Warum habe ich diesmal vor allem Bäume fotografiert? Mußte ich deshalb nach Toledo fahren? Von der einwöchigen Reise zurück, staune ich selbst darüber, wie sehr sich der Frühling in den Vordergrund gespielt hat. Ganz buchstäblich hat er das getan, denn obzwar mir nicht Bäume an und für sich in den Mittelpunkt meiner Fotos gerückt sind, sondern sie immer nur Vordergrund waren, wie man eben von Fotos auch Vordergründe erwartet, ist es doch immer wieder einer geworden, der sie dominiert und oft ihr ganzes Rechteck wie mit einem kaum durchlässigen Netz- oder Flechtwerk überschwemmt.
Eingebetteter MedieninhaltZum Teil erklärt es sich daraus, daß Toledo schon selber ungewöhnlich naturnah erscheint durch den Umstand, daß es, auf einem felsigen Hügel gelegen, zu Dreivierteln vom Tajo umflossen wird, dem längsten Fluß der iberischen Halbinsel, die Römer hatten ihn Tagus genannt, der dann noch eine lange Strecke zurücklegen wird, bis er als Tejo bei Lissabon in den Atlantik mündet. Einen wunderbaren Fußweg haben die Toledaner angelegt, der ihn die Ufer entlang begleitet und die beiden maurischen Brücken im Osten und Westen der Stadt miteinander verbindet. Das ist schon sehr anders, als wenn man Florenz besucht, aus dem Stadtinnern heraus die schöne bergige Naturumgebung in naher Ferne betrachtet und dann später, wandernd dorthin gelangt, nur enttäuscht sein kann, weil alles in Privatbesitz eingesperrt ist und keine Stelle sich findet, wo nicht geizige Mauern die Sicht verwehren.
Eingebetteter MedieninhaltEine Reise-Erinnerung hier einzustellen, ist schwierig geworden, weil nach dem letzten Relaunch Fotos im Breitformat nur noch mit abgeschnittenen Rändern wiedergegeben würden; meine fünf bisherigen Reise-Einträge sind dadurch zerstört worden. Man fotografiert nun einmal ganz überwiegend im Breitformat. Hochformatigen Bildern wenigstens wird nichts abgeschnitten, sie können aber nur noch als riesige eingestellt werden, was sich aufs Verhältnis von Text und Bild nicht günstig auswirkt. Ich arbeite nun mit diesen Einschränkungen. Hier noch ein drittes den Tajo dokumentierendes Bild. Frühlingsflora im Vordergrund, der sich zum Grund überhaupt aufspielt:
Auch im Innern des Orts habe ich oft vor lauter Bäumen die Häuser kaum noch gesehen, was hier nur mit einem Foto dokumentiert sei, das die Ostseite des Hospitals de Santa Cruz zeigt.
Eingebetteter MedieninhalWarum so viel Frühling? Vielleicht hat auch mitgewirkt, daß das erste wichtige Buch des Philosophen Emmanuel Lévinas, Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, zuerst 1961 erschienen, zu meinen Urlaubslektüren gehörte. In schöner fremder Umgebung zu lesen, in der Bar auf der Straße bei einem Glas Campari Orange zwei oder drei Gauloises rauchend, die man mitgebracht haben muß, in Toledo gibts keine, gehört ja zu den größten Urlaubsvergnügen. Man ist viel entspannter als sonst. Jetzt im April wars draußen noch etwas kühl, so daß man morgens jedenfalls, beim schönen spanischen Frühstück, das ich mir längst auch in Berlin angewöhnt habe – pan con aceite, das sind getoastete Brötchen mit Olivenöl, gern auch pürierter Tomate dazu -, eher noch drinnen sitzt; aber auch dort vergißt man den Frühling nicht wegen des farbigen Lichtspiels auf einem gewöhnlichen Bartisch.
Eingebetteter MedieninhaltBei Lévinas nämlich las ich vom Glück, das dem Leben immer schon beigegeben sei. „Das Glück besteht in der Freude oder der Mühe zu atmen, zu schauen“, auch „sich zu ernähren, zu arbeiten, den Hammer und die Maschine zu handhaben“, einfach aber schon darin, zu schauen, und wenn es weiter nichts als der Frühling ist, der geschaut werden kann. Ist Ihnen schon einmal bewußt geworden, aus wie wenigen Sommern Ihr Leben besteht? Die Allermeisten kommen nicht auf hundert, was doch wenig ist verglichen mit der Zahl von Glückshöhepunkten, die man als solche anspricht, erleben will und tatsächlich erlebt. Das eigentliche Glück ist das Leben selbst und deshalb vor allem der im Frühling beginnende Sommer. „Die Wirklichkeit des Lebens“, sagt Lévinas, „ist schon auf der Höhe des Glücks und in diesem Sinne jenseits der Ontologie“, zum Beispiel der heideggerschen.
Eingebetteter MedieninhaltIch glaube, es kann einem nur bewußt werden, wenn man älter wird, aber gefühlt und genossen werden die Sommer von Anfang an. Ein Genuß bleiben sie auch dann noch, wenn das Glück zur „Mühe“ und bloßen Erinnerung geworden ist, so daß sie sich wie unwirkliche Schleier über die Dinge legen, und gerade auch das hat man immer schon einmal gefühlt, mag auch nur das stärkere Unglücksgefühl bewußt geworden sein; Shakespeare beschreibt es in einem der Sonette aus der Perspektive des älteren Mannes:
Seit ich dir fern bin, ist mein Aug‘ im Sinn:
Und jenes, das mich führt von Ort zu Ort,
Teilt seine Tätigkeit; zum Teil ist’s blind;
Scheint sehend, doch in Wahrheit ist’s verdorrt.
Denn keine Formen, keinen Widerschein
Von Blum‘ und Vogel, was sich zu ihm drängt,
Nichts bringt sein schnelles Sehn dem Herzen ein,
Ja seine Sehkraft hält nicht, was sie fängt.
Denn schön und häßlich, was es schauen mag,
Unförmlichkeit, wie süßestes Vergnügen,
Berg oder Ozean, Nacht oder Tag,
Taub‘ oder Kräh, es formt’s nach deinen Zügen.
So voll von dir und fähig sonst zu nichts,
Wird so mein treuster Sinn Verführer des Gesichts.
„In Wahrheit ist’s verdorrt“, aber es ist doch nicht die ganze Wahrheit, denn in Wahrheit blühen die Bäume und sind „voll von dir“.
Eine andere Urlaubslektüre war Sloterdijks neuer Sammelband Was geschah im 20. Jahrhundert?, Berlin 2016: Dieser Ontologe will den verhängnisvollen Weg des Westens daraus ableiten, daß das Glück immer erst habe gesucht werden müssen, und zwar immerzu in „Experimenten“ – er stellt sich die Menschen als „Menschenpark“ vor und die Erde, von der sie leben, als Raumschiff -, was inzwischen so ausufernd geschehen sei, daß die schlimmen Nebenwirkungen sich zur ökologischen Katastrophe angehäuft hätten. „Eben weil die Globalisierung der Glückssuche zur allgemeinen Ausbreitung des experimentellen Verhaltens führte, mußte sie eine Inflation von Vernachlässigungen mit sich führen. Aus den unerträglichen Effekten dieser Inflation entsteht das Umweltbewußtsein, wie es sich seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in der industrialisierten Welt artikuliert. Was wir die Umwelt nennen, ist zunächst nichts anderes als die vernachlässigte Größe in einem Experiment, die nachträglich zur Kenntnis genommen wird“, und da wundert man sich nicht, daß der Ontologe zwar zum ökologischen Eingreifen auffordert, wie es ja alle tun, aber doch sehr viel Verständnis für die Schadensverursacher aufbringt; denn gegen „Glückssuche“, wenn sie erforderlich wäre, könnte ja niemand etwas haben.
„Immer besser“, meint er, sehen wir „ein, warum und mit welchem Recht sich die modernen Akteure in ihre Unternehmen stürzen, die sie an ihr anderes Ufer tragen sollen“ - ich räume fairerweise ein, daß er nicht auf TTIP anspielen will -; „wir begreifen, wie sich jeder einzelne Experimentator in seinem eigenen Chancen-Tunnel vorwärtsbewegt, indem er sich auf einige wenige Elemente fokussiert, namentlich Kosten und Profite, und zahllose äußere Faktoren ignoriert.“ Nein, es stimmt nicht. Das Glück muß nicht erst gesucht und schon gar nicht experimentell konstruiert werden; es ist da. Es kann einem freilich weggenommen werden. Schreiben Sie doch einmal über Unternehmen, die das Glück wegnehmen, Herr Sloterdijk. Das Glück ist aber auch von sich aus nicht beständig außer in der Erinnerung, ganz abgesehen noch davon, daß es gar nicht ausreichen würde, nur glücklich sein zu wollen. Aber selbst wenn es stimmte, daß profitorientierte Unternehmen der Glückssuche dienten, würde dadurch doch nur ihr Egoismus bewiesen und ihre Unfähigkeit, dem wirklich Anderen ins Gesicht zu schauen, das ist nämlich der begegnende Mensch in seiner von Lévinas betonten unendlichen, unauslotbaren Verschiedenheit.
Natürlich habe ich interessante Bauten und Objekte im Innern des Ortes auch dann fotografiert, wenn mal keine Bäume davorstanden.
Eingebetteter MedieninhaltDer Ort Toledo ist als solcher interessant. Er war Hauptstadt in vielen Epochen Iberiens, bis Philipp II., im 15. Jahrhundert, die Residenz auf einen viel geräumigeren Hügel ganz in Nähe verlegte, wo sie seitdem Madrid heißt; man fährt heute mit der Bahn in einer halben Stunde von Ort zu Ort. An die maurische Vergangenheit erinnern vor allem eine Reihe hufeisenförmiger Tore in der Stadt, deren eindrucksvollste den wichtigsten Platz Toledos, Zocodover, an der Ostseite öffnet und den Blick ins Flußtal und darüber hinweg ins weite Land freigibt, weil gleich hinter dem Tor eine Treppe tief herabführt. Diese unerwartete Transzendenz eines typisch innerstädtischen Platzes ist sehr eindrucksvoll.
Eingebetteter MedieninhaltAuf dem Platz vibriert das Leben wie überall in spanischen Städten, aber man sieht auch, wie viel ärmer Toledo als Madrid sein muß, denn zwei der drei Cafés / Restaurants am Platz sind in den Händen der beiden großen Hamburger-Ketten, Burger King und McDonald’s. Neben dem Zocodover sind die Kathedrale, die Zitadelle, eine Synagoge nebst Museum der Stadtgeschichte der Juden ,
Eingebetteter Medieninhaltdie mit ihren Säulenreihen ganz entfernt an die Moschee in Córdoba erinnert,
Eingebetteter Medieninhaltein eein gotisches Kloster und El Greco (1541-1614), der zuletzt in Toledo wohnte und von dem einige Bilder über verschiedene Orte der Stadt verstreut sind, hervorhebenswert. Die Zitadelle ist vor allem historisch interessant, weil sie mehrfach in ihrer Geschichte Schauplatz harter Kämpfe war, zuletzt noch im spanischen Bürgerkrieg, von dem heute eine Ausstellung kündet. Franco-Anhänger hatten sich hier verschanzt und die Stellung gehalten, weshalb sie für Ewiggestrige bis heute ein Wallfahrtsort sein soll. Die Kathedrale hat mir wegen ihres gigantomanischen Prunks nicht sehr gefallen. In jenem Kloster jedoch, San Juan de los Reyes, kann ein Kreuzgang besichtigt werden, der nach Auskunft des Baedekers zu den „glänzendsten Schöpfungen des spätgotischen Stils in Spanien“ gehört. Man glaubt es ohne Weiteres.
Eingebetteter MedieninhaltEingebetteter MedieninhaltEingebetteter MedieninhaltEl Greco mag ich eigentlich nicht besonders. Seine Art, das Neue Testament zu illustrieren, ist oft schwülstig und daher schwer zu ertragen. Wahrscheinlich versteht man ihn nur angemessen, wenn man seine ganze Entwicklung seit dem Ausgangspunkt in Kreta, wo er noch Ikonen malte, nachvollzieht. Er gehört aber zweifellos zu den ganz Großen, wovon wohl am meisten seine expressionistische Farbgebung zeugt. Das ist einer von denen, die sicher auch gern gegenstandslos gemalt hätten, wenn das damals schon erlaubt gewesen wäre. In den Toledaner Bildern wird diese Dimension nicht überall deutlich, dafür sieht man aber, was er seinem Aufenthalt in Venedig und Rom zur Zeit des Manierismus verdankt. El Grecos längliche Menschen sind nämlich nicht mehr so rätselhaft,
Eingebetteter Medieninhaltwenn man sie mit Parmigianinos bekanntestem Bild, der „Madonna mit dem langen Hals“, vergleicht. Hier wird allerdings auch der Abstand zwischen beiden sehr deutlich, denn verglichen mit El Grecos religiöser Inbrunst fragt man sich bei Parmigianino, der von 1503 bis 1540 lebte, ob er sein Sujet als religiöses überhaupt ernst nimmt. Nebenbei ist der rechte Rand des Parmigianino-Gemäldes interessant, weil er für Giorgio de Chirico (1888-1978) anregend gewesen sein muß. Bei Chirico ist sozusagen nur noch der Rand übriggeblieben, während der übrige Raum bedrückend leer erscheint.
Beeindruckt haben mich El Grecos Bilder der Apostel, ein von ihm mehrfach ausgeführter Zyklus, von denen einer im Toledaner El Greco-Museum ausgestellt ist. Die Apostel sind individuell gestaltet und zeigen nur bei denen, die schon im Neuen Testament als Charaktere geschildert sind, die von daher erwarteten Züge. So ist Johannes der ernste, aber auch feurige junge Mann, der Jesus besonders lieb gewesen sein soll, und er hat den reichsten Haarschopf. Auch Thomas, der Zweifler, ist ein junger Mann, seine Augen sind weit aufgerissen. Petrus hat die Schlüssel zum Himmel in der Hand - denn die Kirche soll entscheiden, wer hereinkommt, und er ist „der Fels“, auf dem sie erbaut werden soll -, wirkt aber trotzdem bedrückt, weil er ja Jesus „dreimal verriet“, wenn auch weniger schwer als Judas. Gerade dieses Versagens wegen, aber auch weil er es bereute, was El Greco in anderen Bildern gesondert darstellt, wird er zu diesem ausgesprochen paradoxen „Fels“ und Ahnherrn, in dessen Nachfolge sich alle Päpste sehen. Zu den Herrenmenschen indes, als welche sich viele von denen dann aufspielen sollten, gehört er für El Greco nicht, vielmehr ist ihm die Schande ins Gesicht geschrieben. Judas kommt nicht vor, an dessen Stelle hatte ja schon die erste Gemeinde nach Jesu Tod einen anderen, Matthias, eingesetzt, wie die lukanische Apostelgeschichte berichtet. El Greco setzt aber nicht Matthias, sondern Paulus ein, und es springt ins Auge, was er in ihm sieht: den intelligentesten von allen. Paulus hatte sich selbst zum Apostel gemacht und galt der Kirche später als „der“ Apostel schlechthin.
Die anderen, von denen wir nur die Namen kennen, hat El Greco einfach als Vorlage für weitere mögliche Charaktere einer initialen Gruppe, die sich um ein Programm schart, genutzt. Da sind manche offenbar weniger intelligent, mühen sich aber, wie sie können, einer kämpft schwer mit irgendeiner bösen Versuchung, die ihn nie losläßt, einer schreibt nieder, was er weiß (Matthäus, von dem der Maler glaubt, er sei der Verfasser des Matthäus-Evangeliums), ein anderer liest, und diese beiden scheinen zwar nicht zu den Beschränktesten, aber auch nicht zu den Klügsten zu gehören. Jesus in der Mitte ist der Einzige, der den Betrachter ansieht.
El Greco war lange Zeit vergessen, wurde erst im 19. Jahrhundert und dann besonders um 1900 wiederentdeckt. Zu denen, die für ihn empfänglich waren, gehörte Rainer Maria Rilke. Der Überschwang war beiden gemeinsam. Wenn Rilke Ende 1912 Toledo beschreibt, wo er sich für ein paar Wochen aufhält, verdichtet er offenbar, was er selbst gesehen hat, mit dem Bild, das der Maler vom Ort anfertigte, denn ein erlebtes Gewitter „über der Öde der davon verdüsterten Landschaft“ veranlaßt ihn zu dem Satz, er ahne, „zu was für Bildungen die Atmosphäre hier greifen muß, um sich zum Bilde der Stadt gehörig zu verhalten“. Rilkes Schilderung steht hier gut am Ende, weil sie zum Anfang meines Berichts zurückleitet. Denn auch für sein Erleben war die Naturumgebung Toledos ganz wichtig, obwohl er nicht im Frühling dort war,
Eingebetteter Medieninhaltsondern im November: „Man kann es niemandem beschreiben, es ist voll Gesetz, ja, ich begreife augenblicklich die Legende, daß Gott, da er am vierten Schöpfungstag die Sonne nahm und stellte, sie genau über Toledo einrichtete: so sehr sternisch ist die Art dieses ungemeinen Anwesens gemeint, so hinaus, so in den Raum –, ich bin schon überall herumgekommen, hab mir alles eingeprägt, als sollt ichs morgen für immer wissen, die Brücken, beide Brücken, diesen Fluß und, über ihn hinüber verlegt, diese offene Menge der Landschaft, übersehbar wie etwas, woran noch gearbeitet wird. Und dieses Glück der ersten Wege, die man versucht, dieses unbeschreiblich sichere Genommen- und Geführtsein –“ „täglich durch diese Stadt durchschreitend, könnte man irgendwo einbiegen und sich in der Enge unscheinbar abgeben, so am Äußersten steht dies hier, nach außen kann man darüber nicht hinaus. Aber draußen auch wieder, kaum hundert Schritte vor dieser unübertrefflichen Stadt, müßte es denkbar sein, auf einem der unverheimlichten Wege einem Löwen zu begegnen und ihn sich durch irgend etwas Unwillkürliches in der Haltung zu verpflichten. Zwischen diesen beiden Gebärden etwa möchte das Leben hier liegen –“
Kommentare 30
Lieber Michael, besten Dank für deinen anschaulichen Reisebericht! Herzliche Grüsse, Kurt
der autor zeigt sich als glücks-sucher
in der natur und den experimenten der mensch-heit
(z.b el greco, den philosophischen welt-erklärern, dem tabak-genuß zugewandt),
die irgendwann die glück-suche mit der gewinn-maximierung bis zur unkenntlichkeit übermalt hat.
ich wünsch ihm: viel glück!
Nein, Sie haben das nicht verstanden. Sloterdijk spricht Glückssuche und macht sie an der Gewinnmaximierung fest, ich dagegen sage mit Lévinas, das Glück ist immer schon da, kann höchstens weggenommen werden und ist im Übrigen nicht beständig. Sie brauchen mir also kein Glück zu wünschen. Das ist überflüssig.
... macht sie an der Gewinnmaximierung und an Experimenten fest ...
die glück-wünsche nehm ich natürlich anstandslos zurück!
das glück ist natürlich immer schon da(unter dem pflaster,unter einer tonnenschweren last,etc.).
was habe ich nicht verstanden?
"...staune ich selbst darüber, wie sehr sich der Frühling in den Vordergrund gespielt hat..."
Ich sehe hier aber auch einen Haufen Gebäude, Tore, Kloster, Synagogen und Kunst, so dass ein ausgewogener Eindruck von Toledo vermittelt wird :-)
pursuit of happiness ist doch die devise unter der sich die massen haben bändigen lassen.
dies gigantische unternehmen, bestehend aus zahllosen experimenten, lasten los-zuwerden, hat die extinktionen, verwüstungen in natur und in mit-menschen lange zeit marginalisiert.
so versteh ich sloterdijks grund-idee.
menschliche blindheiten bei der emanzipation von mangel und gesellschaftlichen zwängen haben institutionelle monster und denk-schemata geschaffen.
eine sehr hoch angelegtes resumee, daß uns auf die wohl-überlegte arbeit im garten verweist,
vorsicht beim fällen von urteilen und krumm-holz gebietet.
Daß Sie auf pursuit of happyness kommen, ist interessant und produktiv. Also danke für den Hinweis, der meine Sloterdijk-Lektüre vertieft. Wenn man ihn in diesen Kontext stellt, erscheint es immerhin als unbillig, ihn mit Lévinas zu vergleichen, der sich auf einer ganz anderen Bahn bewegt. Gut kommt Sloterdijk aber auch dann nicht weg. Er läßt die „Glückssuche“ im 15.-17. Jahrhundert in den nautischen Abenteuern beginnen, denkt also an Figuren wie Kolumbus usw. Auf pursuit of happiness kommt er nie zu sprechen, obwohl es in der Tat naheliegt zu vermuten, daß ihm das vorschwebt. Und das ist typisch für sein ganzes Buch, wo er immer wieder Dinge zusammenklebt, die recht verschieden sind, und dadurch ideologische Effekte erzielt. Spontane Ideologie funktioniert so, bei ihm hat man den Eindruck, er durchschaut es und stiftet absichtlich Konfusionen. Ich wüßte nicht, daß Kolumbus sich als Glückssucher gesehen hätte. Einen Ausgang von Unglück, europäischer Krise, kann man bei ihm und seinesgleichen sicher unterstellen. Mit Bloch wäre die Reaktion aufs Unglück aber eher in Begriffen wie Flucht, Hoffnung und Eschatologie zu beschreiben. Da spielt es dann in der Tat eine Rolle, daß am „anderen Ufer“ gesucht wird. In einem irdischen Jenseits gewissermaßen. Das führt zwar schnell zum Goldrausch und allerlei Verbrechen, ist aber von Kapitalismus, Gewinnmaximierung, Globalisierung und ökologischer Katastrophe, worin Sloterdijk alles einrührt, noch jahrhunderteweit entfernt.
Wie gesagt, auf „pursuit of happiness“ spielt er nicht im Leisesten an. Was es damit auf sich hat, darüber kann man sich gut bei Hannah Arendt informieren (On Revolution, New York 1963), die er ganz sicher gelesen hat. Die US-Amerikaner, schreibt Arendt, sprachen gemeinhin vom „öffentlichen Glück“, „wenn die Franzosen sich der Worte ‚öffentliche Freiheit’ bedienten“. Als dann aber die US-Verfassung geschrieben wurde, setzte Jefferson „den Ausdruck pursuit of happiness an die Stelle, welche dem ‚Eigentum‘ in der alten Formel ‚Leben, Freiheit und Eigentum‘, die bis dahin die bürgerlichen Rechte definiert hatte, zugefallen war“. Es sei „auffallend“, fügt sie hinzu, „daß Jefferson nicht den Ausdruck öffentliches Glück‘ gebraucht, der damals gang und gäbe war. Hier nun sind Kapitalismus und Gewinnmaximierung nicht mehr fern, aber da gibt es kein „Anderes“ mehr, denn in der Perspektive des Privateigentums ist alles Eins.
... der damals gang und gäbe war“. Hier nun sind Kapitalismus ...
es ist konvention, den überwältigenden goldrausch moralisch zu ächten.
die fanatische jagd auf moby dick ist als verhängnisvolle fixierung aufgedeckt.
die (see-)fahrt zu ufern des lockenden reichtums hat aber das heroische des wagens, riskierens von leben und kapital.
übersee-segler als avancierteste produktions-mittel zur erlangung globaler reichtümer, kenntnisreiche (industrie-)kapitäne, ausgerüstet mit den neuesten mitteln zur navigation haben die bedenken des scheiterns, des verlusts in vielen köpfen überstrahlt.
portugal,spanien, frankreich,britanien,die niederlande:
erschließung globaler ressourcen zunächst ohne schuld-gefühle:
absolviert durch harte arbeit, skills, neue materialien,neue organisations-formen, zu-arbeit der wissenschaft und unternehmungs-geist.
in der tradition der beute-ökonomie, aber mit fleiß(industria), neugier und dienst an der welt-enthüllung geadelt.
die private unternehmung(in societäten organisiert) stand noch als avantgarde eines menschheits-projekts.
als aufbruch, gloriose erprobung der menschlichen ratio:
ein imaginierter schöpfungs-akt, dem man , mit übersicht über die begleitenden und nachfolgenden kosten, den ideologischen charakter vorwerfen muß.
wir heutigen sind skeptischer gegen groß-experimente,
allmachts-phantasien der politik, konzerne, philosophen, die betroffenen finden mählich mehr gehör, die reaktion der natur findet interpreten.
zudem:
der vorbehalt gegen den an-stößigen sloterdijk
reizt mich jetzt zur lektüre. danke.
ich wünsch ihm: viel glück!
es ist konvention, den überwältigenden goldrausch moralisch zu ächten. Da möchte ich denn doch zurückfragen, ob Sie auch wissen, wovon Sie da sprechen, und mir die Mühe machen, ein weiteres Zitat abzuschreiben (aus F. Scheidler, Das Ende der Metamaschine, Wien 2015, S. 90):
Kolumbus‘ „zweite Reise wurde zum Auftakt für den wohl größten Völkermord, den die Menschheit bis dahin erlebt hatte. Da die Goldsuche der Spanier zunächst erfolglos verlief, befahlen sie auf Hispaniola (heute Haiti) allen Männern über 14, alle drei Monate eine bestimmte Menge Gold abzuliefern. Wer das nicht tat, dem wurden die Hände abgehackt und man ließ ihn verbluten. Doch auf Haiti gab es kaum Gold, zumindest keines, das die dort lebenden Arawaks finden konnten. Also flohen sie in die Berge, verfolgt von den Spaniern, die jeden Flüchtigen hängten oder lebendig verbrannten. Massenselbstmorde der Arawaks waren die Folge. Oft töteten sie auch die eigenen Kinder, damit sie nicht den Spaniern in die Hände fielen. In nur zwei Jahren war auf diese Weise die Hälfte der 250.000 Menschen Haitis ausgerottet. Aber das war nur der Anfang. Weil kaum Gold zu finden war, verfielen die Spanier darauf, die Arawaks auf Sklavenplantagen arbeiten zu lassen, unter Bedingungen, die letztlich so gut wie alle umbrachten. 1515 waren noch 50.000 Haitianer übrig, 1550 nur noch 500.“
... der Megamaschine, nicht der Metamaschine.
danke für die mühe, glaubten sie eine wissens-lücke schließen zu müssen?
oder störte sie das wort konvention?
mit goldrausch war die gier nach gold, die rücksichtslose beute-gier, die alles relativierende jagd nach reichtum gemeint, die in ihrer absolutheit( californien 1849,etc etc) in ihren schädigenden und selbst-schädigenden formen heute so in komfort-zonen der erde nicht mehr auf verständnis stößt(als residuum vielleicht noch der fette lotterie-gewinn).
gegen geld-gier der bonus-ritter ist leicht eine meinungs-mehrheit zu statuieren.
Ach kommen Sie, von "californien 1849" war hier nirgends die Rede.
Glauben Sie nicht, daß sich hier irgendwer verstecken kann.
von glücks-suche und goldrausch war die rede.
für das enge kaliber ihres denk-tunnels kann ich nichts.
unterstellungen und verdrehungen von ihnen verbitte ich mir in aller öffentlichen einfachheit.
ob sie hier die pose des meister-denkers und inquisitors einnehmen wollen, ist allein ihre entscheidung.
Der Punkt ist, daß die Reduzierung von 250.000 auf 500 Menschen keine "glücks-suche" ist. Stellen Sie sich nur auf den Kopf... Es gibt hier, ich meine in freitag.de, dennoch Maßstäbe. Muß man ein "Meister" sein, um die Grausamkeit zu verabscheuen?
ob grausames gemetzel oder industrielle tötung durch eine atom-bombe: das auslöschen von menschlichem widerstand durch überlegen-organisierter macht, findet nur bei unmittelbar-interessierten nutznießern verständnis, das manchmal, mit zu langem zeitlichem ab-stand, mit aufkommender, nach-träglicher reue sich mischt.
die suche nach macht-ressourcen im auftrag von despoten: versklavung , terroristische ausbeutung, die vor ethnoziden und demoziden nicht zurückschreckt, gehört einer epoche an, die man trennen sollte von nach-aufklärerischen, vom abolitionismus beeinflußten zeiten.
aus vielerlei gründen ergibt sich größere zurechnungs-fähigkeit, verantwortung für eine avancierte bevölkerung, die demografische zwänge, hunger und naivität hinter sich lassen kann.
das vor-herrschen asymmetrischer interdependenz in der entfaltung gesellschaftlicher produktivität geht zeitversetzt einher mit dem bewußtsein von ungleichen chancen in der glücks-suche und den kosten, die un-bedacht dabei entstehen.
Glauben Sie nicht, daß sich hier irgendwer verstecken kann.
Warum glauben Sie, dass Denkzones bei seinem/Ihren "Goldrausch" an die Conquista gedacht hat?
Wenn Sie die Diskussion hier verfolgen, dann sehen Sie, daß sie von Sloterdijk, von dessen Eingehen auf Nautik ab dem 15. Jh., also von Figuren wie Kolumbus, und in diesem Zs. von Goldrausch ausging. Da fragt „Denkzone“, was denn gegen Goldrausch moralisch einzuwenden sei? Wenn man sich über die Frage wundert, ist er auf einmal bei Kalifornien 1856, als ob wir über Karl May diskutiert hätten oder über diesen Film mit Humphrey Bogart, ich komm grad nicht auf den Titel.
„Denkzone“ ist zweideutig. Ich habe noch nie erlebt, daß Linke zweideutig sind. Haben Sie es schon erlebt?
zitat von michael jaeger: "da fragt "denkzone",was denn gegen goldrausch moralisch einzuwenden sei?"....geht's noch?
in einem gebe ich ihnen ausdrücklich recht, herr jaeger:
grausamkeit zu verabscheuen , ist leicht getan.
dieser "maßstab" ist hier auch garnicht angegriffen.
ist also un-dienlich für ihre pose des sittlichen deichgrafs.
„Denkzone“ ist zweideutig.
Ich kann Denkzones Kommentare oft nicht nachvollziehen. Aber das ist für mich kein Grund zu glauben, er/sie habe ein diffuses Verhältnis zum Völkermord, oder heiße ihn gut.
Ich habe noch nie erlebt, daß Linke zweideutig sind. Haben Sie es schon erlebt?
Das weiß ich nicht. Sind Linke mit einer Schwäche für Querfrontexperimente zweideutig, oder sind sie keine Linken?
Es geht mir gar nicht darum, Denkzone irgendein Verhältnis zum Völkermord zu unterstellen, sondern ich finde es unerträglich, über dieses Thema zweideutig zu reden, und überhaupt finde ich zweideutiges Reden unerträglich. Es zerstört die Sprache. Wir brauchen die Sprache doch, um uns in ihr verständigen zu können. Ich mag da nicht tatenlos zusehen. Hier noch einmal der „Dialog“ zwischen mir und Denkzone:
Ich: „Einen Ausgang von Unglück, europäischer Krise, kann man bei ihm [Kolumbus] und seinesgleichen sicher unterstellen. [...] Das führt zwar schnell zum Goldrausch und allerlei Verbrechen [...].“
Denkzone: „es ist konvention, den überwältigenden goldrausch moralisch zu ächten. [...] die (see-)fahrt zu ufern des lockenden reichtums hat aber das heroische des wagens [...].“
Ich: „Da möchte ich denn doch zurückfragen, ob Sie auch wissen, wovon Sie da sprechen [...]. Kolumbus‘ ‚zweite Reise wurde zum Auftakt für den wohl größten Völkermord [...].“
Denkzone: „[...] californien 1849 [...]“
Ich: „[...] von ‚californien 1849‘ war hier nirgends die Rede [...]“
Denkzone: „von glücks-suche und goldrausch war die Rede.“
Ich: „Der Punkt ist, daß die Reduzierung von 250.000 auf 500 Menschen keine ‚glücks-suche‘ ist.“
Denkzone: „das vor-herrschen asymmetrischer interdependenz in der entfaltung gesellschaftlicher produktivität geht zeitversetzt einher mit dem bewußtsein von ungleichen chancen in der glücks-suche und den kosten, die un-bedacht dabei entstehen.“
Wenn das der Stil in der FC wird, können wir den Laden zumachen.
Sind Linke mit einer Schwäche für Querfrontexperimente zweideutig, fragen Sie. Nein, das ist ja eine politische Position; die kann man falsch finden (ich finde sie falsch), Zweideutigkeit aber ist ein Modus des Sprechens. Wenn der um sich greift, nützt es gar nichts mehr, für oder gegen die Querfront, oder was es auch sei, argumentieren zu wollen, weil wie gesagt man dazu das Medium der Sprache braucht und es zerstört wäre. Ich habe auch das noch nicht erlebt, daß Linke mit einer Schwäche für Querfrontexperimente zweideutig reden.
Zweideutigkeit aber ist ein Modus des Sprechens.
Danke. Das wird mir so klarer.
Es geht mir gar nicht darum, Denkzone irgendein Verhältnis zum Völkermord zu unterstellen, sondern ich finde es unerträglich, über dieses Thema zweideutig zu reden, und überhaupt finde ich zweideutiges Reden unerträglich. Es zerstört die Sprache. Wir brauchen die Sprache doch, um uns in ihr verständigen zu können.
Das liest sich für mich richtig, aber wer ist "wir"? Von dem, was Denkzone schrieb, habe ich nur wenig verstanden; von Ihren Sätzen verstehe ich mehr - aber ich verstehe beim Lesen Ihrer Blogs nicht so viel, dass ich anfangen würde, mitzudiskutieren oder Fragen zu stellen. Da lese ich einfach nur mit. Ist ja auch keine schlechte Option.
Denkzone hat versucht, mitzureden, und zu Beginn ja auch - bei mehr als einem Anlauf - mit etwas Verständigungserfolg, oder?
Die Voraussetzungen dazu hätte ich gar nicht mitgebracht. Und wenn dann aus Denkzones Modus des Sprechens eine Charakterfrage wird, dann macht er oder sie hier keinen weiteren Anlauf.
Die Sprache mag dann ihr notwendiges Recht bekommen haben, aber nicht die Kommunikation.
Denkzone hat versucht, mitzureden, und zu Beginn ja auch - bei mehr als einem Anlauf - mit etwas Verständigungserfolg, oder? Das stimmt. Ich hatte den Erfolg, etwas von ihm zu verstehen. Den Eindruck, daß er auch umgekehrt versucht hat, etwas von mir zu verstehen, habe ich nicht. Aber vielleicht irre ich mich. Ich will annehmen, ich hätte mich geirrt, und von Neuem zusehen, wie Denkzone mit mir kommuniziert. Von einer „Charakterfrage“ würde ich übrigens nicht sprechen. Meine Sorge ist eher, daß mit Sprachzerstörung Politik gemacht wird, hier in der FC. Aber noch einmal, ich will annehmen, daß ich mich irre.
aus gegebenem anlaß:
mit der geforderten ein-eindeutigkeit ist das so eine sache.
der grund zu schreiben, ist für mich:
einseitigem denken etwas entgegenzusetzen, daß verluste nicht unterschlägt und verhindert, sich etwas in die eigene tasche zu lügen. also:
das alte programm, verkürzte sichten in ihrer dienlichkeit für soziale ein-lullung(ideologie) zu exponieren.
wenn ich etwas zu be-denken gebe, setze ich gegen die scheinbare alternativlosigkeit einer ein-stellung eine zweite, die mir das thema vollständiger zu beleuchten scheint.
wo ich mir widerspreche(was ich nicht für ausgeschlossen halte), kann man mich darauf stoßen.
was querfront ist, müßt ich erst nachschlagen.
Querfront ist, wenn man die Einseitigkeit und scheinbare Alternativlosigkeit des Linksseins dadurch überwindet, daß man das Rechtssein dagegen- und dazusetzt, beides miteinander versöhnt und dadurch die politischen Themen vollständiger beleuchtet.
danke für die hilfe, wiki-jaeger.
dann hat hier bei ihnen ja das links-sein und recht-haben
eine kuschelige heimat.