Spurwechsel

Anders arbeiten Die Gewerkschaften dürfen nicht nur in der Logik des Geldes denken

Auf dem Gewerkschaftstag warnte Michael Sommer vor der Kopfpauschale. In seinem Grußwort verlangte der Bundespräsident, die Mehrwertsteuer müsse zur Senkung der Lohnnebenkosten verwandt werden. Er sagte auch wieder, Arbeit solle "Vorfahrt haben". Aber wie hoch wird sie bezahlt? Wie hängen Arbeit und Geld eigentlich genau zusammen? Das ist die Frage der Gewerkschaftsstrategie. Es war gut, dass kurz vor dem Gewerkschaftstag der Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst gelang. Das war kein Sieg der Gewerkschaft Verdi, aber auch keine Niederlage. Gegen die kommunalen Arbeitgeber konnte sie sich weithin durchsetzen, weil dort ihre Streikbataillone stark sind. Im Kampf mit den Länderregierungen hatte sie weniger Waffen und musste deshalb eine Arbeitszeitverlängerung hinnehmen, allerdings nicht die verlangten 40 und noch weniger die zum Teil vorgefundenen 42 Wochenstunden.

Obwohl Verdi nur eine Atempause erlangt hat, ist wieder einmal bewiesen worden, dass Arbeiter nicht so wehrlos, Streiks nicht so wirkungslos sind, wie manche immerzu behaupten. Das lässt sich verallgemeinern, obwohl anderen Gewerkschaften die Kälte der Globalisierung spürbarer entgegenweht. Es ist zwar wahr: Manche Unternehmer gehen ins Ausland, wo billigere Lohnkosten winken. Aber das ist nie ganz einfach und geht nicht von einem Tag auf den andern. Derweil haben auch die Unternehmer ihre Schwachpunkte, wie Ludwig Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, vor zwei Wochen öffentlich einräumen musste: In der stärkeren globalen Wirtschaftsverflechtung können Streiks viel mehr Schaden anrichten als früher. Der Mann stand unter dem Eindruck des gerade erfolgten Tarifabschlusses der IG Metall. Insgesamt hat sich das Kräfteverhältnis zweifellos zu Ungunsten der Gewerkschaftsseite verschoben. Dennoch gibt es nach wie vor diese Atempausen, in denen der DGB seine Strategie überdenken und fortbilden kann.

Um wieder in die Offensive zu kommen, muss er sich vor einem zu platten Verständnis des Begriffs "Kräfteverhältnis" hüten. Es geht nicht nur um Körperkräfte, mit denen man Streikbrechern den Weg durchs Firmentor versperrt, und auch nicht nur um Finanzkräfte. Bei einer Analyse des Verdistreiks muss auch gefragt werden, ob die Gewerkschaft das ideologische Muster der Gegenseite in Zweifel ziehen oder wenigstens kenntlich machen konnte. Warum sind denn nicht nur die Öffentlichen Arbeitgeber, sondern auch die Unternehmerverbände auf Arbeitszeitverlängerung so versessen? Man ist geneigt, das Absurde des Verlangens hervorzuheben, Verdi hat es zur Genüge getan: Während bei geringerer Arbeitszeit mehr Menschen beschäftigt, die Massenarbeitslosigkeit also abgebaut werden könnte, verschafft die stattdessen erfolgte Einigung auf knapp unter 40 Wochenstunden den Länderregierungen die Möglichkeit zum Abbau weiterer Stellen.

Aber es steckt noch ein weiteres Kalkül hinter dieser Strategie. Hans-Werner Sinn, der führende neoliberale Wirtschaftsweise, hat es kürzlich auf einer CDU-Veranstaltung erläutert: Was die privaten Unternehmer vor allem wollen, ist Lohnkürzung; diese fällt noch am wenigsten schmerzhaft aus (und weckt daher, so hoffen sie insgeheim, die geringsten Widerstandskräfte), wenn der ausgezahlte Lohn sich gar nicht verändert, dafür eben "nur" ein bisschen länger in der Firma geblieben werden muss. Mit dem scheinbar so menschenfreundlichen Argument haben sich die Öffentlichen Arbeitgeber solidarisiert und deshalb getönt, "18 Minuten mehr" pro Tag seien doch nun wirklich keine Katastrophe. Das Argument ruht auf einer Basis, die wir als selbstverständlich hinnehmen sollen: Um in der Globalisierung Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen mit Vollbeschäftigung vereinbar zu machen, müssten Kosten gespart werden, auch Lohnkosten. Wenn man hier konsequent sei, sei Vollbeschäftigung immer erreichbar, ja eine leichte logische Übung: Je tiefer nämlich die Lohnkosten, desto mehr mögliche Arbeitsplätze bei gegebenem, in der Globalisierung notwendig knappem Lohnkostenfonds.

In dieser Manier werden Wirtschaftsprobleme zu reinen Geldproblemen gemacht, als ginge es in der Ökonomie nur um Geld und nicht vor allem um Bedarf, Gebrauch und Erfindung. Auf der erwähnten CDU-Veranstaltung diskutierte Jeremy Rifkin mit Professor Sinn; er fragte ihn, warum die deutsche Regierung nicht eine ökologische Wende anstoße, eine Wirtschaft auf Biokraftbasis vorbereite und so nicht nur die Schaffung vieler neuer Arbeitsplätze veranlasse, sondern auch Deutschlands Welthandel um ein verkaufbares Modell bereichere. Ein Mann wie Sinn konnte nicht einmal verneinend auf die Frage reagieren. Sie überstieg seinen armselig monetären Horizont. Irritiert drehte er an der Lohnsenkungs-Gebetsmühle weiter. Wenn der Schaden nicht so groß wäre, den Leute wie er anrichten, er hätte einem leid tun können. Auch der Bundespräsident hat wieder nur Geld für Bildung und Forschung gefordert. Warum spricht er nicht von den Ergebnissen der Forschung, zum Beispiel dass es sinnvoll ist, in Biokraft zu investieren?

In der Antike soll man einem gewissen Crassus flüssiges Gold in den Rachen gegossen haben, damit er herausfinde, ob Geld essbar ist. Heute muss man die Unternehmer gelegentlich mit ihren Kosten- und Gewinnrechnungen allein lassen - also streiken -, damit sie sehen, dass weder Kosten noch Gewinn anfallen würden, wenn keine Arbeit wäre. Arbeit aber ist direkt oder indirekt Stoffwechsel mit der Natur. Wenn es Geldprobleme mit der Arbeit gibt, muss man fragen, was gearbeitet wird und werden könnte. Da haben Gewerkschaften eine Aufgabe, zumal die Parteien versagen. Der DGB darf sich nicht auf Geldargumente beschränken lassen. Er hat mitzureden bei der Frage, wie der Mehrwert verwendet wird.


Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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