicht zum Modell für Revolten außerhalb des deutschen Reiches, wo sich Fürsten gegen den Kaiser auf ihn beriefen. Calvin hatte auch politisch an der Spitze Genfs gestanden. So war der Calvinismus im niederländischen Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien ein geeigneter geistiger Überbau. Da die Niederlande dann zum ersten weltweiten Hegemon des Frühkapitalismus wurden, stellt sich die Frage, ob es einen inneren Zusammenhang zwischen Calvins Lehre und der kapitalistischen Arbeitsethik gibt. Max Weber hat sie bejaht: Die Annahme von Calvinisten, man könne am eigenen Erfolg ablesen, ob Gott einen zur Errettung prädestiniert habe, habe zur Leistung angetrieben. Webers These ist immer noch einflussreich, wird aber inzwischen auch bestritten. Seine Belege sind in der Tat fragwürdig, so weist er auf die Arbeitsdisziplin Benjamin Franklins hin, der aber Deist war und nur einen calvinistischen Vater hatte.
H
Hus, Jan (1370 – 1415) hat sich die Lehren John Wyclifs, des frühesten Reformators, zu eigen gemacht und in Böhmen verbreitet (➝ Wyclif, John). Er kritisierte die Verweltlichung der Kirche, forderte Gewissensfreiheit und lehnte sich gegen das päpstliche Lehramt auf – über Glaubensfragen könne nur die Bibel entscheiden. Er übernahm auch wie Wyclif die augustinische Prädestinationslehre und wollte, dass Gottesdienste in der Landessprache abgehalten werden. Die römische Kirche reagierte mit seiner Exkommunikation.
Zum Konstanzer Konzil ab 1415 hatte ihm der deutsche und böhmische König Sigismund freies Geleit zugesichert, das die Kirche aber brach; weil er nicht bereit war, seine Lehren zu widerrufen, wurde er zum Feuertod verurteilt. Die Präsenz der durch seine Hinrichtung ausgelösten Hussitenkriege (1419 – 1434) im historischen Gedächtnis ist auch deshalb immer noch stark, weil ein musikalischer Klassiker, Bedřich Smetanas Má vlast (Mein Vaterland, 1882) – populär durch das in ihm enthaltene Stück Die Moldau –, am Ende den Kampf und erträumten Sieg der Hussiten darstellt und ihren Choral beschwört.
K
Knox, John (1514 – 1572) war Reformator in Schottland und Mitbegründer der Presbyterianischen Kirchen, eines Zweigs des Puritanismus. Nach der Thronbesteigung der katholischen Königin Maria war er 1554 nach Genf geflohen und wurde Schüler Calvins (➝ Calvin). Der versucht ihn zu bremsen, wenn er als Pfarrer einer englischen Flüchtlingsgemeinde die anglikanische Liturgie „reinigt“. Knox pocht auf den Wortlaut der Bibel, Calvin wendet ein: „Gewisse Dinge sind zu dulden, auch wenn man sie nicht billigen kann.“
L
Luther, Martin (1483 – 1546) war nicht der erste Reformator, hat aber die Reformation zum Durchbruch gebracht. Ein kurzzeitiges Vakuum in den europäischen Machtverhältnissen kam ihm entgegen. So hatte er 1518 in Rom zum Häresieprozess erscheinen sollen, aber Papst Leo X. nahm die Aufforderung zurück, weil er den Luther unterstützenden sächsischen Kurfürsten Friedrich („der Weise“) für die Kaiserwahl brauchte. Später, als das protestantische Lager schon groß war, konnte Kaiser Karl V. es nicht gleich niederwerfen, weil er sich erst gegen die Türkengefahr wenden musste, und danach war es zu spät. Selbst Karls Sieg im Schmalkaldischen Krieg gegen die protestantischen Fürsten (1546 – 47), dessen Ausgang Luther nicht erlebte, änderte nichts mehr.
M
Melanchthon, Philipp (1497 – 1560) war Luthers engster Mitarbeiter. Man kann ihr Verhältnis mit dem von Friedrich Engels und Karl Marx vergleichen. Als Altphilologe, Philosoph und Humanist war Melanchthon Luthers ideale Ergänzung, er sah dessen Übersetzung des Neuen Testaments auf der Wartburg durch und korrigierte sie teilweise. Politisch wirkte er als Verhandlungsführer der Reformation, für die Bekenntnisentwicklung wurden seine Loci communes rerum theologicarum grundlegend (Allgemeine Grundbegriffe der Theologie, 1521), die erste systematische Darstellung der evangelischen Lehre. Melanchthon hat die lutherische Kirche in Deutschland mindestens so wie Luther, wenn nicht stärker als er geprägt (➝ Luther, Martin).
Mehr noch: Seine Rolle als Reformator des Bildungswesens war so wichtig, dass man ihn schon zu Lebzeiten als „Praeceptor Germaniae“ (Lehrer Deutschlands) bezeichnete. In vielen Schulen des 16. Jahrhunderts waren seine Bücher als Unterrichtsstoff vorgeschrieben. Er gründete auch selbst Schulen, visitierte sie und entwarf Schulordnungen. Die von ihm 1526 eingeweihte Obere Schule St. Egidien in Nürnberg heißt heute Melanchthon-Gymnasium, ist die Urform dieses Schultyps.
Müntzer, Thomas (1489 – 1525) trat für die gewaltsame Befreiung der Bauern ein, weshalb sich Luther zu Beginn des Bauernkriegs von ihm distanzierte. Im Unterschied zu Luther kämpfte er nicht nur gegen die geistliche Obrigkeit des Papstes, sondern auch gegen die weltliche der Fürsten. Als Pfarrer in Mühlhausen (Thüringen) setzte er sich für eine gerechte Gesellschaftsordnung ein, für die Abschaffung von Privilegien, für eine Armenspeisung, für die Schaffung von Räumen für Obdachlose. Als Bauernführer im Krieg scheiterte er aber, wurde nach der Schlacht von Frankenhausen 1525 gefangen genommen, gefoltert, öffentlich enthauptet und aufgespießt. Ernst Bloch hat 1969 ein Buch über ihn veröffentlicht: Thomas Münzer als Theologe der Revolution. „Münzer vor allem“, schreibt Bloch, „ist Geschichte im fruchtbaren Sinn; er und das Seine und alles Vergangene, das sich lohnt, aufgeschrieben zu werden, ist dazu da, uns zu verpflichten“. Und: „Das ‚Widerstehen‘ durch Liebe statt durch Gewalt hat bislang noch nirgends die böse Gewalt ausgerissen oder auch nur entwaffnende Scham erregt.“
S
Simons, Menno (1496 – 1561), ein niederländisch-friesischer Theologe, hat den pazifistischen Flügel der Wiedertäuferbewegung geprägt. Nach seinem Vornamen benennen sich die Mennoniten. Simons wendet sich in seinen Schriften gegen die münsteraner und andere gewaltbereite Täufer. Ohne diese Distanzierung wären die Täufer wohl ausgerottet worden, so gibt es sie noch heute, etwa als Baptisten in den USA. Zu Simons’ Zeit wurden aber auch pazifistische Täufer nicht geduldet; Reformierte wie Lutheraner waren ihnen feind, Katholiken ohnehin, und Kaiser Karl V. bedrohte jeden, der Simons unterstützte oder seine Schriften verbreitete, 1542 in einem Edikt mit der Todesstrafe.Weil Simons die Kirche als Gemeinschaft der Wiedergeborenen und Gerechten definiert, wird ihm die Taufe zum Zeugnis des Glaubens und der Auferstehung des Gläubigen: Sie ist als Veränderung des inneren Lebens nur Erwachsenen möglich.
An die Stelle des Kampfes gegen die „Welt“, den Simons ablehnt, setzt er die Absonderung der Wiedergeborenen von ihr. Simons erkennt zwar anders als Müntzer die weltliche Obrigkeit an, verpflichtet seine Gemeinde aber darauf, den Kriegsdienst abzulehnen. Deutsche Mennoniten beteiligen sich heute am Netzwerk Friedenssteuer, das die pauschale Steuerzahlung verweigert, weil sie auch für Militärausgaben verwandt wird.
W
Wyclif, John (1330 – 1384) war der erste Reformator lange vor Luther, und es dürfte kein Zufall sein, dass er zur Zeit der Großen Pest auftrat. Wenn er so viele Eigenheiten der katholischen Kirche verwirft, die Bilder-, Heiligen- und Reliquienverehrung, den Priesterzölibat, die Transsubstantationslehre (➝ Bucer, Martin) und die Ohrenbeichte, dann weil das alles nichts nützt: „Alles, was geschieht, geschieht mit absoluter Notwendigkeit“, schreibt er, „auch das Böse“; „Gottes Freiheit besteht darin, dass er das Notwendige will.“ Das geht über die Prädestinationslehre noch weit hinaus, schließt sie aber eben ein – in diesem Kontext kann sie gedeihen. Dass aber die Kirche gegen das Böse nichts ausrichtet, ist die Erfahrung aller Menschen, die in der Pestzeit dem eigenen Tod ausgeliefert sind und den Zerfall der Gesellschaft mitansehen müssen.
Wyclifs Lehre wurde zwar von der Kirche verurteilt, ihn selbst aber klagte man nicht an, weil man fürchtete, ein Volksaufstand würde dann losbrechen. Auf seine Lehren berief sich die Peasants’ Revolt von 1381, der größte Bauernaufstand im mittelalterlichen England.
Z
Zwingli, Huldrych (1484 – 1531) war Reformator in Zürich. Er und Calvin haben die reformierte im Unterschied zur lutherischen Kirche begründet. Zwingli spitzt sowohl die Prädestinationslehre zu als auch die Ablehnung äußerlicher Heilsmittel. Das Zweite führt zum Abendmahlsstreit mit Luther. Zum Ersten lehrt er als einziger Reformator, dass Gott auch die Ursache der Sünde sei. „Gott treibt den Mörder zum Mord“, um das Gute zu bewirken, schreibt er. Beide Seiten der Lehre bedingen einander: Wenn alles davon abhängt, wozu Gott einen Menschen im Voraus bestimmt (➝ Augustinus von Hippo), dann ist diesem Menschen auch durch das Brot und den Wein des Abendmahls nicht mehr zu helfen.
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