Zu Wochenbeginn traf Petro Poroschenko in Berlin mit der deutschen Kanzlerin und dem französischen Präsidenten zusammen. Wladimir Putin war nicht geladen. Warum die Abweichung vom Format der Minsker Verhandlungsrunde? Eine Zurücksetzung des russischen Staatschefs haben selbst politische Beobachter in Moskau nicht gesehen. Wie sie vielmehr glauben, sollten Poroschenko die Leviten gelesen werden, was gewöhnlich nicht vor aller Augen geschehe. Auch Gernot Erler, Russland-Beauftragter der Bundesregierung, erwartete einen Tadel: Der „politische Prozess“ dürfe „nicht der Illusion einer militärischen Lösung“ geopfert werden.
Im September 2014 hatte das ukrainische Parlament ein Gesetz beschlossen, das den Friedensplan des ersten Minsker Abkommens umsetzte. Es räumte den Separatistengebieten Selbstverwaltung, eine eigene Miliz und Sonderbeziehungen zu Russland ein. All das wurde am 12. Februar dieses Jahres nochmals bestärkt (Minsk II). Poroschenko jedoch weigert sich bis heute, das Gesetz zu unterzeichnen. Eine Verfassungsreform zur Dezentralisierung der Ukraine wurde am 15. Juli 2015 in erster Lesung vom ukrainischen Parlament beschlossen. Hier bedurfte es bereits der Intervention Angela Merkels und François Hollandes, die am Vortag telefonisch darauf drangen, dass die Umsetzung von Minsk I und II möglich bleiben müsse. Der auf ihren Druck hin ergänzte Satz besagt, die „Gestalt der lokalen Selbstverwaltung“ werde „in bestimmten Kreisen der Gebiete Donezk und Luhansk in einem gesonderten Gesetz festgelegt“. So höflich bestanden sie auf dem, was schon neun Monate vorher beschlossen worden war.
Doch auch diese Erinnerung, der sich übrigens das US-Außenministerium anschloss, bewog Poroschenko nicht zur Unterzeichnung. Stattdessen beschwert sich Oksana Syroid, die Vizepräsidentin des Parlaments in Kiew, über jene Telefonate. Sie hält das Gesetz für „eine Waffe Russlands“. Ergänzend wirft Valerij Tschalij, ukrainischer Botschafter in Washington, dem Westen vor, er lege den Friedensplan von Minsk zu Kiews Lasten aus. Nach seiner Lesart müssten erst die russischen Soldaten aus den Separatistengebieten abgezogen werden. In der Tat fordert Minsk II den „Abzug aller ausländischen bewaffneten Formationen“ sowie „von Söldnern“.
Dass es solche Söldner wirklich gibt, kann nicht bestritten werden, ihr Abzug wird aber in einem Paragrafen verlangt, der als Kiewer Gegenleistung die „Entwaffnung aller gesetzeswidrigen Gruppen“ vorsieht, der teils faschistischen paramilitärischen Einheiten also, die bis heute auf ukrainischer Seite mitkämpfen.
Ginge es Kiew um den Frieden, wie außerordentlich sinnvoll wäre ein Inkrafttreten des Gesetzes! Denn danach würde beiden Seiten der legitime Grund fehlen, die militärische Frontstellung gegeneinander weiter aufrechtzuerhalten. Wie es jedoch dazu kommen soll, ist schleierhaft. Dass Poroschenko nicht unterzeichnet, hat einen nachvollziehbaren Grund: Das Gesetz konnte nur mithilfe der Opposition im Parlament beschlossen werden. Vielleicht wären Neuwahlen ein Schritt nach vorn. Die Partei des Premierministers Arsenij Jazenjuk bekommt in Umfragen noch knapp drei Prozent. Vor zehn Monaten waren es noch über 22. Von einer neuen Regierungsmehrheit wäre zu hoffen und auch zu verlangen, dass sie endlich die Realitäten im gesamten Land anerkennt. Merkel und Hollande hätten Neuwahlen vorschlagen können. Leider deutet nichts darauf hin, dass sie es getan haben.
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