Die Ende des Monats erscheinende nächste Ausgabe der Literatur-Zeitschrift Sinn und Form wird eine Reklame für Porsche enthalten. Darüber mag man erstaunt sein. Bisher wurde nur für Romane und dergleichen geworben. Es ist ein neuer Schritt, den manche vielleicht als Beleg für die fortschreitende „Kolonisierung der Lebenswelt“ werten. Doch er hat auch wieder etwas Triviales. Der Anstoß ging von Porsche aus, und man kann das Kalkül nachvollziehen: Unter den Lesern einer so anspruchsvollen Zeitschrift sind betuchte Leute. Die fahren so gern Auto wie andere, nur dass sie mehr Geld ausgeben. Die Redaktion aber kann Geld gebrauchen. Warum soll sie da spröde sein?
Wenn eine politische Zeitschrift Autoanzeigen veröffentlicht, entsteht die Frage, ob sie autokritischer wäre, wenn sie das nicht täte. So muss es aber nicht sein. Die Zeitschrift kann guten Grund haben, ihren Lesern Urteilskraft zuzutrauen, und die Autofirma kann ebenso begründet darauf setzen, dass selbst autokritische Menschen in der Autogesellschaft Auto fahren oder mindestens tolerant sind, wenn andere es tun. Eine Literaturzeitschrift scheint von einem Interessenkonflikt noch viel weiter entfernt, weil Fragen rund ums Auto gar nicht zu ihren Themen gehören. Man wird da eher besorgt sein, dass ein ästhetischer Missklang entsteht, denn Porsche neben Literaturthemen wirkt wie ein Fremdkörper.
Aber hier wird es erst interessant. Reimt sich Porsche wirklich nicht auf Lanzmann und Lévi-Strauss, auf den Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Gershom Scholem, auf den „Zwischenruf“ des Komponisten Helmut Lachenmann zum „Projekt Demokratie“, auf Apollinaire und Pina Bausch, auf Volker Brauns Anmerkungen zu Christa Wolf und zur Geschichte der früheren DDR-Zeitschrift selber, die 2009 ihren 60. Geburtstag feierte? Solche Themen, die man in den letzten Ausgaben findet, zeigen ein Bemühen um Kultur im weiten Sinn, zu der das Auto nun wirklich gehört. Wer etwa von Jünger spricht, muss ganz von selbst irgendwann aufs Auto kommen. Ebenso wer von Brecht spräche. Mit dem „Projekt Demokratie“ mag es auch allerlei zu tun haben. Und von Pina Bausch sah man die folgende Szene: Eine Gruppe von Leuten bewegt sich mal hierhin, mal dorthin über die leere Bühne, je nach Einfall des einen oder andern: „Und jetzt schwimmen wir nach“ – Amerika! Mobilität, Freiheit und Konformismus in einem einzigen Bild.
Erstaunlich ist nicht, dass Porsche zur Literatur kommt, sondern dass die Literatur nicht mehr zu Porsche kommt. Als das Auto aufkam, war es ein Thema in Literatur und Malerei. Man denke an Marinetti, der das Auto als künstliche Frau feiert: „Wir gingen zu den drei schnaufenden Bestien, um ihnen liebevoll ihre heißen Brüste zu streicheln“, „ich streckte mich in meinem Wagen wie ein Leichnam auf der Bahre aus, aber sogleich erwachte ich zu neuem Leben“. In einem Gedicht erklärt er das Auto zum „stürmischen Gott einer Rasse aus Stahl“, das sich sogar in den Weltraum erheben kann. Auch futuristische Maler stellen es als Raumschiff dar. Natürlich flog dann auch die Autowerbung in den Himmel. Später wurde sie ökologisch: „Für diesen Stern“ gebe es „kein Ersatzteil“ (Mercedes 1991). In der Malerei ist das Auto zum Kitschthema geworden, doch spielt noch Edward Hoppers Western Motel (1957) auf seine „heißen Brüste“ an. Aus vielen Filmen ist das Gefährt nicht wegzudenken (Liebesszenen, Verfolgungsjagden). Nur in der Literatur spielt es längst keine Rolle mehr. Hat sie gar keinen Grund, sich mit der eigenen früheren Autobegeisterung auseinanderzusetzen? Wenn Porsche dafür den Anlass böte, tant mieux.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.