Russlands ISS-Rückzug legt die Problematik von Sanktionen offen

Raumfahrt Russlands Ausstieg aus dem ISS-Programm zeigt: Nicht nur beim Gas, auch im Weltraum sitzt Russland am längeren Hebel
Der von Russland gepachtete Kosmodrom in Baikonur. Von hier starteten zuletzt alle bemannten ISS-Missionen. Russland ist für den Antrieb der ISS verantwortlich
Der von Russland gepachtete Kosmodrom in Baikonur. Von hier starteten zuletzt alle bemannten ISS-Missionen. Russland ist für den Antrieb der ISS verantwortlich

Foto: Kirill Kudryatsev/AFP via Getty Images

Dass Russland aus der Internationalen Weltraumstation ISS aussteigen würde, hatte sich seit Ende Februar angebahnt. Gleich nach dem Beginn des Ukrainekriegs brachte der damalige russische Raumfahrtchef Dmitri Rogosin seine „Skepsis“ zum Ausdruck, die Zusammenarbeit mit den westlichen Partnern könne über 2024 hinaus fortgesetzt werden. Dieses Jahr war zwar schon ursprünglich als Ende der ISS vereinbart gewesen, die USA hätten aber gern bis 2030 weitergemacht und darauf hatte man sich zwischenzeitlich auch geeinigt. In der vorigen Woche gab Juri Borissow, Rogosins Nachfolger, den russischen Ausstieg für 2024 bekannt. Die verbleibenden zwei Jahre braucht Russland, um eine eigene Station aufzubauen.

Russland ist für den Antrieb der ISS verantwortlich, dafür wird der Westen in zwei Jahren keinen Ersatz finden. Noch nach Borissows Bekanntgabe war deshalb von der US-Raumfahrtbehörde NASA zu hören, es sei ja noch keine „offizielle Benachrichtigung“ erfolgt und so hoffe man über 2024 hinaus, zumal die Zusammenarbeit mit den Russen immer gut gewesen sei. Dabei haben die drei russischen Kosmonauten, die zur Zeit auf der ISS stationiert sind, dort Anfang Juli die Flaggen der prorussischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk vorgezeigt. Nun, die Bedeutung des Geschehens ist klar: Der Westen hat Sanktionen gegen Russland verhängt, Russland verhängt Sanktionen gegen den Westen. Und nicht nur beim Gas, auch im Weltraum sitzt Russland am längeren Hebel.

Die Probleme mit den Sanktionen

Westliche Sanktionen sollten Russland schädigen: Der Plan ist gescheitert und war von vornherein dumm, weil Sanktionen durch Gegensanktionen beantwortet werden können. Sie schädigen Russland wie den Westen und diesen anscheinend noch mehr. Dass die USA weiter mit Russland zusammen die ISS betreiben will, widerlegt die gesamte westliche Sanktionspolitik. Dort wie beim Gas zeigt sich der logische Fehler: Im Fall des russischen Gases wird behauptet, es sei falsch gewesen, sich von Russland abhängig zu machen, beim ISS sieht aber jede/r, dass die Abhängigkeit wechselseitig ist. Wie soll sie denn auch einseitig sein können? Wird nicht seit Jahrzehnten die Globalisierung als der große Menschheitsfortschritt gepriesen? Was ist Globalisierung, wenn nicht die unauflöslich gewordene Vernetzung aller Regionen der Erde miteinander?

Dass der Westen auf den Ukraine-Krieg reagierte, haben die einfachen Menschen gebilligt. Wie er reagierte, war und ist im Einzelnen zwar umstritten. Dabei hat der zum Scheitern verurteilte Versuch, Russland politisch zu isolieren, die einfachen Menschen nicht so sehr interessiert. Die Lieferung immer schwererer Waffen in die Ukraine hat den Verstand mancher von uns verletzt, weil wir uns fragen, warum der Westen nicht eher versucht, den Krieg durch ein Verhandlungsangebot, mit dem Russland wie die Ukraine leben könnten, schnellstmöglich zu beenden.

Aber sowohl auf der Ebene der internationalen Politik als auch auf der militärischen Ebene sind die Menschen hierzulande nicht unmittelbar betroffen. Warum waren diese Ebenen unserer politischen Klasse immer noch nicht genug, warum mussten sie auch noch die wechselseitige ökonomisch-technische Abhängigkeit mit Schlägen traktieren? Davon sind wir alle betroffen, wie das Gasproblem zeigt. Wir sollen bald frieren, während die NASA an Russland appelliert, mit ihr im Geschäft zu bleiben? Da kann man wirklich nur hoffen, dass es bald zum Aufstand kommt.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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