Ein schwarzes liegendes Kreuz, das fast den ganzen Innenraum der St. Matthäus-Kirche im Berliner Kulturforum einnimmt – zwischen seiner Spitze und dem Altar haben noch ein paar Stühle für Gottesdienstbesucher Platz –, ist die neueste Arbeit von Gregor Schneider. Sein Arbeitsschwerpunkt sind gebaute Räume. Auch das Kreuz in Berlin ist ein solcher, denn man soll es gleich am Kircheneingang betreten, es hat noch im Liegen eine Höhe von zweieinhalb bis drei Metern. Innen bewegt man sich bald in gänzlicher Dunkelheit und kommt, wenn die Querarme des Kreuzes erreicht sind, nicht mehr weiter. Das erinnert an Todesfantasien, die verbreitet sein dürften: Ein Tunnel, der keiner ist, das Leben als Sackgasse, man ist am Ende angelangt, lebt gerade noch, ist leider nicht ohne Bewusstsein, muss nun aufgeben. Tastend begreift man indessen, dass man sich nach links wenden kann, in den linken Querarm hinein. Dort tritt man am Ende hinaus, geht auf die Empore und sieht nun erst das Kreuz als Kreuz. Es ist aus verbranntem japanischen Holz gefertigt.
Christus hat es vorgemacht
Das sind zwei Stationen eines „Kreuzwegs“, wie Schneider sein Werk genannt hat. Das Wort bezeichnet sonst den Leidensweg Jesu Christi, dargestellt in einer Folge von Bildern, die in der Art einer Wallfahrt von den (katholischen) Gläubigen meditierend nachvollzogen werden soll. Schneider lässt aber nicht zu, dass man den Weg auf einen anderen projiziert. Wahrscheinlich hat er sich nicht gefragt, wie sein Werk zur biblischen Lehre steht, es ist aber so, dass es ihr faktisch näher kommt als jene auf Christus ausweichenden Bilder. Denn es heißt doch, man solle „das Kreuz auf sich nehmen“. Christus ist nicht „stellvertretend“ gestorben, hat vielmehr den Anfang gemacht, und schon in der Antike sind ihm viele Märtyrer(innen) gefolgt. Noch in unserer Zeit hat die lateinamerikanische „Theologie der Befreiung“ nicht wenige Menschen, die für eine „Kirche der Armen“ eintraten, zu dieser schwierigen Nachfolge inspiriert. Übrigens ist auch die Zeit der kommunistischen Märtyrer noch nicht lange vergangen. Anna Seghers hat ihnen mehr als einen Roman gewidmet, zum Beispiel Das siebte Kreuz (1942).
Dass es zwei Stationen sind und nicht bloß eine, deckt einen versteckten Spalt auf, der in der Kirche gängig ist. Während der ersten Station erlebt man den eigenen Tod. Darauf, dass Christus uns zu sterben gelehrt habe, wurde die Bedeutung des Kreuzes oft reduziert. Aber um das Sterben als solches ging es in der Taufe. In deren ursprünglicher Form wurden Erwachsene unter Wasser getaucht, das stand für den Tod. Auftauchend begannen sie ein neues, nicht mehr todesängstliches Leben. Wer diese symbolische Wende buchstäblich erleben will, tut zweifellos besser daran, durch den Schneider’schen Tunnel als durchs Wasser zu gehen. Aber damit hat er oder sie das Kreuz noch nicht begriffen, das man wie gesagt erst von der Empore aus überblickt. Es ist nun freilich auch von dort aus nicht zu begreifen, aber dass es uns mit der Frage konfrontiert, ist gerade seine Leistung. Während die Kirche Gewissheiten verkündet, haben wir es hier mit einem Kunstwerk zu tun, das, wie jedes andere, seinem Sinn nach verschlossen ist.
Als Kunstwerk betrachtet, ist Schneiders Kreuzweg das Endergebnis einer erstaunlichen Reihe von Metamorphosen. Wie er selbst sagt, hat Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat (1915), das schon dieser als „Ikone der Moderne“ bezeichnete, am Anfang gestanden. Die Kunsthistorikerin Verena Krieger deckte auf, dass es eine Ikone im genauen Sinn ist, da es den typischen Rand um das Dargestellte herum wahrt. Abgesehen davon schlägt es aber allem Christlichen ins Gesicht, und nicht nur dem Christlichen, sondern auch den antiken Griechen (die ideale Kreisform der Griechen wird durch Kanten ersetzt), den Altägyptern (in einer futuristischen Oper, an der Malewitsch 1913 mitwirkt, beschwört er mit schwarzen Quadraten den „Tod der Sonne“, die in Ägypten heilig war) und zugleich noch, wie aus parallelen Schriften Malewitschs zu ersehen ist, der Aufklärung. Aus dessen Gemälde macht Schneider zunächst einen schwarzen Kubus, der auch an das islamische Hauptheiligtum, die Kaaba, denken lässt (Cube, 2005). Er weist da schon darauf hin, dass der Kubus seinerseits, mit seinen sechs Seiten, zum Kreuz auseinandergefaltet werden kann. Jetzt, in Berlin, hat er es getan.
Es ist nicht so, dass er Malewitsch mit dieser Rückverwandlung eines antireligiösen in ein religiöses Werk etwas übergestülpt hätte. Er macht vielmehr sichtbar, was Malewitsch zu verdecken suchte. Denn aus den Schriften des russischen Künstlers geht auch hervor, dass er mit dem schwarzen Gebilde auf weißem Grund, der den Rand bildet, das schmerzliche Verhältnis von subjektiver und kosmischer „Erregung“ evoziert. Und er schreibt, er fühle sich als einziger Stern in völliger Dunkelheit – eine Horrorvorstellung. Kosmisch unbeteiligt ist er noch nicht. Um ihn herum tobt in dieser Zeit eine Suizid-Epidemie. Sollte da nicht auch Todesangst mitgespielt haben? Schneider hat sie nur wieder freigelegt. Das zu tun, ist eigentlich Aufgabe der Kirche. Die nimmt aber eher am Verdrängen teil, schon durch ihre Architektur. Viele Kirchen sind seit jeher in der Form des Kreuzes gebaut. Aber wer sie betritt, realisiert das nicht, weil sie so hoch und so weit sind und so herrlich glänzen und sich von keinem Ort aus überblicken lassen. Jetzt ist der Ort da, noch bis 2. April.
Info
KREUZWEG (nach einer Idee für Berlin 2006) Gregor Schneider St. Matthäus-Kirche, Berlinatthäus-Kirche, Berlin
Kommentare 2
Oh ich habe Rückenschmerzen und mein Kreuz tut so weh.
Es gibt für mich noch eine andere Beschreibungsform für diesen Zustand, wie bei dem Beatles Song; Tomorrow never knows, bei dem auch die Hälfte Rückwärts läuft und diese Werbung beeinflusst unser nicht verstehen wollen von Gegenwart, da wir träumend alles andere, verkörpert durch den rosa Elefant als heiliges Kreuz, lieber innere Illusionen ansehen und anderes sinnvolle wird ignoriert.
Ich bin mir nicht sicher, ob dies Nichts wissen wollen von Morgen einzig ein Lied über unsere Bedürfnisse sein soll und darin wird die Liebe als anderer Denkraum so weit unterdrückt, dass wir nur die Impulsanregungen von neugierigen interessanten Optimierungsbildern folgen sollen und Detailverbesserungen der reale Zustände durch unseren ersehnten Status und über der erreichbaren Optimierung im Kapital gebundenen Seinsformen, als neue Wege nicht anstreben sollen. Die Schmerzen im Rücken sollen mir zeigen, dass nur geistiges Leiden und körperliche Opferhingabe ein wahren Seegen über das anbeten von Artifakten bringen kann, da ja leben, liebe leiden heißt.
Eine neue Liebe wäre wie ein neues Leben, in dem man optimierbare Wunschbedürfnissen nachjagt und darin ist schon die notwendige Ungleichheit als verrichtete Arbeit in einer Beziehung mit gegenseitiger Wechselwirkung enthalten, um am Ende sein Ziel einer gewünschten harmonischen Zweisamkeit zu erreichen und dann war es das dann auch, mit dieser Bedürfnisbefriedigung und wir brauchen ein neues Ziel, eine neue neugierige interessante Ungleichheit als motivierende Arbeit, um unser dunkles denken mit Licht zu befluten.
All das ist doch keine Liebe, so wie dieses Wort Liebe seine schwerwiegende Inspiration für Ausgrenzung an realen Zuständen und Bedürfnissituationen aufrecht erhält.
Ich dachte immer, Liebe ist eine Energieform, die sich mit zunehmenden Lebensalter und in den darin an erlernten enthaltenen Fähigkeitsentfaltungen, wie auch Erfahrungen und Erkenntnissen im praktischen Leben, hieraus seine charakterliche Seinsform erhält.
Diese Energie Liebe ist auch bei jedem anders, so wie auch der Microbiom anders aufgestellt ist, damit Ungleichheiten für Austausch entstehen können und wird dieser Austausch über unsere Arbeit in eine gleichgewichtige Balance eingependelt, dann löst sich die Verbindung und wir suchen nach weiterer Impuls anregender Energie für weiteren Austausch.
Wenn jetzt keine Liebe mehr existieren kann, dann wären ja alle Menschen mit gleicher Energie beseelt, so dass keine Ungleichheiten mehr vorzufinden seien und das kann bei 8 Milliarden Menschen nicht möglich sein, denn dann wäre ja das Evolutionsprojekt Mensch tot und in ihrem inneren dunklen Kreuz gefangen, so das nicht mal ein geistiger heiliger Impuls dies ändern könnte.
Oh dunkle Macht als Kreuz symbolisiert, damit meine Bedürfnisse besser strahlen können und dir als Wegbereiter in schmerzhaften Rückenleiden das Opfer erleiden, in Rückwärts laufenden Liedern übrig bleibt.
Ach Kunst, manchmal biste ganz überflüssig.
"Denn es heißt doch, man solle „das Kreuz auf sich nehmen“. Christus ist nicht „stellvertretend“ gestorben, hat vielmehr den Anfang gemacht, und schon in der Antike sind ihm viele Märtyrer(innen) gefolgt."
Gerade in der Osterzeit spielt eigentlich die Bezeichnung "Lamm Gottes", das "Agnus Dei" für Jesus eine ganz besondere Rolle in den christlichen Kirchen. Die Bedeutung geht auf die Tradition der Opferung von Lämmer im Judentum am Pessach-Fest zurück und das Johannes Evangelium nimmt das Motiv auf, indem es die Kreuzigung Jesus auf die Zeit, in der die Pessach-Lämmer geschlachtet werden, datiert. Das Lamm Gottes steht für die Opferung von Jesus als Sohn Gottes durch seinen Vater, um ihn und die in Sünde gefallene Schöpfung wieder zu versöhnen. An das Opfer erinneren sich die Christen in der Eucharistie jeden Sonntag, mit Realpräsenz oder als Symbol inform des Verzehrs von Hostie und Wein.
Insofern scheint mir ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Jesus und den nachfolgenden Märtyrern zu bestehen, weil nach der biblischen Erzählung Gott Jesus auf die Welt sandte schon im Wissen darum, dass er damit seinen Sohn opfert.
Diese biblische Erzählung fasste die nie um deutliche Worte verlegene kath. Professorin Uta Ranke-Heinemann in ihrem Glaubensbekenntnis (7.) prägnant so zusammen: Eine blutige Erlösung am Kreuz ist eine heidnische Menschenopferreligion nach religiösem Steinzeitmuster.