Oft konnte man in der letzten Woche lesen, die SPD reagiere schweigend auf den schweren Streit, der zwischen den Unionsparteien ausgebrochen ist. „Die SPD steht schweigend als Zaungast nur am Rande“, behauptete zum Beispiel die Linken-Parteivorsitzende Katja Kipping, „und opfert die Idee von Europa und die Menschenrechte ihrer Angst vor Neuwahlen.“ Nachvollziehbar ist das nicht wirklich. Denn bereits am Mittwoch voriger Woche, dem Tag des Integrationsgipfels, an dem Bundesinnenminister Horst Seehofer nicht teilnahm, stärkte Burkhard Lischka der Kanzlerin den Rücken. Er ist innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Am Donnerstag sprach sich dann auch Carsten Schneider, der Parlamentsgeschäftsführer, für eine europäische Lösung aus. Am Freitag distanzierte sich die Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles von der CSU-Politik. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder benehme sich wie ein „Bonsai-Trump“, sagte sie. Die Union solle übers Wochenende zur Sachlichkeit zurückfinden. Sie unterstützte Angela Merkel in der Auffassung, dass eine Lösung der Flüchtlingsfrage im deutschen Alleingang „nicht denkbar und sinnvoll“ sei.
Vielleicht rührt der Eindruck vom Schweigen der SPD daher, dass sich nicht auch sozialdemokratische Bundesminister von Anfang an zu Wort gemeldet haben. Aber das zu tun, wären sie schlecht beraten gewesen. Es hätte so ausgesehen, als müssten sie ersatzweise die Richtlinienkompetenz ausüben, weil die Kanzlerin keine mehr habe. Die SPD-Minister meldeten sich daher wie die Parteivorsitzende erst am Freitag zu Wort. Dabei sprach sich auch Katarina Barley, die Bundesjustizministerin, für eine europäische Lösung aus, während Vizekanzler Olaf Scholz die Koalitionspartner mahnte, sie sollten ihren Machtkampf einstellen. In allen Statements stellten die führenden SPD-Politiker klar, dass sie den Streit als einen Parteienstreit betrachten; er ist gefährlich, aber doch nicht der erste, der zwischen Koalitionspartnern ausbricht. Und sie haben sich deutlich positioniert.
Was sollten sie noch sagen, nachdem Nahles den Unionsparteien das Wochenende zur Problemlösung eingeräumt hatte? Sie wartete den Montag ab, um ein Spitzentreffen der Koalition noch vor dem EU-Gipfel Ende Juni zu fordern. Dass es schließlich auch noch einen Koalitionsvertrag gebe, in dem EU-orientierte Lösungen festgeschrieben seien, hatte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil schon am Freitag in Erinnerung gerufen. Nahles ergänzte am Montag, „dass eine Einigung zwischen CDU und CSU kein Automatismus für eine Zustimmung der SPD bedeutet“.
Alle für Merkel
Auch die Linkspartei unterstützte indirekt die Kanzlerin, indem sie Seehofer scharf angriff. So verlangte Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte, Merkel müsse „die Notbremse ziehen“ und Seehofer entlassen. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau warf der CSU vor, einen Wettlauf mit der AfD aufgenommen zu haben. Auf die Frage, ob er auf der Seite der Kanzlerin stehe, mochte Fraktionschef Dietmar Bartsch allerdings nicht direkt antworten. Seehofers Angriff zeige, wie angeschlagen Merkel sei, sagte er vielmehr und forderte die Kanzlerin auf, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. Ebenso äußerte sich Sahra Wagenknecht: „Ist die Union überhaupt noch regierungsfähig?“
Die Frage, ob Linke sich verkaufen, wenn sie die Kanzlerin auch einmal direkt unterstützen, stellt sich seit dem 4. September 2015, als Merkel Tausende von Flüchtlingen, die an der Grenze standen, mit einem Schlag einreisen ließ. Danach hat sie alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Aber jetzt geht es wieder um jenen Tag, denn am Samstag voriger Woche hat Seehofer erneut behauptet, mit ihrer „Flüchtlingsentscheidung 2015“ habe Merkel „die Spaltung Europas herbeigeführt“.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.