Es mag angesichts der Berichterstattung über den Atom-Zwist im schwarz-gelben Kabinett nicht sofort auffallen. Doch fädelt die Regierung ihre Atomenergiepolitik gar nicht ungeschickt ein.
Ein Gutachten hat sie bestellt, das die erwünschten Empfehlungen liefert. Da konnte kaum etwas schief gehen, denn eins der drei Gutachter-Institute wird von der Atomindustrie finanziell unterstützt, die vorgegebenen Annahmen über die Zunahme der erneuerbaren Energien steuern das Ergebnis. Die Empfehlungen laufen darauf hinaus, dass der CO2-Ausstoß weniger stark sinkt, wenn AKW abgeschaltet werden, und dass Konversion etwas kosten würde.
Beides wussten wir seit Jahrzehnten. Aber es wird jetzt in die Frage nach der besten Laufzeitverlängerung übersetzt, als ob
dass Konversion etwas kosten würde.Beides wussten wir seit Jahrzehnten. Aber es wird jetzt in die Frage nach der besten Laufzeitverlängerung übersetzt, als ob überhaupt eine gut wäre. Das eigentliche Problem fällt unter den Tisch: dass kein Meiler absolut sicher ist, selbst wenn er vor Flugzeugabstürzen geschützt wird, und niemand eine Havarie ausschließen kann. Damit das Gutachten günstige Aufnahme findet, hat die Kanzlerin vorher ihre Energiereise gemacht. Da wollte sie eintrichtern, dass es, bei Licht betrachtet, gar nicht um ein Verlängern, sondern um ein Auslaufen gehe. Natürlich solle die Zeit der erneuerbaren Energien möglichst schnell anbrechen, und wenn die Konzerne ein paar Jahre mehr bekämen, müssten sie dafür auch zahlen, und das Geld komme der Konversion zugute.Die Konzerne setzen ihr Profitinteresse durch, die Regierung gibt Flankenschutz. Das hat mit Klimapolitik nichts zu tun. Die meisten Meiler sind buchhalterisch schon abgeschrieben. Außerdem kostet Uran weniger als Kohle und Gas. Welch traumhafte Gewinnlage, wer ließe sie schon freiwillig fahren? Acht Jahre Laufzeitverlängerung würden nach manchen Schätzungen Zusatzgewinne von bis zu 73 Milliarden Euro bescheren. Die Behauptung, die Konzerne müssten ja auch große Rücklagen für die hohen Kosten der Endlagerung bereithalten, führt in die Irre, da die entsprechenden Vermögenswerte tatsächlich in andere Branchen investiert werden. Sie sind nicht insolvenzsicher. Eine eigentliche Rücklegung findet gar nicht statt.Die Regierung behauptet, sie wolle von den Zusatzgewinnen etwas abschöpfen, damit die Ausweitung der Produktion erneuerbarer Energien beschleunigt werden kann. Es ist aber bloß eine neue Steuer geplant, die mit jährlich 2,3 Milliarden Euro der Haushaltssanierung zugute kommen wird. Darüber hinaus will man die Konzerne um freiwillige Beiträge bitten. Damit durchkreuzt die Regierung ihr eigenes Konzept: Die Laufzeitverlängerung kann nicht als „Brücke“ zu den erneuerbaren Energien erscheinen. Viele Menschen werden sich sagen, dass sie nur einem Spiel auf Zeit beiwohnen. Von „10 bis 15 Jahren“ Verlängerung haben Angela Merkel und Vizekanzler Guido Westerwelle gesprochen. Wenn sie das Spiel gewinnen, steht nach Ausschöpfung dieser Zeit die nächste Verlängerungsdebatte an, und die Konzerne machen vielleicht so lange weiter, bis das letzte Uran verbraucht ist.Chance der Opposition Daher hat jetzt die Opposition ihre Chance. Rot-Grün wird ohnehin stärker. Mit diesem Thema kommt noch mehr Wind in die Segel. Aber die nächste Bundestagswahl ist damit noch nicht gelaufen. Man fühlt sich manchmal an die ersten Jahre der Regierungszeit Helmut Kohls erinnert. Der begann 1983 auch mit pannenreichen Monaten, ihm wurde ein baldiges Ende prophezeit, und die Opposition führte in den Meinungsumfragen. Tatsächlich regierte er recht lange.Zum planvollen Vorgehen der jetzigen Regierung gehört auch, wie schnell sie die Energiepolitik anpackt: In drei Jahren bei der Wahl geht es vielleicht um ganz andere Themen. Andererseits bewirkt die Opposition mehr, als dass sie nur in Meinungsumfragen führt. Sie gewinnt für ihre Energiepolitik in der Union selber Anhänger. Das ist Merkels Schwäche: Während sie hier einmal mit der FDP einig ist, spaltet ihre Energiepolitik die eigene Partei. Gegen ihren Versuch, den Bundesrat an der Gesetzesnovelle nicht zu beteiligen, wehren sich auch CDU-geführte Bundesländer.Zwei SPD-Regierungen werden in Karlsruhe klagen. Aber wiederum ist nicht klar, wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Auch der damalige Kanzler Gerhard Schröder hatte den Bundesrat 1999 am Ausstiegsgesetz nicht beteiligt. Wenn die SPD die Klage verliert, dämpft das den Auftrieb der Opposition. Die Merkel-Regierung tut das Ihre dazu, indem sie die Laufzeitverlängerung nicht auf die Spitze treiben wird – wenn Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) von 20 Jahren spricht, dann nur, damit man Merkel und Westerwelle maßvoll finden soll; es wird nämlich behauptet, der Bundesrat müsse bei einer „moderaten“ Verlängerung nicht beteiligt werden. Wie es an dieser Front weitergeht, ist schwer zu prophezeien.Linkspartei hemmt sich selbstNun gibt es auch noch die Linkspartei. Nach ihrem Programmentwurf müsste die ganze Energiebranche verstaatlicht werden und der Staat dann das Vernünftige tun. Damit trägt sie zum gegenwärtigen Konflikt nichts bei, sondern kann nur die RotGrünen unterstützen. Für Rot-Grün aber gibt es eigentlich nur ein Mittel voranzukommen: Dass sie Wahlen gewinnt. Aber Wahlen werden mal gewonnen, mal verloren – in der Laufzeitfrage, die sich über mehrere Wahlperioden erstreckt, führt das nicht weiter. Dabei denkt in der Atomsache eine Bevölkerungsmehrheit rotgrün, was ja die Uneinigkeit der Union erklärt.Eben deshalb wäre ein neuer Schritt fällig, den aber wegen ihrer Verstaatlichungs-Vision nicht einmal die Linkspartei vorschlagen kann. Er bestünde darin, dass man die Einführung von allgemeinen Wahlen über Grundfragen der weiteren ökonomischen Entwicklung fordert – etwa über die Energieversorgung. Das würde in die Debatte unmittelbar eingreifen, könnte in sehr breiten Kreisen populär werden und gäbe der Linken eine eigene Rolle Rot-Grün gegenüber. So wie Rotgrün mit der Atomausstiegsidee ins Unionslager hineinwirkt, könnte die Linke mit ihrer Idee das rot-grüne Lager beeinflussen. Schön wär‘s! Man soll immer auch sagen, was möglich wäre, statt nur zähneknirschend zu melden, was geschehen wird. Und sei’s nur, damit aus Ärger zwar Wut, aber nicht Verzweiflung wird.