Was sind uns – frei nach Hamlet – „Gravitationswellen“, dass wir um sie uns freuen sollten? Mit ihrem Nachweis sei das Tor zu neuen Entdeckungen geöffnet worden, sagen die Physiker: in jene 99 Prozent des Weltalls, von denen wir bisher nichts wissen, weil kein Licht auf sie falle. So würden wir genauer erfahren, was sich beim Zusammensturz kompakter Massen zum Schwarzen Loch ereignet oder was beim Urknall geschehen ist. Aber was kann der Nachweis den Nichtphysikern bedeuten? Die sehen vielleicht nur, dass sie in ein ganzes Knäuel von Verzögerungen geworfen sind. Mehr brauchen sie nicht, um zu staunen.
Der Nachweis, der vor wenigen Wochen bekannt gegeben wurde, gelang schon im September. Das ist noch nicht erstaunlich: Die Physiker brauchten Zeit, um sicherzugehen, dass es ein Nachweis war. Wir staunen auch nicht darüber, dass der Nachweis eigentlich erst für den Herbst dieses Jahres erwartet worden war oder darüber, dass Nachweise im großen Stil neue Apparaturen voraussetzen. Erst wenn sie arbeiten, kann es zu jenen Entdeckungen kommen. Der Nachweis vom September ist also gar nicht das, was Nichtphysiker ein Ereignis nennen würden. Denn er wurde planmäßig herbeigeführt und es war klar, dass er geschehen würde. Nur der genaue Zeitpunkt war offen. Es musste irgendwann zu ihm kommen, weil Gravitationswellen von Albert Einsteins Relativitätstheorie vorausgesagt wurden, die schon unabhängig von ihnen, durch den Nachweis der „Rotlichtverschiebung“ nämlich, experimentell verifiziert ist. Unter dieser können sich aber Nichtphysiker nichts vorstellen, während jedermann weiß, was Gravitation ist.
Die Gravitationswellen bewirken, dass die Relativitätstheorie mit einem Jahrhundert Verzögerung bei uns ankommt. Das ist für Nichtphysiker viel aufregender, als dass die Wellen ihrerseits von einem Geschehen künden, das sich vor 1,3 Milliarden Jahren abgespielt hat; entsprechend viele Lichtjahre war es von uns entfernt. Denn was sind uns, um mit Thomas Mann zu sprechen, die geistlosen Quinquillionen des Alls?
Die Relativitätstheorie indessen war ein Ereignis. Da ist aber wiederum erstaunlich, dass schon Einstein vergessen hatte, worin es eigentlich bestand. Von ihm ist der Satz „Gott würfelt nicht“ überliefert. Mit seiner Relativitätstheorie hat er Gott aber aus der Physik vertrieben. Isaac Newton hatte ihn noch gebraucht für sein Verständnis von Gravitation. Newton hielt Gravitation für eine fernwirkende Kraft, und weil er selbst der Erste war, der Fernwirkung absurd fand, schrieb er, sie müsse „durch einen Vermittler erzeugt werden“. Er nahm Gott als diesen Vermittler an. Das All hielt er für Gottes Innenraum. Seine Physik war noch zugleich Theologie.
Einstein brauchte keinen Vermittler mehr, denn nach der Relativitätstheorie ist Gravitation die Nahwirkung von Wellen, die sich unaufhaltsam ausbreiten, bis sie die Raumzeit zu ihr verformt haben. Dennoch kennt man seinen Satz „Gott würfelt nicht“: Sogar ihn hatte die Nachricht vom Tod Gottes, die er doch selbst in Umlauf brachte, noch nicht erreicht. Deshalb fiel der Satz auch zu knapp aus, um hilfreich sein zu können: In ihm liegt, dass alles mit Notwendigkeit geschehe, aber gilt das nur physikalisch oder auch in der Hirnforschung?
Nein, er ist selbst physikalisch falsch, denn die Quantenmechanik kennt Zufälle. Ob es aber neben Zufällen auch Möglichkeiten gibt, in dem Sinn, dass zwischen ihnen frei gewählt werden kann, ist weiter umstritten. Diese Frage dürfte für Menschen noch wichtiger sein, als es Gravitationswellen sind.
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