Das diesjährige Berliner Musikfest, es dauert bis zum 20. September, hat zwei klare Schwerpunkte, Arnold Schönberg (1874-1951, 15 Konzerte) und den dänischen Komponisten Carl Nielsen (1865-1931, sechs Konzerte), der hierzulande noch recht unbekannt ist. Nielsens 150. Geburtstag gibt Anlass, ihn vorzustellen. Man wird hierbei auch das Royal Danish Orchestra kennenlernen, es ist Europas ältestes. Mit beiden Komponisten werden andere kombiniert, so naheliegenderweise Gustav Mahler mit Schönberg. Ich freue mich, über ihn und Nielsen schreiben zu können, werde aber auch einen anderen Höhepunkt nicht verpassen, die halb konzertante, halb theatralische Aufführung von „Michaels Reise um die Erde“, zweiter Akt der Oper Donnerstag aus „Licht“ von Karlheinz Stockhausen. Daneben sind Beethoven, Schubert und Wagner, Berg und Webern, Fauré und Debussy, Rihm, Xenakis und Ferneyhough und noch andere zu hören.
Das gestrige Eröffnungskonzert stand im Zeichen eines „Bekenntnisses zur Musik Arnold Schönbergs“, wie es im Festivalprogramm heißt. In der Tat, wann ist sie schon einmal so exponiert worden? Daniel Barenboim mit seinem Opernorchester, der Staatskapelle Berlin, dirigierte die drei Inauguralwerke des Komponisten, der die „Methode des Komponierens mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ erfunden hat: Verklärte Nacht für Streichorchester op. 4 (1899/1917), sein erstes von ihm selbst als vollgültig anerkanntes Orchesterwerk, das zwar die Dur-moll-Tonalität in Grenzbereiche treibt, sie aber nirgends verlässt; die Fünf Orchesterstücke op. 16 (1909), das erste in freier Atonalität geschriebene Orchesterwerk; und die Variationen für Orchester op. 31 (1926-28) als ersten orchestrale Anwendung jener von ihm erfundenen Methode. Die drei Werke sind so reichhaltig, dass ich mich hüten muss, hier ein ganzes Buch über sie zu schreiben, zumal man sich eine glanzvollere Interpretation als die von Barenboim kaum vorstellen kann.
Verklärte Nacht ist eine Tondichtung, der ein Gedicht Richard Dehmels (1863-1920) zugrunde liegt. Wie Martin Wilkening im Programmheft schreibt, nimmt sie nicht nur, mit dem Typus Tondichtung, auf Richard Strauss Bezug, sondern auch mit der Musiksprache auf Richard Wagner und mit der Satzweise auf Johannes Brahms. Alle drei Bezugnahmen verändern aber das, worauf sie rekurrieren, so sehr, dass etwas ganz Neues entsteht. Der erste Eindruck ist eine Überkomplexität, die selbst geübten Musikhörern das Zuhören schwer macht, und zwar äußert sie sich interessanterweise darin – ich kann da nur von mir sprechen, glaube aber kein Einzelfall zu sein -, dass sie sich zuerst emotional überfordert fühlen müssen. Schon als ich die Musik zum ersten Mal hörte, was lange her ist, glaubte ich sie musikalisch zu verstehen, nur war ihre Ziel- und Uferlosigkeit und, wie ich es empfand, pathetische Weinerlichkeit kaum zu ertragen. Bezeichnend war, dass ich sogar Dehmels eigentlich glasklares Gedicht falsch las. Da gesteht eine Frau, so dachte ich, ihrem Mann, dass sie mit einem anderen Mann geschlafen hat und von ihm schwanger ist, und ihr Mann verzeiht es mit einem schon im Gedicht an Kitsch grenzenden pathetischen Gehabe. Das stimmt alles nicht! Ich hatte offenbar nur einen flüchtigen Blick auf den Text geworfen und mochte mich nicht hineinvertiefen, wohl weil er mich zu sehr an mein eigenes Leben erinnert hätte.
Dehmel gibt in Wahrheit ein Gespräch wieder, in dem zunächst eine Frau erzählt, dass sie schon nicht mehr daran geglaubt hatte, den zu ihr passenden Mann zu finden; sie wollte aber Mutter sein und sorgte dafür, dass sie es wurde. Das war getan, als sie den Richtigen doch noch fand. Dem offenbart sie es nun und der reagiert mit den Worten: „Das Kind, das du empfangen hast, / sei deiner Seele keine Last, / oh sieh, wie klar das Weltall schimmert!“ Sie spazieren ja durch die Nacht. Und weiter: „Du wirst es mir, von mir gebären; / du hast den Glanz in mich gebracht, / du hast mich selbst zum Kind gemacht.“ So pathetisch würde man heute allerdings nicht mehr sprechen und auch die Frau nicht noch zur Mutter ihres Richtigen machen, wie es in der letzten Zeile geschieht. Damals sprachen Dichter aber so, und was Dehmel pathetisch sagt, ist nicht etwa funktionslos. Im „schimmernden Weltall“ darf wohl eine Anspielung auf das Schlusswort zur Kritik der praktischen Vernunft gesehen werden, wo Immanuel Kant sagt: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheit verhüllt oder im Überschwänglichen, außer meinem Gesichtskreise suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz.“
Wenn ein Komponist wie Schönberg so eine Handlung aufgreift, bekommt sie einen doppelten Boden. Man kann darin, dass ein früher gezeugtes Kind akzeptiert wird, die Metapher auf eine neue Kunst sehen, die zwar neu sein will, aber ohne das Alte zu verwerfen. Mit Schönberg beginnt tatsächlich eine Entwicklung, in der sich das nicht mehr von selbst versteht. Ein halbes Jahrhundert später wird Pierre Boulez erklären, dass s e i n e neue Musik, die auf der Schönbergschen aufbaut, sich von jeder Reminiszenz an die alte befreien wolle, weil diese sich durch die Kontexte, in denen sie stand, disqualifiziert habe. Und er kritisiert Schönberg dafür, dass noch in dessen reifen, mithilfe der Zwölfton-Methode geschriebenen Werken die alte Musik allzu tiefe Spuren hinterlassen habe.
Umgekehrt ist aber schon Verklärte Musik, dieses noch gänzlich tonale Werk, in dem man, wie gesagt, Wagner und Brahms wiedererkennt und in der Anlage als Tondichtung auch Strauss, so radikal neuartig, dass Theodor W. Adorno sagen kann, „dass eigentlich die entscheidenden Neuerungen Schönbergs allesamt in seinen frühen Werken, also den Werken bis ungefähr op. 10, eigentlich bereits enthalten sind“, was er dann sehr ausführlich am op. 4 demonstriert, „und dass man, wenn man diese Werke richtig versteht, die späteren Werke auch gleichsam von selbst verstehen wird, dass die späteren Werke dann keine Schwierigkeiten mehr machen.“ Boulez und andere junge „serielle“ Komponisten sitzen ihm zu Füßen, der sie für Schönberg einnehmen will, was freilich nicht gelingt. (Kranichsteiner Vorlesungen, Berlin 2014, S. 11) Es sind diese „Neuerungen“, die zum richtigen Höreindruck des ungeheuer Komplexen führen wie auch zu der falschen Komplexitätsreduktion des Anfängers, man höre einer Art Kitsch zu. Und es ist diese Komplexität, die Schönberg mit der späteren Zwölfton-Technik gleichsam zum Hauptthema macht und dabei auch bändigt.
Barenboim hat das bei aller emotionalen Wucht so klar dirigiert, dass man gut verfolgen konnte, wie sich Wagner im Stück spiegelt und worin Schönberg auf Brahms zurückgreift. Von Wagners Tristan-Motiv, den ersten Takten von Tristan und Isolde, sagt man bekanntlich, das sei der Beginn der Auflösung des Tonalen. Tatsächlich schwebt es nur noch, ein unerfülltes Sehnen artikulierend, chromatisch in seinem Tonhöhenbereich, ohne noch auf einen Grundton hinauszulaufen. Es ist aus einer fallenden und einer steigenden Linie zusammengesetzt, die gleichzeitig erklingen. Schönberg Verklärte Nacht legt das auseinander. Dies Stück steigert sich, nach einer die Nachtruhe evozierenden Einleitung, zunächst in eine haltlos nach oben strebende, dramatisch zerrissene Melodie der Frau hinein. Dann antwortet ihr begütigend die fallende Melodie des Mannes. In die Antwort geht, zunehmend zur Ruhe kommend, das Steigen der vorausgegangen Melodie ein.
Es ist nicht mehr derselbe Gestus wie bei Wagner, denn einen Grundton gibt es zwar weiterhin nicht, dafür aber, in der Melodie des Mannes, so sehr auch sie nur schwebt, eine Art Grundtönigkeit, die auf Grundtöne verzichten kann. Sie muss darauf verzichten, das ist der metaphysische Einsatz dieser Musik. Denn sie will keinen prästabilierten Grund und Boden mehr unter sich suggerieren und phantasieren. Den Grund kann man nur noch selbst zu legen versuchen, und er wird nicht immer nachhaltig sein. Dass er von vornherein prekär ist, hört man ihm an, denn kein Punkt wie am Ende eines Satzes wird uns geboten, kein einzelner Ton mit seinen Oktav-Wiederholungen, sondern wieder nur eine schwebende Linie, wenn auch besonderer Art.
Dass hier eine Frau zerrissen ist und ein Mann als ihr Richtiger begütigend einschreitet, wird man sich heute nicht mehr so gern anhören, literarisch nicht und dann auch nicht musikalisch. Aber abgesehen davon, dass diese Thematik zeitgebunden ist und wir selber, wenn wir gut beraten sind, das früher gezeugte Kind nicht verwerfen werden, nur weil wir Spätergeborene sind, mag dieses Mann-Frau-Verhältnis, von Schönberg verwendet, nichts weiter als eine Metapher sein. Man müsste wissen, wie er Dehmels Gedicht gelesen hat und was ihm dabei eingefallen ist: „Zwei Menschen“, beginnt es, „gehn durch kahlen, kalten Hain; / der Mond läuft mit, sie schaun hinein. / Der Mond läuft über hohe Eichen, / kein Wölkchen trübt das Himmelslicht, / in das die schwarzen Zacken reichen. / Die Stimme eines Weibes spricht“ und sie spricht davon, dass sie „nicht mehr an ein Glück [glaubte]“, aber doch „ein schwer Verlangen nach Lebensinhalt [hatte]“. Was stellt man sich unter s c h w a r z e n Z a c k e n vor, die i n e i n H i m m e l s l i c h t reichen? Im Zu- oder Abnehmen des Mondes geht das aggressive Bild nicht auf. Schönberg war ein düster gestimmter Mensch. Es ist denkbar, dass Verklärte Nacht darstellt, wie das „Verlangen nach Lebensinhalt“, sei’s einer Frau oder eines Mannes – Schönberg war ja ein Mann - nicht anders begütigt werden kann als durch den Tod.
Der Rückgriff auf Brahms liegt in der Technik der Motivsetzung und –verarbeitung und darin, dass Schönberg in der Weise der „entwickelnden Variation“, den Begriff hat er selbst in einem Aufsatz über Brahms geprägt, musikalische Blöcke aufeinander folgen lässt. Gerade auch das hat Barenboim sehr klar zu Gehör gebracht. Ich komme vielleicht morgen dazu, auch zu den beiden anderen Schönberg-Stücken dieses sehr beeindruckenden Konzertabends etwas zu sagen.
Berichte über die Berliner Festivals "MaerzMusik" und "Musikfest" ab 2010 finden Sie hier.
Kommentare 22
Die heute beispielgebende Interpretation der Goldberg-Variationen von johs seb Bach gespielt von Glenn Gould btw wäre ohne die Arbeit Arnold Schönbergs imao kaum möglich gewesen.
Hanoncourt hatte es versucht an das Gould Konzept anzuschliessen: mit ausgesprochen bezweifelbarem Gelingen imao.
Klavierübungen: Hanon^
Natürlich sollte es heißen: Harnoncourt
Brahms gibt den Fingern mit seinen Fingerübungen noch Luft während Hanon das Beamtenklavier gibt während Czerny (üble Fron) mit den Fingerübungen Chopins musikalisch nicht mitzuhalten scheint wohingegen Liszt getrost als Orthopäde der Fingerübungen immer noch gelten dürfte...^^
wären da nicht die Dohnányi Fingerübungen^^
irgendeine musikalisch ernsthaftere Sauerei werde ich mir noch einfallen lassen bevor ich hier abtrete,.,^^
So geht das ja nicht: Orthopäden das Handwerk so kampflos zu überlassen^^
kunsdfreunde: die schlimmsten Feinde der Menschen zusammen mit den Menschhassern.
ich liebe sie inzwischen: Educationals.
Weil: Ihr seid noch viel freier als der "Neger in der Steppe....
Feiern wir also unsere Freiheit.
We love it.
:
Gab es denn noch die Goldberg Variatonen von Johann Sebastian Bach oder war Johann Sebastian Bach ein Kommunist?
Jetzt weiß ichs...: der Is als US outsourring Untenehmen hat neue skills bekommen Sachen verstecken zu wollen, die sie nicht zu verschweigen vermag,
Aber: Was kann Johann Sebastian Bach dafür?
Das Problem: die USA haben sich selbst outgesourced.
War das das Problem?
Es waren und bleiben WASPS, die hier auf dicke Welle vollkommen ohne Plan die dicke Welle fahren: Gnade uns Gott: dieses Gesocks taumelt durch ihre Indizes ohne zu wissen was sie da anrichtet.
Dummheit hatte WK I wie II angerichtet: im WK3 wird es keine Gewinner mehr geben können.
Dabei ging es in diesem lesenswerten Beitrag doch lediglich um Arnold Schönberg.
Die cis-moll Sonate
Was davon bleiben wird?
Einen Scheiss!
Sie scheißen drauf: nicht das man das gut finden sollte:
Flaubert scheint weiter prospektiert zu haben.
Das Elend von Kleinbürtgern: nicht einsehen zu wollen dass man Kleimbürger ist.
da frisst man sich nicht durch: da bleibt man was man ist: Kleinbürger.
ich mach mal den laden jetzt dicht bevor man annehmen sollte ich sei ein schwuler kommunistischer neger der judenhasser ist und auch sonst als scheisendrecken sein leben zu fristen hat.
Danke, lieber Michael Jäger, für den Hinweis auf ein kulturelles Großereignis, das so heute in Deutschland wohl nur noch in Berlin möglich ist. Und dazu der Glücksfall Barenboim. Für mich ist es leider zu aufwändig, aus der weit entfernten Provinz, die einmal die alte Mitte war, anzureisen. Aber kompetent darüber berichtet zu bekommen, ist wenigstens ein kleiner Trost.
Was die drei ausgewählten Stücke des Eröffnungskonzerts betrifft, kann ich nur zustimmen, daß diese Wahl ausgesprochen signifikant, repräsentativ und leicht faßlich ist. Aber natürlich wären als exemplarische Werke auchPelleas und Melisande, dieSerenadeoder dasKlavierkonzertgute Alternativen gewesen. Ich möchte einen Gedanken vertiefen und eine Frage stellen.
Die Aussage Adornosdass eigentlich die entscheidenden Neuerungen Schönbergs allesamt in seinen frühen Werken, also den Werken bis ungefähr op. 10, eigentlich bereits enthalten sind und dass man, wenn man diese Werke richtig versteht, die späteren Werke auch gleichsam von selbst verstehen wirdist absolut richtig. Es gibt nach meiner Kenntnis keinen Komponisten vor und nach Schönberg, der so eine umfassende Entwicklung durchgemacht hat und dabei sich selbst, seinen Anfängen so treu geblieben ist. Bei dem solche Entwicklung dermaßen immanent folgerichtig und daher auch bei Offenheit von Hören und Denkenso leicht nachvollziehbar ist. Wer die Frühwerke liebt und richtig verstanden hat, muß auch von allem, was folgte, begeistert sein.Apropos, daß sich Komponisten systematisch entwickeln, ist bei fast allenGroßen zu beobachten. Aber auch in diesem Punkt ist Schönberg eine Ausnahmepersönlichkeit. Man schaue sich einmal das Jugendwerk der sechs vierhändigen Stücke an, das noch von anfängerhafter Schlichtheit ist und doch schon die Schönbergsche Raffinesse enthält, ein richtig-musikalisch-Weiterdenken, wie es sich dann in den frühen Liedern und in dem opuslosenStreichquartett in Dfortsetzt und ganz früh die Genialität Schönbergs aufblitzen läßt. Später wird er in dendrei Volksliederndiesen frühen naiven Ton umwerfend revozieren. Das Alte und das Neue gehen völlig ungezwungen ineinander über. DerPierrot lunaireist das schönste Beispiel für dieses zeitlose Changieren, mit dem versöhnlich zurückbiegenden SchlußstückOalterDuft. DerPierrot lunairehat Pierre Boulez stark, vielleicht am stärksten beeinflußt, und ich möchte hier doch erwähnen, daß der große Franzose schon lange seine durchaus sympathische jugendbewegt-revolutionäre Narretei zurückgenommen hat,er könnte sich sonst nicht so für's Dirigieren von Wagner begeistern,und die Opernhäuser gäbe es auch nicht mehr.
Ich sehe so gut wie nichts, was Schönberg je musikalisch entschieden falsch gemacht hätte. Es gibt hauptsächlich einen Aspekt, bei dem ich ihm nicht vorbehaltslos folgen kann. Er hat hauptsächlich für seinen Wiener Verein für Privataufführungen etliche Fremdkompositionen bearbeitet. Da wurden von ihm, Schülern und Freunden Orchesterwerke für kleine Ensembles bearbeitet und aufgeführt, z.B. die wunderbareBerceuse elegiaquevon Busoni. Aber es gibt auch Orchesterbearbeitungen, etwa BachsPräludium und Fuge in Es. Ein sehr beliebtes Stück auch wegen des strahlenden, bejahenden Gestus'. Für mich istschon das Originalein bißchenzu auftrumpfend, die Bearbeitung erst rechtzu massiv, überorchestriert, wenngleich ich die Übertragung des organo pleno verstehe.Nun gibt es dieVerklärte Nachtin der Fassung für Sextett und Streichorchester. Auch wenn man sagen kann, der spätromantische Klang ist gut in der Glätte der Kollektivstimme aufgehoben, hat mich bis jetzt noch kein Orchester überzeugt, gleichwertig mit den guten Sextettaufführungen zu sein. Wie gelingt das Barenboim? Oder kann es sein, daß ich durch die ersten Kenntnisnahmen des Werks in der Sextettfassung so vorgeprägt bin, daß ich die Orchesterfassung nicht mehr objektiv beurteilen kann? Es gibt für mich übrigens auch den umgekehrten Fall. Henze hat eine Kammerorchesterfassung derWesendonkliedererstellt, was ganz seinem italienischen Naturell entspricht. Mich spricht sieweniger an, da bleibe ich gern beim großen Orchester.
Mich hat, offen gestanden, das feinsinnige Portrait Schieles von Schönberg hierher gelockt, denn ich kenne weder die Musik von Schönberg, noch die von Nielsen.
Werde mir das aber anhören, denn meine allgemeine Allgemeinbildung ist manchmal etwas grob gestrickt und kann Verfeinerung vertragen - und möchte mich fürs Näherbringen des Musikfestes 2015 bedanken!
Lieber W. Endemann, ich kann Ihnen in allem nur zustimmen. Ein paar Bemerkungen:Pelleas und Melisandewird am Montag aufgeführt. Ich weiß nicht, wie oft ich mir das Stück in diesem Jahr CDmäßig angehört habe, es läßt sich nicht zählen. Boulez hat das vor ein paar Jahren wieder eingespielt, ich glaube 2011, und absolut phantastisch, hochemotional und sehr klar zugleich im Ablauf. Dabei zweifle ich noch daran, ob er seine Meinung über Schönberg wirklich geändert hat. Glaube mich an späte Außerungen von ihm zu erinnern. Er kann sich eben auch auf Sachen einlassen, wo er sich nicht bloß selbst wiedererkennt. Daß er ältere Musik dirigiert, ist jedenfalls ursprünglich Strategie gewesen, er wollte dem Publikum eine Brücke bieten, das hat er früh gesagt. Aber ich glaube auch, daß er mit der Zeit mehr Empathie für die ältere Musik gewonnen hat, was sich wiederum auch auf seine Dirigate modernerer Musik auswirkt. So gibt es Einspielungen vonPelleas und Melisandeaus früherer Zeit von ihm, die bei weitem nicht so unter die Haut gehen. Am Montag wird Francois-Xavier Roth dirigieren.
Phantastisch in der Tat auch SchönbergsStreichquartett in D, besonders wenn’s vom Julliardquartett geboten wird. Ich finde, diese radikal fast nur kreisende und deshalb wie eine Droge wirkende Musik ist, in all ihrer Einfachheit, ein richtiger kompositorischer Höhepunkt.
Mir ist es wie Ihnen so ergangen, daß ich die Streichorchesterfassung vonVerklärte Nachtimmer defizitär fand gegenüber der Streichsextettfassung. Aber Barenboim hat dieser Fassung in der Tat ihr ganzes Recht geben können. Man muß das eben differenziert spielen, esistdifferenziert. Allein die Streichersoli! Die hört man doch sonst kaum raus.
Nun kenne ich dank Ihres Artikels endlich auch einmal das Gedicht hinter der Musik Schönbergs! Ich hatte ja keine Ahnung ... :-)
Schönberg hat offenbar wirklich Vers für Vers in Musik umgesetzt, dazu lohnt ein Klickhierhin, wo er "Verklärte Nacht" selbst erklärt. Seine Musik uv.a. sein Tun zu erklären, das war Schönberg auffallend ein Bedürfnis.
Dehmels Gedicht bringt eine hoch einzuschätzende Botschaft von Humanismus und vor allem Liebe. Das zu behandeln anhand einer verzweifelten Mutter in spe, die sich nicht getraut, ihr uneheliches Kind ihrem neuen und wahrhaft Geliebten zuzumuten, dieser aber aus seiner Liebe heraus sich selbstverständlich als den Vater in spe zu erklärt, muss doch für Dehmels Zeit darüber als ungemein progressiv gelten!?
Ich weiß ja, dass Sie sehr intertextuellen Zugängen zuneigen. Ich tue mich hier und da ein bisschen schwer mit so etwas; etwa, wenn das "früher gezeugte Kind" aus Dehmels Poem auch zur von Schönberg - bei aller Progressivität - in seinem Werk pfleglich gehegten Tradition wird. Im Falle der "Verklärten Nacht" wird es einem solchen Ansatz, einen "doppelten Boden" zu sehen freilich vergleichsweise leicht gemacht. Es wäre leicht plausibel, dass Schönberg selbst auch eine solche tieferliegende strukturelle Verbindung aufgegangen ist; vielleicht gerade auch erst während des Komponierens oder sogar erst danach.
Aber womöglich geht es (Ihnen) bei solchen interstrukturellen und intertextuellen Versuchen auch weniger um's klassische Erklären a la 'Was will uns der Künstler damit sagen', sondern eben um auch dem schaffenden Künstler eher unbewusste Triebkräfte. Also in etwa auch das, was Schönberg selbst zum Unterschied zwischen Stil und Gedanke sagte: Stil sei das dem Künstler Mitgegebene, auf das er weniger bewusst Einfluss nehmen könne. Das Ausarbeiten eines Gedanken dagegen "geistige Gymnastik" - also harte Arbeit - womit er sein bewusstes Schaffen, das Komponieren, beschrieb.
Nach dem Anklicken des Links auf den Reiter "Anmerkungen" klicken!
"Ich sehe so gut wie nichts, was Schönberg je musikalisch entschieden falsch gemacht hätte."
Ich tue mich schwer mit solchen Aussagen, die ich als anmaßend gegenüber Künstlern empfinde. Sie haben doch starke Ähnlichkeit mit der harten und starren Doktrin, wie sie viele Vertreter und Wortführer der Neuen Musik in den ersten Jahrzehnten nach dem 2. WK, wie Boulez - an dem Sie das ja auch kritisieren - oder besonders auch Adorno formulierten.
Ich weiß nicht, was ein Künstler "falsch" machen kann. Diese Kategorie kann man meine Erachtens so etwa an dem Tun eines Ingenieurs proben. Wenn aufgrund seines Tuns eine Brücke zusammenkracht, so kann man nur sagen, er hat etwas falsch gemacht. Seine Aufgabe lässt sich aber auch klar und diskussionsfrei festlegen: Die Brücke muss primär ihren Zweck als Brücke erfüllen. Kreative und ästhetische Aspekte müssen sich dem einordnen, wenn nicht sogar unterordnen.
Ich weiß nicht, was ein Künstler "falsch" machen kann.
Wenn Sie das nicht wissen, dann geben Sie sich mit „Kunst ist Geschmacksache“ zufrieden. Meinetwegen, damit legen Sie aber objektiv eine große Verachtung der Kunst gegenüber an den Tag. Ich bewundere, was ich verstehe, aber nicht selbst hervorbringen kann. Ich denke, das ist nicht anmaßender als ein geschmäcklerischer Relativismus. Ich habe mich keineswegs auf's hohe Kritikerroß gesetzt, wenn ich schrieb:Ich sehe …. Und ich habe den Grund benannt, warum ich nicht ganz so begeistert von einer Überorchestrierung meines geliebten Meisters bin. Was für Probleme haben Sie damit?
Allerdings erstreckt sich für mich der Wahrheitsbegriff auch auf subjektive Sachverhalte, wenngleich hier die Wahrheit in radikal tiefgreifenderer Weise relativ ist. Und ich bitte Sie sogar darum, mir anzuzeigen und zu begründen, wo Sie Fehlurteile sehen. Wir wollen doch nicht nur bei Meinungen stehenbleiben, oder?
Der Kommentar ging an @MIAUXX
Nein, in der Tat, die Frage ist nicht "Was will der Künstler uns sagen". Das würde nun auch wahrlich dem von Kristava geprägten Begriff der Intertextualität nicht entsprechen. Es mag "unbewußt" gekommen sein, aber sogar darüber muß man nicht spekulieren. Was zählt, ist einzig die objektive Nähe, soweit man sie zu sehen glaubt, der miteinander verglichenen Signifikanten. In dem Fall, um den es hier geht, würde ich an eine Schönbergsche Haltung denken, insofern wirklich an "Unbewußtes", das sich in seinem Privatleben wie auch in seinem Kunstverhalten äußert. Ihre Bezugnahme auf seine Unterscheidung von Stil und Gedanke scheint mir treffend zu sein.
"Kunst ist Geschmackssache" - wenn man hier an Kants ästhetische Theorie denkt (-> Kritik der Urteilskraft), ist das ein sehr ehrbarer Satz. Nach Kant steckt in der Kunst etwas Objektives, das man gleichwohl nicht in der Weise der Wissenschaft auf den Begriff bringen kann, sondern nur allenfalls indem man "Geschmacks"urteile, wohlgemeint -urteile mit allem intellektuell-analytschen Drum und dran, womit man sich der Sache aber nun mal nur nähern kann, ohne daß sie darin aufgeht, austauscht und so zur Einigung kommt oder auch nicht. Im Großen Ganzen pflegt man ja doch zur Einigung zu kommen; was große Kunst ist und was nicht, ist in groben Zügen allgemein anerkannt, obwohl es sich eben im Letzten nicht ableitend-rational begründen läßt.
Ja, unbedingt, Dehmels Gedicht muß für äußerst progressiv gelten für seine Zeit. Wir, die wir inzwischen weiter gegangen sind, stehen auf den Schultern solcher Progressiven.
Ihren Kommentar hatte ich erst gelesen, als ich den folgenden Text einstellen wollte:
Die großen Mathematiker "schwören" auf die Schönheit der Formeln, wenn sie ihnen nach langem Ringen gelingen. Es sind wahrscheinlich nicht viele, die dieses Niveau erreichen. Zuerst aber ist der Fleiß und die Vernunft gefordert, obwohl die Durchbrüche dann oft anders beschrieben werden (Inspiration).
Obgleich ich mich wenig mit der Technik der Malerei beschäftigt habe, kann ich doch den Unterschied in der Meisterschaft klassischer Maler, gegenüber dem Anschein der Klasse vieler Werke der Moderne erkennen. Die Schönheit, die sich in besonderer Weise individuell entfaltet, wird nicht annähernd mit Begrifflichkeiten eingefangen, obwohl sich die Qualität der Techniken damit beschreiben (erfassen) lässt.
Die Musik wiederum erschließt eine weitere Dimension, die sich für mich als Laien, der sich immer auf das Hören beschränkt und nicht mit der "Technik" der Musik beschäftigt hat, auf das reine Gefühl. Als Beispiel möge mein Lieblingsstück dienen, auf dem Instrument der Instrumente, die Orgel: J.S.Bach-Toccata e Fuga in D Minor, BWV 565. Auch hier wird sich der Connaisseur des Hörens begrifflich austauschen können, verbleibt aber ebenfalls auf einer bloßen symbolischen Ebene.
Was ich damit sagen will: Wissen ist gut, Erleben ist besser. Und je mehr man erlebt, umso verfeinerter die Wahrnehmung. Ganz im Gegensatz zu meiner sonstigen Vorgehensweise, die sich auf der analytischen Schiene bewegt. Abgesehen von der Mathematik möchte ich es bei der Malerei und der Musik auch so belassen.
Wenn ich mich an große Fotografen erinnere, dann haben die zwar die Techniken beherrscht, aber deren wahre Kunst war das Auge und das Gefühl für den richtigen Moment. Und das Warten auf den Moment konnte lange dauern.
Mal sehen, ob sich von der Kunst her nicht noch Gemeinsamkeiten zu ihrer "Hebammenkunst der Revolution" ergeben. Der Satz ist jetzt nur den "Eingeweihten" verständlich. :-)
Ein paar Dinge, die mir bei ihrem Beitrag durch den Kopf gingen.
Da ich fast schon immer mit dem schulmäßigen, ja, Zwang, erkennen, herleiten und interpretieren zu müssen, was ein Musiker oder Komponist denn nun wirklich sagen wolle, meine Probleme hatte und habe, schaltet sich bei mir wohl schnell ein unwillkürlicher Reflex ein. Wenn Sie von einem "doppelten Boden" schreiben, der sich mit Schönbergs "Verklärter Nacht" zu dem Poem von Dehmel einzieht, so klickt bei mir zuerst, Michael Jäger wolle sagen, Schönberg habe diesen doppelten Boden eingezogen; das gehöre einerseits zum künstlerischen Kalkül und sei ihm auch Leitfaden für's Komponieren gewesen. Aber wie Sie sehen, verstehe ich schon, worauf Sie bzw. die intertextuelle Aufdeckung "objektiver Nähe" hinauswill, und dass das auch sehr interessant ist. Mir ist das ja auch nicht fremd; wenn ich etwa in einem fachliterarischen Umfeld lese, sehe ich schon, wohin hier der Hase läuft. Ich denke und fürchte eben nur, dass interstrukturelle und intertextuelle Aufdeckungen im Rahmen des Feuilletons, der Rezension etc. leicht mißgedeutet werden können ... Aber das soll freilich auch nicht heißen, das gleich nicht zu tun.
Wahrscheinlich ist es Ihnen wie mir ergangen, der ich schon in der Schule genervt war von der Deutschlehrerin, die uns ständig aufgab herauszufinden, "was will uns der Dicher damit sagen" - wörtlich! Da wußten wir noch nichts von Intertextualität, ja da gab es diesen Begriff noch gar nicht, aber daß es so nicht ging, wie diese Lehrerin sich das dachte, spürten wir irgendwie...
Den Ruf „Kunst ist Geschmackssache“ kann man ja von zwei Seiten sehen. Ich kann damit subjektiv bestimmen, dass etwas keine Kunst sei, weil für meinen Geschmack keine entsprechende Schöpfungshöhe und/oder Kunstfertigkeit vorliege. Oder ich kann sagen, das oder dies sei nicht mein Geschmack, ich erkenne es aber trotzdem als Kunst an. Mein Fall wäre eher das Letztgenannte. Das wiederum schließt aber auch nicht völlig aus, dass ich schon auch hier und da geneigt bin, zu sagen, etwas sei keine Kunst. Etwas als Kunst zu bezeichnen ist ja auch schnell bei der Hand, um Aufwertungen und Bemäntelungen zu erreichen. So ist es ja üblich, jeden, der bei einer der zahlreichen TV-Castingshows ein Lied eines Popsternchens nachsingt, bereits als Künstler zu bezeichnen. In solchen Fällen geht bei mir schon auch eine Schranke runter.
Um all' das geht es aber nicht wirklich, wenn ich Feststellungen, ein Künstler habe gefehlt oder nicht, bemeckere. Vielleicht sollten Sie sagen, was Schönberg denn hätte falsch machen können?! Lobende Feststellungen über die konsequent fortgesetzte Entwicklung Schönbergs, die Konsistenz seines Werkes - der Sie sich anschließen und auch für "alle anderen Großen" reklamieren -, sind wohlgemerkt ja nur retrospektiv, als Gesamtschau, möglich. Nun wissen und sehen wir da aber auch nur, wie eine Entwicklung gelaufen ist und nicht, wie sie vielleicht auch hätte laufenkönnen.
Nehmen wir doch einmal Richard Strauss. Nach dessen avantgardistischen Werken vom Beginn des 20.Jh. - "Zarathustra", "Elektra", "Salome" - folgte ein allmählicher Rückzug, wenn man so sagen will, ins Traditionelle, Einfache und auch Unverfängliche. Hat er da als Künstler gefehlt? Man könnte sagen: Ja, er hätte deutlicher bei einer moderneren Tonsprache, die er ja durchaus auch vorgezeichnet hat, bleiben und sich somit auch deutlicher und progressiver in seiner Zeit - das gilt besonders für die Nazi-Zeit - positionieren sollen. Strauss ist letztlich auf Nummer-Sicher gegangen und hat das gemacht, worin er so virtuos wie sicher war und womit sich überdies gut Kasse machen ließ. Hat er damit aber wirklich als Künstler bzw in seiner Entwicklung als Künstler etwas falsch gemacht?
Es sind allein ästhetische Positionen, die darüber Urteile fällen. Man wird doch auch einem R. Strauss nicht absprechen können, dass ein "Rosenkavalier" oder die "Frau ohne Schatten" richtige Kunst seien. Und zwar die Kunst dieses R. Strauss, zu dem die "Elektra" genauso gehört, wie der "Rosenkavalier". Er hat als Künstler diesen Weg gewählt - wer wollte sagen, dieser sei - etwa aus o.g. Gründen - falsch? Ähnliches gilt z.B. auch für Mozart, dem bisweilen - u.a. von Schönberg - die "Zauberflöte" als kompositorischer Tiefflieger oder Banalität angelastet wird.
Abgesehen von der ja sehr verbreiteten Ätzerei und Neiderei, wie sie sich Künstler eines Faches gegenseitig zuwerfen, ist es v.a. das Annehmen einer von außen kommenden Deutungs- und Urteilsgewalt über das Werk von Künstlern, die ich als Anmaßung empfinde. Und dass insbesondere, wenn sie sich allein aus technischen Analysen in der Vergleichsstellung zum jeweiligen zeitgenössischen Umfeld des Künstlers sowie dessen früheren oder späteren Schöpfungen an Urteilsbegriffe wagt, die den jeweiligen Künstler entweder für eigene ästhetische Positionen oder die eines jeweiligen Zeitgeistes in, ich möchte schon sagen, Haftung nehmen. Dabei ist mir auch wichtig, dass etwa der Begriff von Progressivität in der Kunst doch ein sehr schwieriger ist. Es reicht in meinen Augen z.B. bei weitem nicht, die Schlaglichter aus unseren Epocheneinteilungen zu nehmen und daraus schlicht abzuleiten, dass etwa mit Wagner die Auflösung der Tonalität begann, weshalb im Fortschreiten des 20. Jh. nur der E-Musik-Komponist etwas gelten könne, der sich zur Atonalität oder gar dem Serialismus hinbewegte. Das ist als Beispiel jetzt vereinfachend zugespitzt - aber wenn wir ehrlich sind, läuft es grob gesehen doch so. Und nicht zuletzt widersprechen eine Menge von Künstlern in ihrem Gesamtwerk dem pauschalen Begriff von Progressivität, für den es am Ende ja auch nicht wirklich stichhaltige Parameter gibt. Herr Jäger hat das in seinem Kommentar an Sie ja auch bereits angesprochen. Kurz: Für Kunst gibt es am Ende eben keine objektiven Maße. Zum Glück, muss man da ja auch sagen.
Ich will Sie mit meiner langen Rede nun gar nicht persönlich treffen. Sie haben ohne Zweifel treffende Argumente für Schönberg gefunden, der aber eben auch ein Komponist ist, der geradezu ein Paradebeispiel für eine, wie Sie sagen, "systematische Entwicklung" von, ich setze hinzu, außergewöhnlicher Strenge gegenüber sich selbst war. Zweifellos kann man Schönberg nur so verstehen, dass er auf konsequenteste Weise einem Entwicklungsplan folgte und das sich auch in seinem Werk ablesen lässt. Gegen Ihre Argumente will ich also gar nichts gesagt haben. Vermutlich wollten Sie mit Ihrer Feststellung, dass Schönberg nichts falsch gemacht habe auch nur mit Nachdruck auf die besonders deutliche Entwicklung in dessen Werk hinweisen.
Grüße!
"Obgleich ich mich wenig mit der Technik der Malerei beschäftigt habe, kann ich doch den Unterschied in der Meisterschaft klassischer Maler, gegenüber dem Anschein der Klasse vieler Werke der Moderne erkennen."
Vielleicht kann man das darauf reduzieren: In den Gemälden der Alten ist zumeist klar zu erkennen, was abgebildet wird. Wir erkennen Menschen, Bäume, Häuser, Tiere ... Zum vollständigen Verständnis und damit auch vollen Genuss kann oder muss man zwar auch oft noch einiges an Hintergrundinfos mitbringen - die Kunst der Renaissance etwa enthält oft eine Menge Zeichen und Symbole und Allegorien, wie z.B. eine einzelne brennende Kerze für Christus -, aber im Großen und Ganzen kann "man" sich schon leichter orientieren als im fortgesetzt Abstrakten modernerer Kunst. Im Zweifel ist die genannte einzelne brennende Kerze eben nur eine Kerze - damals hatte man ja noch kein elektrisches Licht - und es ist auch gut.
Im Ganzen gilt wohl aber, was oben im Text etwa auch für die Entwicklung Schönbergs vom "Spätromantischen" zum "Zwölftöner" und wie man das nachvollziehen könne reklamiert wird. Ein entsprechendes Interesse vorausgesetzt, öffnet die Beschäftigung mit den Entwicklungen und Veränderungen in der Kunst und deren Nachvollzug auch das Verständnis und den Genuß im Ganzen. Sie öffnet Augen und Ohren und nicht zuletzt auch den Geist.
Aber freilich wird es auch nie so sein, dass man nicht sagen will, das und dies sei Mist, mit dem man nichts anfangen kann.
adKunst ist Geschmacksache. Über Geschmack läßt sich nicht streiten.
Der von M. Jäger zitierte ehrbare Satz Kants wird von mir nicht beanstandet. Ich denke bei dieser Aussage an Laien, die keine Kriterien zur Kunstbewertung haben und daraus darauf schließen, daß es solche Kriterien nicht gibt. Dem einen schmeckt dieses, dem anderen jenes, mehr ist nicht. Das aber istfalsch, ich kann mir kaum vorstellen, daß Sie das anders sehen. Die Qualität von Kunst kann und sollte beurteilt werden, oder wollen Sie den devoten Kunstjünger? Schönbergkonzerte wurden lange Zeit hart und ungerecht, argumentationslos durch Mißachtung und Wegbleiben beurteilt. Warum also bringen Sie keine Gegenargumente, sondern bestreiten mein, aller Recht auf Urteile (wie gesagt habe ich mein überschwängliches Urteil ausdrücklich als subjektiv gekennzeichnet)?
Daß die ästhetischen Urteile nicht völlig objektivierbar, keine mathematischen Beweise sind, steht doch außer Zweifel. Nie würde ich etwas Gegenteiliges behaupten. Aber die völlige Gleichwertigkeit stimmt ja nicht einmal für den Geschmack im wörtlichen Sinne. Denn das Süße ist süß, damit wir schnell zu Energie kommen, und das Bittere warnt uns vor Giften. Freilich kann man seinen Geschmackssinn bilden, ohne das wäre unser Speiseplan sehr viel eintöniger. Dieser Gewohnheitseffekt verfälscht natürlich das Urteil und sollte darum möglichst herausgehalten werden. Wohingegen eine gewisse Vertrautheit als Voraussetzung des Urteilens gelten kann.
Mitnichten habe ich gesagt, daß alle Tonkunst, die nicht der Schönbergschen Entwicklungslogik gefolgt ist, darum minderwertig ist. Das wäre ein sehr einfältiges Argument, denn Sie haben recht, künstlerische Entwicklungen sind Manifestationen der Freiheit, können nicht obligatorisch sein. Ästhetisch ist es immer auch anders möglich. Die schnelle Festlegung der Avantgarde auf die geordnete Atonalität aufgrund der Genialität der Wiener Schule bedauere auch ich, da sie die Zeit abgeschnitten hat, die nötig gewesen wäre, die spätromantischen Möglichkeiten auszuschöpfen. Mehr noch, das was man moderne Musik nennt, umfaßt ja Spielarten, die auf frühere Formen zurückgreifen, die von den radikalen Modernisten noch verächtlicher zurückgewiesen wurden. Dabei wird verkannt, daß die Geschichte nicht linear verläuft, und das ist auch gut so, denn sie kann nicht stur nach Plan durchgezogen werden, sondern muß Erfahrungen machen. Allerdings sind Klischees Klischees, wer darauf zurückgreift, macht schlechte Musik.
ad Kunstbegriff
Ich halte es für notwendig, daß man ihn verbindlich definiert, weil man nur so unserer kulturellen Entwicklung gerecht werden kann. Ich habe mich in einer Diskussion mit M. Jäger schon einmal für die Idee der autonomen Kunst eingesetzt, denn ich denke, daß die Autonomie des Ästhetischen nach der Begriffsklärung durch die Aufklärung (nicht nur Kant) nicht mehr hintergangen werden kann oder sollte. In der Dreiteilung des Wahren, Guten, Schönen steckt die gesamte moderne Weltauffassung. Das Wahre betrifft das, was getan werden muß, das Gute die Freiheit, Handlungsalternativen hinsichtlich ihres allgemeinen Nutzens zu unterscheiden und sich auf ein ethisches Handeln zu verpflichten. Das Schöne wird auch aus den Handlungsalternativen ausgewählt, aber es gibt keine außerhalb der Handlungen liegende Begründungen, sondern die Begründung muß aus sich selbst geschehen. Das Kunstwerk ist nur ein Kunstwerk, wenn es primär der Schönheit verpflichtet ist, d.h. die Wahrheit (oder auch Lüge), die es ausspricht, die Vorstellung, die es evoziert, die Struktur, die es materialisiert, durch sich selbst suggestiv macht. Kunst kann, soll Wahrheit thematisieren, aber sie wird zu Kunst erst durch ihre Überzeugungsarbeit, mit der sie in der Regel mehr die Gefühle als die Ratio anspricht.
Wenn man dieser Auffassung von Kunst folgt (es gibt ja die Ansicht, Kunst sei säkularisierte Religion oder eine besonders dem Religiösen dienende Praxis, eine Ansicht, die die Kunstautonomie naturgemäß nicht akzeptiert), dann liegt klar auf der Hand, wann etwas Kunst ist, nämlich wenn es auf ästhetische Überzeugung angelegt ist, und wie Kunst fehlgehen kann: wenn sie das, was sie aussagt, nicht suggestiv machen kann. Sie ist immer noch Kunst, aber mißglückte, fehlerhafte Kunst. Da der Rezipient kein objektiver Beurteiler ist, läuft es auf die Bewertung der pro- und kontra-Argumente hinaus. Die müssen so umfassend wie möglich ausgetauscht werden. Gerade wenn man nicht alles wahllos in sich hineinstopfen will, muß man solche Reflexion auf die künstlerische Qualität anstellen. Es ist aber absolut legitim, einfach nur die Bewegung des Gemüts durch die Kunst zu genießen. Die Beurteilung geschieht dann automatisch auf der Gefühlsebene, drückt sich durch das geschmackliche Gefallen aus, ist aber ein entsprechend unverbindliches Urteil.
Vielleicht sollten Sie sagen, was Schönberg denn hätte falsch machen können?
Da müßte man ins Detail gehen, das würde den Rahmen hier sprengen. Die allgemeinen Erwägungen zu freier und strenger Atonalität sind ja ausgetauscht. Wobei der Übergang von der freien Atonalität zur 12-ton-Technik wohl tatsächlich ein wenig knifflig ist. Da muß der Groschen fallen in Gestalt der wirklichen Lösung von Tonalität, man muß realisieren, wie beim Wegfall dieser einen Qualität (oder Dimension) die anderen in einer neuen Deutlichkeit hervortreten. Denn in der freien Atonalität kann man immer noch Tonalität mithören. Man kann aber auch schon in der früheren Form das Nivellieren der Tonalität als Notwendigkeit hören.
Immerhin, ein Beispiel hatte ich gebracht für eine Schwachstelle, ich möchte ein weiteres anfügen, wo es richtig schief hätte gehen können, Schönberg aber richtig handelt. Auch die Schlußapotheose der Gurrelieder schrammt scharf am Kitsch vorbei. Es liegt in der Logik dieses Riesenwerks mit Riesenbesetzung, daß es am Schluß auftrumpft. Nach der unmenschlich gerechten blinden Flurbereinigung der Natur indes Sommerwindes wilder Jagdmuß die Versöhnung in Dur zelebriert werden. Wer hört da nichtFreude, schöner Götterfunken. Aber hoch 10. Was macht Schönberg, um die Affirmation nicht ins unfreiwillig Komische wachsen zu lassen? Er rhythmisiert den Chor, daß er agogisch das Gleichmaß bricht. Das ist die Genialität, die ich meine, mit der leichtfüßig die größten Stolperstellen umgangen werden.
Was musikalisch richtig ist, kann auf allen Komplexitätsniveaus beurteilt werden, ist daher ein Qualitätsmaß für alle Arten von Kunstmusik, dazu würde ich auch die innovative Rockmusik der 60-er, 70-er Jahre zählen, falls man hier auf die Idee kommen sollte, das wäre ein elitäres Konzept. Es ist das Programm, das von Eisler und anderen formuliert wurde, der Kampf gegen die Dummheit in der Musik. Aber das erfordert ein eigenes blog.
Mit Dank für Ihre erneuten Ausführungen möchte ich Ihnen mal folgendes virtuelle Gespräch verlinken: Armin Köhler von der nmz sprach mit zeitgenössischen Komponisten über das Gute, Wahre und Schöne. Ich musste daran denken, hatte es mir damals, 2006, aufgehoben:
http://www.nmz.de/artikel/adornos-furcht-vor-banalitaet-oder-vom-schoenen-und-wahren
Mehr eigene Worte werden es heute nicht mehr; ich komme evtl. noch einmal auf Ihren Kommentar zurück.
Kleine Korrektur zur Schlußapotheose der Gurrelieder. Ich habe nachgehört, hatte das falsch im Kopf, mit einer anderen Chorstelle verwechselt, wo er die Musik effektvoll bricht. Hier in der Apotheose gestattet sich Schönberg nur eine schwache Zurücknahme des Jubeltons durch die Wendung von G-Dur nach h-Moll. Das ist ein bißchen wenig, weil er danach in einen vieltaktigen reinen Dur-Schluß mündet. Aber ich bleibe dabei, gerade noch einmal am Kitsch vorbei.
Köstlich, dieses fiktive Gespräch. Nicht ganz realistisch, wenn die Leute tatsächlich alle aufeinandergetroffen wären, wäre es nicht so friedlich geblieben.
Ich schreibe nur aus der Erinnerung heraus, weil es zu lange dauern würde, jetzt wieder in die Gurrelieder hereinzuhören: Ich fand den Schluß nie kitschnahe, sondern immer erschreckend und deshalb eher originär. Er vermittelt doch die Botschaft, daß vorausgegangenes Leid vollkommen ausradiert werden kann und wohl auch soll. Diese Vorstellung dürfte an vielen Katastrophen des 20. Jahrhunderts mitschuldig sein. (Die moll-Wendung gibt es auch in Freude, schöner Götterfunken, sie soll wohl das utopische Moment signalisieren.)
Kleiner Nachtrag. Die Dur-Seligkeit am Ende der Gurrelieder ist schon etwas heftig. Ich habe ja den inszenatorischen Grund für diese extreme Klangpositivität genannt. Es kann natürlich sein, daß das Werk ein historisches Bedürfnis artikuliert, wie Sie vermuten. Ich tippe eher auf die innere Logik dieses Märchens. Ich will ergänzen, daß das Schlußstück auf die Einleitung antwortet, in solcher Rückführung zeigt sich das enorme Formbewußtsein Schönbergs. Die Einleitung ist ebenfalls reine Positivität, aber ganz fragil, zart, die Einführung in eine Liebesgeschichte, der Dreiklang mit sixte ajoutee (c' – es – B). Das Werk endet triumphal in C-Dur mit beigefügter großer Sexte (Es-Dur ist gegenüber C-Dur verdunkelt).