Die Gedenkjahre sollte man abschaffen. Was soll uns die Erinnerung an Friedrich Schiller, der zu seiner Zeit ein führender Intellektueller war, sich auch ständig zu Wort meldete, aber wenig von Ökonomie sprach, überhaupt lauter Luxus-Unsinn im Kopf hatte und nie zur Umverteilung des Reichtums nach oben aufrief? Was hat dieser Mann nicht von Freiheit geschwätzt! Einfach das Richtige über die Ordnung der Freiheit zu sagen, nämlich dass ihre "Regeln lauten: Privateigentum und Vertragsfreiheit, Wettbewerb und offene Märkte", hat er nicht vermocht. Zum Glück tut es der große, gebildete Bundespräsident, den wir haben. Wodurch jemand Subjekt seiner eigenen Handlungen wird, kann Horst Köhler mindestens so gut, im Grunde aber genauer sagen als Schiller: "Er braucht Freiheit", "freie Preisbildung", "damit er sich entfalten kann". Wie seine bejubelte Rede zeigt, nimmt er es mit Schillers Wallenstein allemal auf. Während der sein Handeln von der Konstellation der Sterne abhängig macht, schaut der Bundespräsident aufs "Länderranking des World Economic Forum".
Von Schillers Figuren unterscheidet ihn, dass er keinen Schrott, sondern nur Ökonomie im Kopf hat. Was muss uns "begeistern"? Die Innovation - "und diese Begeisterung muss das ganze Unternehmen erfassen", aber auch die "Eltern, die ihre Kinder zur Wissbegierde erziehen", und nochmals die Unternehmen, die das begehrte Wissen in "Produktion umsetzen". Begeistert sind jetzt schon die Medien, zum "Super-Horst" wurde Köhler von der Bild ernannt.
Ecce Homo, nun wissen wir, was man im Schillerjahr unter einem Subjekt versteht. Da stellt sich ein Staatsoberhaupt hin und sagt offen, dass es ihm "um die Hauptaufgabe von Unternehmen und Betrieben geht, und die ist: am Markt erfolgreich zu sein und Gewinne zu machen" - er weiß aber, das geht nur durch, wenn man den Gewinnen eine naturgesetzliche Rolle im ökonomischen Selbstlauf zuschreibt. Sie werden gemacht, weil es um Hilfe geht: "Nur wer Gewinne erwirtschaftet, kann zusätzliche Arbeitsplätze schaffen". Oder sollte es richtiger sein zu sagen, Köhler spreche von Arbeitsplätzen, weil er sonst nicht von Gewinnen sprechen könnte?
Der Bundeskanzler, in seiner noch größeren Rede, hatte denselben Zusammenhang vor Augen, als er von Gewinnen sprach, um Arbeitsplätze einzufordern. Die Lockerung des Kündigungsschutzes, klagte er, habe nicht "zu einer massiven Einstellungswelle in den Betrieben" geführt. Und die Krankenkassen hätten vier Milliarden Euro gewonnen, sie aber nicht zur Senkung der Lohnzusatzkosten weitergegeben, sondern zur Erhöhung der Gehälter der Kassenvorstände. Was soll die Klage? "Nur wer Gewinne erwirtschaftet", kann sie sich in die eigene Tasche stecken - darum ging es ja wohl. Bei über fünf Millionen Arbeitslosen konnte Schröder nicht einfach den Mund halten; er musste etwas sagen, auch weil der rot-grünen Koalition die Felle wegschwimmen. Was war seine Botschaft? Er stellte 20 Maßnahmen der laufenden Regierungsarbeit vor. Es geht weiter wie bisher, mit erhobenem Zeigefinger.
Auf dem "Jobgipfel" nach Schröders Rede konnten auch Stoiber und Merkel als Drachentöter der Arbeitslosigkeit glänzen. Das Treffen bot nichts Neues. Einerseits spielte Schröder auf Zeit. Für noch niedrigere Unternehmenssteuern sollen Steuerschlupflöcher und Subventionen beseitigt werden: Letzteres fordert die Regierung so lange, wie sie im Amt ist, die Union hat es noch stets verhindert. Zaghaft regen sich schon die Stimmen, die weniger Steuern auch ohne Gegenfinanzierung herbeisehnen. Aber es ist besser, wenn sie sich später durchsetzen; man soll die Bürger nicht verschrecken, nicht vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen. Andererseits ist jetzt schon klar, Schröder wird wieder mit Unionshilfe Politik gegen die eigene Partei machen. Ein erster Schritt wurde beim "Jobgipfel" ja schon getan: Der Kanzler stimmte dem CSU-Modell einer Senkung der Erbschaftssteuer für Unternehmen zu, das seine Koalition noch am Vortag abgelehnt hatte.
So kann es immer weiter gehen. Eine Umfrage bei Unternehmern ergab kürzlich, dass ihre Mehrheit Schröder noch zehn Jahre im Amt halten will. Lässt er sich doch stets in die richtige Richtung treiben, und seine Fähigkeit, sich an der Macht zu halten, ist beeindruckend. Selbst wenn die SPD in Nordrhein-Westfalen verliert und in Schleswig-Holstein eine Große Koalition eingehen muss, kommt im Bundesrat keine Zweidrittelmehrheit gegen Schröder zustande. Darüber scheint die Opposition gar nicht unglücklich. Jedenfalls hütet sie sich, der SPD auch im Bund eine Große Koalition anzutragen, in der sie sichtbar Verantwortung übernehmen müsste. Interessierte Medien tun derweil so, als herrsche eine Art Regierungswechselstimmung im Land. Dabei scheint es eher, als sei das Regieren jetzt abgeschafft, lebe nur in Theaterereignissen fort.
Eine gute Inszenierung von Schillers Wilhelm Tell könnte zur Klärung des Zeitgeistes vielleicht doch etwas beitragen. Von der Symbolik der Geßlerhüte war Günter Gaus schon vor zehn Jahren fasziniert. Ein Geßlerhut, von einem Subjekt hinterlassen, ist ein Stück Stoff, vor dem man sich zu verbeugen hat. Wer´s nicht tut, muss mit ruhiger Hand den Apfel vom Kopf seines Kindes schießen. Die Situation ist heute ein wenig verschärft: Die alten Hüte der Ökonomie stehen nicht für Subjekte, sondern für Nullen und Nutznießer; nicht der die Verbeugung ablehnt, sondern der sie ausführt, schießt auf Landeskinder. Wenn er, wie Schröder, behauptet, eine ruhige Hand zu haben, sagt er die Unwahrheit. Und das Schlimmste ist: Einen Rütlischwur, den Hutgaunern das Handwerk zu legen, gibt es nicht. Noch nicht.
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