Schuld, Verantwortung und Ruhestandsgeld

Loveparade Duisburgs Oberbürgermeister Sauerland will nicht zurücktreten. Dabei verlangt die Vernunft einen Neuanfang nach dem Desaster bei der Love Parade. Was ist Verantwortung?

Der Duisburger Oberbürgermeister Sauerland lehnt einen Rücktritt weiterhin ab. Inzwischen hat ihn nicht nur der nordrhein-westfälischen Innenminister Jäger, sondern auch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft dazu aufgefordert. Beide bauen ihm nachgerade goldene Brücken, damit der überfällige Schritt endlich geschieht. Sie versuchen ihm deutlich zu machen, dass er die Verantwortung übernehmen muss, selbst wenn ihm wirklich keine Mitschuld sollte nachgewiesen werden können. Das ist keine parteipolitische Angelegenheit. Sauerland gehört zwar der CDU an, während Kraft und Jäger Sozialdemokraten sind, aber auch die CDU-nahe Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt glasklar, er schaue sich vergeblich nach Mitverantwortlichen um: "Die Verantwortung, die er trägt, ist nicht teilbar."

Er könnte wirklich zufrieden sein, dass ihm noch Brücken gebaut werden und es also einige gibt, die die Frage seiner Mitschuld in den Hintergrund treten lassen. Denn sie stellt sich bohrend genug. Die Stadt Duisburg hat den Veranstaltern der Love Parade erlaubt, die gesetzlichen Vorgaben zur Größe der Fluchtwege zu unterschreiten. Das kontrastiert seltsam damit, dass von mehreren Seiten Sicherheitsbedenken vorgetragen worden waren. Der Duisburger Baudezernent soll in einem Sitzungsprotokoll handschriftlich vermerkt haben, er lehne jede Verantwortung ab. Die Polizei hatte die Situation im Bereich des Tunnels problematisiert. Die Erlaubnis für die Veranstaltung, heißt es, sei ihr erst am Tag des Stattfindens ausgehändigt worden, auch das nur auf Nachfrage. Und mit all dem will der Oberbürgermeister nichts zu tun haben? Er bedient sich seinerseits des Ausdrucks "Verantwortung": "Persönliche Verantwortung", sagt er, "kann es nur geben, wenn es ungerechtfertigte Eingriffe in den Prozess gegeben hätte."

Lassen wir uns einmal darauf ein, ebenfalls nur von Verantwortung zu sprechen, nicht von Schuld – um zu zeigen, dass sie für den freiwilligen Rücktritt wirklich ausreichen sollte, und um zu fragen, warum das so schwer zu begreifen ist. Bezeichnend ist schon, dass Sauerland von "persönlicher", Jäger von "moralischer" und Kraft von "politischer" Verantwortung spricht: Sind das Synonyma, oder spiegelt sich darin eine Unklarheit des Verantwortungsbegriffs? Um mit Sauerland zu beginnen, scheint er gar nicht zu wissen, nicht nur was er getan hat, sondern auch wovon er spricht. Wenn seine "persönliche Verantwortung" nur darin bestanden hätte, den Prozess laufen zu lassen, solange nicht erkennbar Gesetze verletzt wurden, wäre Verantwortung dasselbe wie Schuld; er hätte sich "nichts zuschulden kommen lassen", was, wie gesagt, höchst zweifelhaft ist. Was Innenminister Jäger mit "moralischer Verantwortung" meint, ist auch nicht ganz klar. Vielleicht hatte er die Motive der Stadt Duisburg im Auge, die sich mit einer solchen Großveranstaltung unbedingt schmücken wollte und sich Tage vor dem Stattfinden einredete, jetzt könne sie trotz der Sicherheitsbedenken nicht mehr zurück. Das war gewiss unmoralisch und in diesem Sinn, der nicht unbedingt ein juridischer ist, wiederum schuldhaft. Denn es ist moralische Schuld, wenn man, um nicht selbst dumm dazustehen – als unüberlegt planend zu erscheinen, gar einen Imageverlust einzustecken -, lieber andere der Gefahr aussetzt.

Finanzielle Motive

"Verantwortung" ist noch etwas anderes. Es geht wirklich um "politische" Verantwortung, die "nicht teilbar" ist. Sie wird dadurch begründet, dass, in diesem Fall, der Oberbürgermeister seine Stadtverwaltung repräsentiert, die als ein Organ kontinuierlicher gesellschaftlicher Vernunft unterstellt wird und werden muss. Es wäre unerträglich, wenn eine Verwaltung Katastrophen produzierte und es dann einfach so weiterginge, als wäre sie eine Maschine, der man im Zweifel ein fehlerhaftes Rädchen entnimmt, um es gegen ein anderes auszutauschen. Das wäre zwar Kontinuität, aber keine vernünftige, und die Gesellschaft käme unter die Räder. Nein, die Vernunft verlangt einen Neuanfang. Der Neuanfang setzt voraus, dass das vorher Geschehene beendet wird. Gesellschaftliche Kontinuität kann es nur in dieser Form geben: Dinge scheitern, das Bessere wird versucht, und es gibt Personen, die das eine wie das andere repräsentieren. Das ist "Verantwortung", der bloße Ausdruck macht es schon klar: Wenn die Frage nach dem Imagegewinn der Stadt Duisburg über allem stand, dann weiß man spätestens jetzt, sie hat sich verfragt; verantwortlich ist sie, weil sie nach Antworten suchte, auf diese Frage, die gescheitert ist; das muss sichtbar werden an ihrem Repräsentanten.

Vielleicht hat es ganz banale Gründe, dass Sauerland sich dagegen sperrt. Die nordrhein-westfälische SPD vermutet finanzielle Motive hinter seiner Weigerung. Laut Steuerzahlerbund erhält er bei einem Rücktritt keine Ruhestandsbezüge und auch kein Übergangsgeld. Sollte ihn der Stadtrat aber abwählen, würde er bis Jahresende sein volles Gehalt und danach ein Ruhestandsgeld bekommen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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