Seit Bundesfinanzminister Olaf Scholz seinen Hut in den Ring geworfen hat, zeichnet sich endlich ab, worum es beim Kandidatinnenkarussell der SPD eigentlich geht. Was steht auf dem Spiel, wenn die Partei ein neues Vorsitzenden-Tandem sucht? Ihre Erneuerung, von der schon Andrea Nahles, als sie antrat, behauptet hatte, sie werde vollzogen und lasse sich mit der Fortführung der Großen Koalition sehr wohl vereinbaren? Nein: Es geht nach wie vor um deren Verteidigung. Alles andere ist zweitrangig. Scholz steigt jetzt zusammen mit der Brandenburger Landtagsabgeordneten Klara Geywitz ein, weil die Vorsitzendenwahl aus der GroKo herauszuführen drohte. Die Partei ist seit der verlorenen Bundestagswahl kaum vom Fleck gekommen. Auch jetzt noch diskutiert sie nicht, wie ihr Neuanfang aussehen könnte, sondern ob sie den Mut haben darf, nach einem Neuanfang zu fragen.
Entscheidend für Scholz‘ Entschluss war, dass die Kandidatensuche das GroKo-Projekt ernstlich zu bedrohen begann. Die meisten Bewerberinnen und Bewerber hatten sich dagegen gewandt. Kurz bevor er sich erklärte, war mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey ein Schwergewicht aus dem Rennen gegangen. Man rechnete mit ihrer Kandidatur, doch muss sie die Aberkennung ihres Doktortitels befürchten. Sie hätte vom Parteivorsitz aus die GroKo gestützt, wie es vorher die Rolle der Scholz-Verbündeten Nahles gewesen war.
Auf der anderen Seite hatten Gesine Schwan und Ralf Stegner ihre gemeinsame Kandidatur erklärt: Wenn sie sich auch vorsichtiger ausdrücken als andere Bewerberinnen, ihre GroKo-Skepsis ist unübersehbar. Sogar Schwan, die in diesem Duo die Rolle der Vermittlerin zwischen den Parteiflügeln übernehmen würde, fordert ganz explizit das rot-rot-grüne Bündnis. Die Gefahr, die in der Perspektive der GroKo-Befürworter von den beiden ausgeht, liegt in ihrer Bekanntheit. Noch nach ihrer Bewerbung behauptete Scholz, er habe hervortreten müssen, weil es peinlich wäre, wenn niemand „aus der ersten Reihe“ antreten würde – aber was ist denn diese Reihe? Besteht sie etwa nur aus Vertretern von Bundesministerien? Das heißt: aus GroKo-Exekutoren? Der Parteilinke Stegner ist immerhin Stellvertretender Parteivorsitzender, Schwan wurde schon zwei Mal von der SPD als Bundespräsidentin nominiert.
Trotzdem ist wahr, dass die beiden den Aufbruch, den ihre Partei benötigt, nicht optimal verkörpern. Kevin Kühnert, der sich eine Kandidatur noch offenhält, würde das deutlicher tun. Für den Juso-Vorsitzenden spricht seine Jugend. Scholz‘ größere Erfahrung scheint eher ein Hemmnis zu sein, denn der Bundesfinanzminister glaubt offensichtlich immer noch, er könne irgendwann Bundeskanzler werden, und versucht sich den Weg dahin offenzuhalten. Ist das nicht eine Fragestellung von gestern? Wer glaubt denn noch, dass eine Bundesregierung jenseits der Union von der SPD geführt werden wird?
Das werden die Grünen tun, die SPD wird den sozialstaatlichen Kurs zu garantieren haben. (Von der Linkspartei erwarten wir mehr: Sie muss den green capitalism bloßstellen.) Dafür braucht es heute schon klare Ansagen. Angenommen, Kühnert kandidiert und wird gewählt, kann das zwar zu einer Zerreißprobe in der SPD führen, weil die Seeheimer, die so lange am Hebel saßen, eine Niederlage vielleicht nicht hinnehmen. Aber das war in England nicht anders, als sich Corbyn in der Labour Party durchsetzte. Mit Kühnert statt Scholz würde die SPD ein Zeichen setzen.
Kommentare 7
Auf der machtpolitisch-taktischen Ebene ist die Scholz-Kandidatur Machiavelli at his best: Die Seeheimer brauchten dabei nur zu warten, bis eine ganze Traube von gutmeinenden, im Parteispektrum eher links anzusiedelnder Aspirant(inn)en zusammen war und sich nun gegenseitig auf die Füße tritt. Gegen diese Schar ist EIN gesetzter Seeheimer fast der Garant für einen Platzsieg – völlig unabhängig, wie das Wahlverfahren konkret vonstatten geht.
Mit anderen Worten: Scholz dürfte sowohl bei einem relativen als auch bei einem Ausschluss-Verfahren den Sieg davontragen. Die (von den großen Medien nach Kräften mit supportete) Gesamtaussage wird lauten: Linke und Mitte-Links-Zentrum der Partei sind mal wieder viel zu wirr und unübersichtlich aufgestellt – weswegen der eine bekannte Mann mit Macher-Qualitäten den Rest sticht.
Vielleicht werden im Anschluss auch wieder ein paar Brosamen positiver Berichterstattung abfallen. Ob’s hilft? Ich denke, man darf da seine Zweifel haben.
Ich bin beim Bild noch am Rätseln: Hat Heil der Merkel vielleicht einen guten Hartz-IV-Witz erzählt?
Ich glaube nicht, daß sich die "eher links anzusiedelnden Aspirant(inn)en" auf die Füße treten: Die Frage ist einfach, ob Scholz im 1. Wahlgang die Mehrheit der Stimmen erhält, das würde bedeuten, daß die SPD-Mitglieder mehrheitlich die GroKo wünschen, oder nicht. Bevor wir das wissen, wird durch die große Zahl von Anti-GroKo-Kandidatinnen die Aufmerksamkeit auf den innerparteilichen Widerstand gegen die GroKo gelenkt. Wenn Scholz die Mehrheit im 1. Wahlgang nicht erhält, gibt es einen 2., in dem nur zwei Tandems oder auch Einzelpersonen gegeneinander antreten.
Die Lösung für das Berichterstattungs-Problem wäre eine von den Kapitalkräften auf dem Medienmarkt unabhängige Presse. In Form eines parteieigenen Mediensortiments hat dies die SPD auch bis in die 1970er hinein beherzigt. Dann setzte auch die mediale Neoliberalisierung ein – mit dem bekannten Effekt, dass man sich somit in die Gunst-Abhängigkeit der einschlägigen Monopole begeben hat. Damals dachte man, das mache nichts, weil das ehemals sozialistische Profil der Partei eh zur Genüge abgeschliffen sei. Nun ist der gesetzte Haufen am Dampfen, und man stellt fest, dass man sich auf Gedeih und Verderb abhängig gemacht hat.
Das Reanimieren einer Parteipresse, die diesen Namen verdient, wäre zumindest langfristig ein Ausweg. Aber wer will diesen Weg gehen? Diejenigen, die von den Monopolen profitieren (oder das zumindest glauben) mit Sicherheit nicht. Ergo eine Situation, wo sich die Katze in den Schwanz beißt: Die großen Medien featuren die Seeheimer (falls überhaupt jemanden in der SPD). Die Seeheimer wiederum kümmern sich darum, dass die Partei weiterhin ohne publizistisches Schwert und Schild dasteht.
Das Problem der SPD ist ganz sicher nicht nur die Spitze, sondern auch die Basis. Das hat die letzte Mitgliederbefragung zum Eintritt in die GroKo sehr deutlich gezeigt. Seit inzwischen mindestens 15 Jahren lässt die Basis zu, dass die immer gleichen Leute mit der immer gleichen Logik die Partei in immer neue, ungeahnte Tiefen führen.
Ein Vorsitzender Scholz wäre der Untergang der SPD. Der Mann denkt ernsthaft, wenn er noch zwei Jahre den Schäuble spielen darf, würde das schon mit der nächsten Wahl. Auf die Idee, dass die Partei dringendst ein eigenständiges, unterscheidbares Profil bräuchte, kommt er gar nicht. Einen bedeutenden Teil der damaligen GroKo-Unterstützer dürfte er aber hinter sich haben.
Allerdings muss man zugeben, dass auch Leute wie Lauterbach und Stegner sicher nicht ansatzweise dazu taugen, die Partei aus ihrer existentiellen Krise zu führen.
Persönlich am Überzeugendsten finde ich das Duo Lange/Ahrens. Immerhin sind beide nicht Agenda 2010-vorbelastet, und Frau Lange macht in Interviews durchaus eine gute Figur.
Ich hab 5 Euro bezahlt und Stegner gewählt.
Die GroKo könnte zwar theoretisch von einem Parteitag beendet werden, aber nicht die Auflösung des Bundestages beschlossen werden. Mit Ausnahme der Grünen und der AfD hat keine Fraktion ein Interesse an Neuwahlen.
Man sollte nicht zuviel taktische Überlegungen in die Kandidaturentscheidung von Scholz hineininterpretieren. Für ihn persönlich wäre die Nichtkandidatur die schlechteste Variante (weil vorwerfbar) gewesen. Aber wofür ist das alles noch bedeutend? Die Umfragen sehen die SPD in Sachsen bei 7 Prozent. Viel gruseliger wird mir bei der Vorstellung von 23 Castingterminen bundesweit, bei denen die Kandidaten rtl-mäßig durch den Kakao gezogen werden. Das Spektakel desavouiert am Ende die ganze verbliebene demokratische Kultur im Land.