Tickende Bombe

CO2-Wäsche Schwarz-Gelb hat sich auf einen CCS-Gesetzentwurf geeinigt. Der Protest auf dem Lande wächst

Worauf man seit der Bundestagswahl warten konnte, tritt jetzt ein. Damals war das geplante CCS-Gesetz zurückgezogen worden, weil Schleswig-Holstein sich querstellte; dem breiten Protest der Landwirte hatte sich sogar der von der CDU gestellte Ministerpräsident anschließen müssen. CCS ist der Name jener Technik, mit der man Kohlekraftwerke ökologisch und nicht zuletzt auch politisch reinwaschen will – ernsthaft wurde von Befürwortern die Übersetzung „CO2-Wäsche“ erwogen: Dadurch, dass man Kohlendioxid (Carbon dioxide) einfängt (Capture), bevor es in die Atmosphäre gelangt, und tief unter der Erde lagert (Storage).

Das CCS-Gesetz, das den Bau von Demonstrationsanlagen erlaubt hätte, wurde zwar zurückgezogen, doch war klar, dass es nach der Wahl neu aufgelegt werden würde. In der vorigen Woche war es so weit: Die Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt hatten sich auf einen neuen Gesetzentwurf geeinigt, der im September vom Kabinett beschlossen werden soll.

Während man monatelang daran feilte, wusste man genau, dass auch der Widerstand nicht aufgehört hatte. Schleswig-Holstein kann vorerst überhaupt nicht mehr behelligt werden. In Brandenburg, der zweiten Region für Pilot-Projekte, haben sich ebenfalls Bürgerinitiativen formiert. Landwirte hängen Transparente an ihren Hausfassaden auf und tragen Buttons: „Tick Tack Tick Tack C02-Bombe“. Diese Menschen, denen die Befürworter diffuse Ängste zuschreiben, argumentieren ziemlich genau: Vom Gas kann das Salzwasser in den Tiefenschichten so verdrängt werden, dass das Grundwasser nachhaltig verschmutzt wird; es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gas irgendwann unkontrolliert durch Risse in der Deckschicht entweicht; Vattenfall jedoch, das die Pilot-Anlage in Jänschwalde nahe Cottbus bauen will, ist nicht bereit, für immer die Haftung zu übernehmen. Die Bundesministerien haben nicht auf die Brandenburger gehört, sondern sich mit Vattenfall geeinigt. Im Gesetzentwurf steht, dass die Nachsorgepflicht von Betreibern 30 Jahre nach Schließung des unterirdischen Lagers erlischt.

Sich nicht mit Vattenfall zu einigen, fällt aber auch schwer. Hat doch der Konzern längst entschieden: Milliardeninvestitionen sind fest eingeplant, nur der politische Rahmen fehlt noch und freilich auch die hinreichende Forschung. Wie man hofft, wird sie die Einwände der Gegner irgendwann zerstreuen, und argumentiert daher jetzt schon, mit CCS könnten Kosten vermieden werden, nämlich die des Emissionshandels. Die Politiker verstehen das. Zum ersten Spatenstich einer kleinen Pilot-Anlage, die auch ohne Gesetz gebaut werden durfte, war neben der Kanzlerin auch Ministerpräsident Platzeck herbeigeeilt. Ob CCS in einem rot-roten Bundesland eher gelingt als unter CDU-Regie? Bisher weisen alle Erfahrungen, auch solche im Ausland, darauf hin, dass diese Technik sich gegen Widerstand einer Landbevölkerung überhaupt nicht durchsetzen lässt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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