Die FDP ist tatsächlich im Aufwind. Nach einer Umfrage vom Anfang dieser Woche wünschen 40 bis 41 Prozent der Befragten eine Neuauflage der sozialliberalen Koalition sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch auf Bundesebene. Unter 30 Prozent ist der Anteil der Befürworter von Rot-Grün gesunken. Diese Zahlen korrelieren damit, dass inzwischen mehr Bürger in Jürgen Möllemann, der sich für jene Neuauflage stark macht, als in Wolfgang Gerhardt den geeigneten FDP-Bundesvorsitzenden sehen. Speziell die FDP-Anhänger geben ihm sogar einen deutlichen Vorsprung, 46 gegenüber 34 Prozent! Diese Werte müssen den Grünen schlaflose Nächte bereiten. Bedeuten sie doch, dass die SPD jederzeit das Pferd wechseln kann, ohne einen Rückschlag in der Wählergunst befürchten zu müssen. Wenn ihr der Sinn danach steht, kann sie es mitten in der Legislaturperiode tun und die derzeitigen Koalitionsverhandlungen in NRW als Sprungbrett nutzen. Nun, es ist unwahrscheinlich, dass sie sofort handelt - aber welchen Preis müssen die Grünen dafür zahlen!
Es gibt ja einen rationalen Grund für Gerhard Schröder, beim jetzigen Partner zu bleiben. Er hat ihn vor Jahren genannt, als er sagte, in einer rot-grünen Koalition müsse klar sein, wer Koch und wer Kellner sei. Was man sonst, hieß das, unter einem Koalitionspartner verstand, würde nicht mehr gelten; nur die Rolle des Politikverkäufers, des ideologischen Schönfärbers durften die Grünen noch spielen, während als Macher einzig die Genossen in Frage kamen. Die von Joseph Fischer geführte Partei war dazu bereit. Diese "Machtverteilung" ist für den Kanzler höchst bequem: er wird nicht glauben, dass die FDP an seiner Seite ähnlich fügsam wäre. Nur wenn die Grünen zu laut jammerten über den ihnen aufgetragenen Dienst, hätte er Anlass, die FDP zu bevorzugen, um so den Schaden eines "schlechten Erscheinungsbilds der Regierung" abzuwenden. Das begreifen die Grünen, und das ist der Preis, den sie zahlen: sie jammern möglichst leise. Sie müssen versuchen, "die Erfolge in den Vordergrund zu stellen". Das heißt eben: sie sind Kellner.
Zur Zeit tritt das wieder einmal drastisch zutage, weil ihnen in Düsseldorf eine Rechnung präsentiert wird. Da haben sie fünf Jahre gejammert, aber jetzt ist Schluss damit, sonst setzt Ministerpräsident Clement die Koalition mit ihnen nicht fort. Sie können froh sein, wenn Bärbel Höhn Umweltministerin bleiben darf. Auf jeden Fall soll ihr die Kompetenz für Raumordnungsfragen genommen werden, die ihren hinhaltenden, vergeblichen Widerstand gegen Garzweiler ermöglicht hatte. Clement macht das "gute Klima" ganz offen zur Koalitionsbedingung: die Grünen werden gerügt, sie hätten sich dem SPD-Willen immer wieder entgegengestemmt; jetzt sollen sie quasi versprechen, es nicht wieder zu tun. Was bleibt der gebeutelten Partei, als wenigstens darauf stolz zu sein, dass Clement sie nun vielleicht doch nicht in die Ecke wirft? Noch nicht! Er muss oder will das rot-grüne "Bündnis" fortsetzen - aber es wird einer bedingungslosen Kapitulation ziemlich ähnlich sein.
Aus dieser Lage müssen die Grünen heraus, aber wie? Am Anfang müsste schonungslos die Frage stehen, wie es dazu gekommen ist. So weit sind sie noch nicht. Sie müssten sich sagen, dass vor allem sie selber den Aufwind für Möllemann besorgt haben. Gegen Schröders oder Clements Kurs prinzipielle Einwände zu erheben, haben sie sich abgewöhnt, sie sind also unfreiwillige Zeugen für seine Richtigkeit. Und das ist ein Kurs, der tatsächlich dem Programm der FDP viel eher als dem der Grünen entspricht. Man sieht es in NRW. Clement will mehr Autostraßen, eine todsicher richtige Sache für jemanden wie Möllemann, während die Grünen sich zieren. Sie sind ja nun mal eine ökologische Partei. Warum, in drei Teufels Namen, soll Clement dann nicht mit der FDP koalieren? Das sagt sich die deutliche Mehrheit der Wahlbürger, und sie hat recht. Die Grünen kommen da nur heraus, indem sie sich auf die baldige Rückkehr zur Oppositionsrolle einstellen. Aber was kann dann ihre Strategie sein? Das zu fragen, können sie nicht früh genug anfangen. Leider werden sie es wohl erst dann tun, wenn ihnen der Stuhl vor die Tür gesetzt worden ist.
Es ist unwahrscheinlich, aber es wäre zu wünschen, dass sie in NRW schon morgen entlassen werden, denn dann könnten sie an einem geradezu kristallklaren Stolperstein die Unmöglichkeit ihrer Politik studieren. Nehmen wir an, sie hätten sich gegen die Anbindung der Bochumer Stadtautobahn an die A 40 oder gegen den Ausbau der A 1 bei Blankenheim, gegen die Verlängerung der A 44 mit einer "Opel-Spange" oder gegen die Verbindung der A 52 mit der A 43 gewehrt. Und wie die Straßen, es sind noch mehr, alle heißen. Es wäre ihnen deshalb von Clement der Laufpass gegeben worden. Nun, was war denn in uns gefahren, müssten sie sich fragen. Haben wir nicht längst unsere Ökologiepolitik auf eine Karte, auf Ökosteuern gesetzt? Sollten sie nicht zur Drosselung des Autoverkehrs oder wahlweise zur Begünstigung des Kaufs schadstoffarmer Autos führen? Wenn man diese Politik richtig findet, wie kann man dann gegen den Ausbau von Autostraßen sein? Wir setzen doch auf den ökonomischen Selbstlauf; wenn wir die Menschen nicht auf direktem Weg - administrativ sowieso nicht, aber auch nicht durch Willensbildung, durch öffentliche Debatte - vom Autokauf abbringen wollen, haben wir auch keinen Grund und nicht das geringste Argument, ihre Repräsentanten am Autostraßen-Ausbau zu hindern. Wenn sie erst einmal ruhig weiterfahren sollen, brauchen sie auch Straßen.
Am Fall Garzweiler ist das alles doch schon durchgespielt worden. Garzweiler wird sowieso nicht realisiert, sagten die Grünen, denn wegen der Ökosteuer wird es den beteiligten Unternehmen zu teuer. Deshalb protestierten sie nie mit letztem Ernst gegen das Braunkohleprojekt. Bis eines Tages Clement den Kleinen Parteitag der Bundesgrünen besuchte und die umgekehrte Rechnung aufmachte: Sollte es eine Ökosteuer geben, dann muss sie jedenfalls so beschaffen sein, dass sie Garzweiler nicht unmöglich macht. Er hat Recht behalten. So oder so war der Protest gegen Garzweiler gespenstisch: entweder hätte es seiner nicht bedurft oder es war klar, dass er nichts nützen konnte. Irgendwas stimmte nicht. Die Politik, alles auf die Karte der Ökosteuern zu setzen, war falsch.
Warum dann jetzt das Schauspiel, dass die Grünen wiederum ohne letzten Ernst gegen mehr Autostraßen protestieren? Warum fragen sie nicht lieber, wer ihnen die "realistische" Ökosteuer-Politik aufgedrückt hat? Heißt er Joseph Fischer? Hat er es deshalb getan, weil er möglichst günstige Bedingungen für rot-grüne Koalitionen schaffen wollte?
In diesen Tagen ist es immer noch Fischer, der alle Koalitionsfragen im Alleingang entscheidet. Wenn es bei den Verhandlungen in Düsseldorf kriselt, setzt er sich in Berlin mit Clement und Schröder zusammen, liest man. Da wird dann wohl über Köpfe und Kragen entschieden. Fischers Freund Rezzo Schlauch hat schon öffentlich angedeutet, dass Bärbel Höhn ja wegen des schlechten Wahlergebnisses zurücktreten könnte. Dann hätte Clement seinen Willen und die Koalition könnte fortgesetzt werden. Ist es Zufall, dass Schlauch gerade jetzt sein Loblied aufs Auto als Instrument der Freiheit singt? So möchten sie es haben: erst werden Leute wie Frau Höhn in die Ökosteuer-Perspektive getrieben, und dann sollen sie die Sündenböcke sein.
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