Selber Populist!

Studie Die Bertelsmann Stiftung hat sich mit dem Populismus befasst. Was das ist, hat sie absichtlich nicht verstehen wollen
Ausgabe 30/2017
Für die Bertelsmann Stiftung sind Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland auch populistische Parteien
Für die Bertelsmann Stiftung sind Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland auch populistische Parteien

Foto: Matt Cary/Getty Images

Können wir nun aufatmen? Populismus sei in Deutschland nicht mehrheitsfähig. So haben es Forscher der Bertelsmann Stiftung in eine Studie geschrieben. Doch die Aussage ist unklar, denn für die Verfasser der Studie ist nicht nur die AfD in Deutschland, sondern sind auch Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland populistische Parteien. Die Begründung soll wohl darin liegen, dass Podemos und Syriza „die etablierten politischen Parteien und Institutionen und oft auch die Medien grundsätzlich infrage stellen“. So wird Populismus von den Bertelsmännern definiert. Aber haben denn diese Parteien Etablierte nur deshalb kritisiert, weil sie etabliert waren? Nein. Sie haben vielmehr ein ganz bestimmtes zweipoliges Machtkartell angegriffen, das in Spanien wie in Griechenland aus Konservativen und Sozialdemokraten bestand.

Welchen Namen die Konservativen und Sozialdemokraten jeweils tragen, in Spanien etwa PP und PSOE, ist weniger wichtig. Wichtig ist, dass sie formell in Opposition zueinander stehen, auch verschiedene „Programme“ haben, als Regierungsparteien aber mehr oder weniger dasselbe tun. Dagegen hat sich in Spanien die Bewegung des 15. Mai (2011) gewandt, aus der Occupy und später Podemos hervorgingen. Politiker, heißt es im Manifest dieser Bewegung, „sollten sich nicht nur um die Herrschaft der Wirtschaftsgroßmächte kümmern und diese durch ein Zweiparteiensystem erhalten, welches vom unerschütterlichen Akronym PP & PSOE angeführt wird“. Darum ging es auch in Griechenland: Weil die dortigen Konservativen und Sozialdemokraten nur die Herrschaft der europäischen „Troika“ stützten, wurden sie von Syriza kritisiert – und abgelöst.

Das ist nicht Populismus, sondern richtige und notwendige Politik. Wir atmen nicht auf, weil Parteien wie Syriza und Podemos in Deutschland zurzeit noch nicht mehrheitsfähig wären. Wir leiden im Gegenteil darunter. Denn das Machtkartell, das dem Kapitalismus freien Lauf lässt, müsste vor allem hierzulande überwunden werden. Natürlich ist dies aber keine Aufgabe für die AfD, die alles andere als antikapitalistisch ist. Syriza und Podemos sind nicht populistisch, aber die AfD ist es.

Was ist Populismus? Das hat man sich nicht auszudenken, wie die Bertelsmann-Studie es tut, sondern muss den Begriff an seiner Quelle aufsuchen. Wie der Begriff heute gebraucht wird, geht er offensichtlich auf den argentinischen Marxisten Ernesto Laclau zurück. Der entwarf eine Strategie, die eine klare Front gegen die kapitalistischen Kräfte gewährleisten sollte. Das haben viele versucht, Laclaus Eigenart war es aber, die antikapitalistische Volksfront als Verknüpfung linguistisch gefasster politischer Elemente zu denken. Die Verknüpfung, wie er sie dachte, war eine ziemlich zusammengeflickte Angelegenheit. Er stellte sich vor, dass man einzelne dem kapitalistischen Feindlager entrissene Elemente in die volkseigene Textur einnähen könne, die dadurch mehr Menschen kleiden, das heißt an sich binden würde. Aber führt das weiter, Menschen wie Steine in einem Baukasten hin und her zu schieben? Statt sie zu überzeugen? Nein, nur den Verteidigern und Mitläufern des Kapitalismus bietet es sich an, eben weil sie nicht überzeugen können.

Wer wissen will, wie Populismus funktioniert, lese das der AfD nahestehende Magazin Compact. Da wird in einem Artikel, der gegen Flüchtlinge hetzt, ein Lob Sahra Wagenknechts eingeblendet, und die Seite daneben bietet einen Kurs über den verbrecherischen Charakter der islamischen Religion an. So funktioniert das. Aber dafür ist die Bertelsmann Stiftung blind; sie ist ja selbst eine kapitalistische Kraft.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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