Seit 2008 treten Claudia Böttcher, Sopran, und Jovita Zähl, Klavier, zusammen auf. Das Interpretenpaar hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Publikum Schlüsselwerke des 20. und 21. Jahrhunderts zu vermitteln. Bei der vorliegenden Aufnahme kann man geradezu von einer – geglückten – Pädagogik des Heranführens an Neue Musik sprechen. Drei der vier eingespielten Stücke sind gemessen an dem, was uns Luciano Berio und Karlheiz Stockhausen sonst zumuten, ausgesprochen eingängig.
Besonders gilt das für Berio. Seine „Sequenza III per voce femminile“ – ohne Klavierbegleitung – ist eine Studie über die menschliche Stimme (1966). Die übrigen „Sequenzen“ sind über verschiedene Orchesterinstrumente geschrieben. Die originelle Idee, in der Stimme einen vergleichbaren Reichtum sichtbar zu machen, wie ihn Streichinstrumente darin haben, dass sie gestrichen, gezupft oder im Flageolett gespielt werden können, wird jede(n) amüsieren: Die Stimme singt oder spricht nicht nur, sondern lacht auch, keucht, winselt und so weiter. Bemerkenswert für einen Komponisten der Nachkriegszeit sind die „Quattro canzoni popolari“ (1947), weil sie gar nicht, wie man es sonst von Berios Generation gewohnt ist, die angeblich verbrauchte tonale Musiksprache durch eine neue ersetzen wollen, sondern im Gegenteil Melodien der Renaissance unverändert präsentieren und auch in der Klavierbegleitung über einen Schwierigkeitsgrad à la Hindemith nicht hinausgehen. Berio lag daran, das historische Erbe zu wahren, und er hatte, wie er in einem Interview äußerte, den „utopischen Traum, eine Einheit zwischen der Volksmusik und unserer Musik herzustellen“.
Der „Tierkreis“ (1975) von Stockhausen soll zu dessen meistgespielten Stücken gehören. Wenn auch nicht gerade der Knabe auf dem Steckenpferd vorkommt, haben wir es doch mit einer Art Album für die Jugend zu tun. Die zwölf Sternbilder werden durchgenommen nach vom Komponisten gedichteten Charakterzeichnungen. Der Steinbock etwa, Sternbild des Verfassers dieser Zeilen, stellt sich als „ich Winternacht“ vor: Er strebt „langsam unaufhaltsam zäh / stetig kletternd zur Höh’ / stur und starr / zum Licht“. Die Klavierbegleitung ist verdeutlichend, nicht gefühlvoll, und leicht verständlich.
Doch auch ein gewichtiges Werk von Stockhausen ist aufgenommen, das „seriell“ komponierte „Klavierstück IX“ (1961). Leicht ist es wahrlich nicht, es ist aber von allen Klavierstücken I bis XI das leichteste. Es beginnt damit, dass der Klang cis-fis-g-c‘ erst 139 Mal und gleich danach 87 Mal in gleichen Abständen wiederholt wird, jeweils laut beginnend und immer leiser werdend: möglicherweise eine Anspielung auf die erste Szene von Igor Strawinskys Sacre du printemps (1913), „Tänze der jungen Mädchen“, wo eine ähnliche Monotonie der Anfang davon ist, dass am Ende ein Menschenopfer fällig wird. Bei Strawinsky ist der Zug abgefahren und kann nicht mehr aufgehalten werden. Stockhausen fängt aber nur so kontinuierlich an, um dann mit den Mitteln serieller Musik die Notbremse zu ziehen und aus langen Pausen heraus eine freiere Dynamik in Gang zu setzen. Von Aloys Kontarsky, dem Widmungsträger des sperrigen Stücks, haben wir eine klassisch distanzierte Aufnahme aus dem Jahr 1965. Claudia Böttcher führt nun vor, dass es sich mit viel Ausdruck und Emotion spielen lässt.
Zeit(t)räume. Karlheinz Stockhausen / Luciano Berio. Claudia Böttcher / Jovita Zahl Wergo 2013
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.