Illustration: Christian H. Bobsien für der Freitag
Stehen wir nicht vor der Aufgabe, eine bessere Lebensweise zu entdecken? Für uns hier in Deutschland und für die ganze Welt. Eine, die den Planeten nicht zerstört und zu der wir so gern wechseln werden, wie man sich freut, von einer schlechten in eine gute Wohnung umziehen zu können.
„In Deutschland und für die Welt“: Das muss man denen antworten, die sagen, was in unserem kleinen Land ökologisch geschehe, könne die riesig große Erde eh nicht retten. Das stimmt nicht, denn nicht die Landesgröße ist wichtig, sondern die Vorbildwirkung. Die antiökologische Lebensweise, die sich fast schon über den ganzen Planeten ausgebreitet hat, ist von Vorbildern ausgegangen. Das war immer so in der Menschheitsgeschichte. Schon der Ack
von Vorbildern ausgegangen. Das war immer so in der Menschheitsgeschichte. Schon der Ackerbau begann in einem sehr kleinen Gebiet. Als es ihn gab, wurde er nachgeahmt. So muss heute die neue Lebensweise beginnen. Es muss wieder so sein, dass alle sich freuen, ihr folgen zu können.Das Problem ist, wir halten manches für eine gute Lebensweise, was es vielleicht gar nicht ist. Darüber müssten die Bürgerinnen und Bürger sich austauschen können. Und das Diskussionsergebnis müsste für den Markt bindende Folgen haben. Wenn zum Beispiel eine Debatte über das Auto und den öffentlichen Verkehr stattfände und zu dem Ergebnis führte, dass ein Teil bisheriger Autonutzer den Willen äußert, auf Bus oder Bahn umzusteigen – sagen wir, dieses Ergebnis wäre „Autofahrten zu Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr vier zu eins, sondern drei zu zwei“ –, dann müssten die Unternehmen verpflichtet sein, entsprechend weniger Autos und entsprechend mehr und auch bessere Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs zu produzieren.Aber ich möchte mich beim Auto gar nicht aufhalten, es ist ohnehin schon in der Defensive. Ich möchte lieber vom Smartphone sprechen. Heute las ich, Apple habe ein Innovationsproblem, denn das Smartphone lasse sich kaum noch verbessern und der Verkauf sei auch schon rückläufig. Weil der Kapitalismus nur überlebt, wenn er immer mehr Waren produzieren und auch verkaufen kann, muss folglich – ökologisches Gleichgewicht hin oder her – ein neues Bedürfnis geweckt werden, man weiß auch schon, welches: Geräte, die gar kein Display mehr brauchen, zum Beispiel „intelligente Uhren“.So hat es auch beim Smartphone angefangen. „Das Computerzeitalter neigt sich dem Ende zu“, hieß es damals, will sagen, man erwartete nicht mehr, noch sehr viel mehr zusätzliche PCs verkaufen zu können, aber dann wurde entdeckt, dass das Internet-für-zu-Hause ja noch um das Internet-für-unterwegs ergänzt werden konnte. Und jetzt, wo es da ist und massenhaft gekauft wird, glauben alle, es nie mehr missen zu können. Genauso wird es mit den „intelligenten Uhren“ sein. Aber mal im Ernst: Wäre das ein Abbau des Sozialstaates und ein Angriff auf die Armen und Ärmsten, wenn es weniger Smartphones gäbe? Wäre es nicht eher ein Abbau der „imperialen Lebensweise“?Ein durchschnittlicher Deutscher, las ich heute auch, muss zehn Tage arbeiten, um sich vom Lohn das neueste iPhone-Modell kaufen zu können. Wenn wir eine neue Lebensweise erfinden – die mit knapp zwei Hektar ökologischem Fußabdruck pro Person auskommt, so viel, wie die Erde verkraften kann, statt fünf Hektar wie heute hierzulande –, wird trotzdem vieles bleiben wie jetzt, aber das Smartphone, muss es unbedingt dabei sein?Bewaffnetes UmherschweifenEs ist wirklich ein ökologisches Problem. 2007, als Apple das iPhone mit dem Multi-Touch-Screen aufrüstete, gab es schon 2,5 Milliarden Handynutzer. 2016 wurden allein in Deutschland 24,2 Millionen Smartphones verkauft, wobei der Marktanteil von Apple der größte war. Und so ging es weiter. Deutsche nutzen die Geräte durchschnittlich nur 18 Monate, bevor sie ein neues erwerben. Wie viele Smartphones gibt es dann auf der ganzen Welt? Ein einzelnes wiegt nur einige hundert Gramm, jedes belastet aber den Planeten mit einem ökologischen Rucksack von rund 75 Kilogramm an genutzten Rohstoffen. Jede Person kommt mit dem Gebrauch wechselnder Modelle auf über 20 Kilo Elektronikschrott, die hochgiftige Substanzen enthalten und meistens im armen Süden entsorgt werden.„Die junge Generation“, das las ich bei faz.net, tausche sich heute „nicht ausschließlich verbal aus, sondern sie kombiniert Text- und Sprachnachrichten mit Bildern“. Dazu benutzt sie etwa Snapchat, das sei „sozusagen ‚ihr Fenster zur Welt‘“, erklärt eine Lara ihrer Mutter. „Hier erfährt sie, wo eine Party steigt, wer sich gerade auf dem Weg ins Freibad befindet, oder an welcher Stelle sie ihre Leute in der Stadt antreffen kann. Dabei versucht sie möglichst regelmäßig mit ihren Freunden zu chatten, sonst verliert man auf Snapchat nämlich seine Flammen.“Man muss sich vorstellen, das ist ein Gespräch am Frühstückstisch, Lara hantiert beim Essen mit dem Smartphone und erklärt nebenbei noch, wie es läuft. Warum kann sie nicht bis nach dem Essen warten? Dann könnte sie zum PC gehen und bräuchte kein Smartphone. Aber sie braucht es, weil sie dann in der U-Bahn sehen will, „wer sich gerade auf dem Weg ins Freibad befindet“. Und wenn sie selbst eine Straße entlangläuft, will sie beim Gehen aufs Display schauen. Warum kann sie nicht warten, bis sie wieder zu Hause ist? Ist der Mensch nicht das Tier, das die Bedürfnisbefriedigung aufschieben kann? Bei Gesprächen mit Erwachsenen darüber, wozu sie das Ding brauchen, wurde mir geantwortet, es könne ja eintreten, dass man in Japan auf dem Land sei, auch da gebe es nämlich interessante Tempel. Aber man ist doch vorher in der Stadt gewesen? Kann nicht im Hotel ein PC stehen, wo man sich die Informationen beschafft hat?Placeholder image-1Aber Lara gibt das Stichwort: „Fenster zur Welt“. Ja, so empfinde ich auch: Das Internet stillt meinen Welthunger. Jedenfalls verspricht es, das zu tun. Wenn man näher hinschaut, verschafft es nur die Möglichkeit – dadurch, dass sozusagen alle Geschehnisse, Zusammenhänge und Hintergründe, die es überhaupt gibt, direkt vor mir ausgebreitet sind, ich nur zuzugreifen brauche. Dieses „nur“ hat es aber in sich. Ich kann doch nur eine Website aufschlagen, nach der ich frage. Wer gibt mir die Kette von Fragen ein, die immer tiefer in die Welt eindringen? Das Internet jedenfalls nicht. Es tendiert dazu, zum allumfassenden Menschheitsgedächtnis ausgebaut zu werden, und ist daher eine fantastische Erfindung. Doch das beste Gedächtnis führt von sich aus keine Antworten herbei. Das tut nur die Frage, die auf dem Weg zur Antwort ins Gedächtnis eintaucht.Wer nur fragt, welches Schwimmbad die Freundin gerade ansteuert, hat sein „Fenster zur Welt“ wie eine Fliege, die mit dem Kopf durchs Glas will. Und das wird nicht besser, wenn ich es auf der Straße oder in der U-Bahn benutze. Vielleicht glaube ich, mein Horizont erweitere sich beim Gehen? Ich laufe sozusagen immer tiefer in die Welt hinein, und das Smartphone ist der Siebenmeilenstiefel? In Wahrheit verschwindet der Horizont, wenn ich aufs Display schaue, statt mich umzusehen – statt in der Gegenwart zu leben. So hat der Tag ja schon für Lara angefangen, Frühstücken mit der Mutter wäre Gegenwart gewesen.Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie es zum Smartphone überhaupt gekommen ist. Wenn man es mit den Erfindungen vergleicht, die im 19. Jahrhundert vorfielen und große Unternehmen begründeten, zum Beispiel die des Zeigertelegrafen und des elektrischen Generators durch Werner von Siemens, dann springt sein parasitärer Charakter ins Auge. Das Smartphone ist eigentlich aus lauter Abfall von militärischen Erfindungen zusammengebastelt, die Unternehmen haben praktisch nur die schöne Oberfläche dazuerfunden. Wenn Lara wissen kann, wo ihre Freundin oder wo sie selbst gerade unterwegs ist, dann weil es das satellitengestützte System GPS gibt, das im US-Verteidigungsministerium ausgebrütet wurde, weil die Positionsbestimmung und Navigation von Waffensystemen verbessert werden sollte. Für Mikroprozessoren hatte sich einst die Air Force im Zusammenhang mit dem Raketenprogramm Minuteman II interessiert. Und so weiter.Es spricht zwar an sich nichts dagegen, militärische Forschungsergebnisse zu zivilisieren. Das Internet als solches ist ja aus der Planung des Atomkriegs hervorgegangen. Deshalb muss man aber doch nicht die militärische Alternative von Kommandozentrale und ausführenden Waffenträgern in den zivilen Alltag integrieren. Wenn wir mit dem Smartphone bewaffnet umherschweifen, verhalten wir uns als Drohnen in der ursprünglichen Wortbedeutung: männliche Arbeitsbienen. Für wen arbeiten wir da? Wenn wir die Gegenwart ausblenden, tun wir dasselbe wie der Soldat auf dem Schlachtfeld. Der soll sein Geschäft ausführen können, darf sich also nicht in die Gesichter der Feinde vertiefen. Ich meine, Internet-für-zu-Hause oder Internet-für-unterwegs ist eine echte Alternative, genauso wie öffentlicher Verkehr oder Privatautoverkehr eine ist. Und dass man sich in beiden Fällen für das Erste entscheiden sollte.Placeholder authorbio-1
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