Vier Bögen zur Geschichte der Grünen (I)

Konsumismus und Strategie Die Strategie zielte natürlich darauf, sich mit der SPD zusammenzutun – das verstand sich völlig von selbst, niemand brauchte einen Gedanken darauf zu verschwenden

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Die Strategie der Grünen zielte darauf, sich mit der SPD zusammenzutun, das verstand sich völlig von selbst
Die Strategie der Grünen zielte darauf, sich mit der SPD zusammenzutun, das verstand sich völlig von selbst

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Von ihrer Gründung bis heute stehen die Grünen vor dem Problem des Konsumismus, der überwunden werden müsste, will man die Zerstörung der Erde noch aufhalten. Vierzig Jahre ist das jetzt her, wenn wir uns der Eckdaten besinnen: Antritt der Sonstigen Politischen Vereinigung Die Grünen bei der Europawahl im Juni 1979 mit Petra Kelly und dem ehemaligen umweltpolitischen Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion Herbert Gruhl als Spitzenkandidatinnen, „Umgründung“ dieser SPV zur Bundespartei auf einer ersten BDK (Bundesdelegiertenkonferenz) im Januar 1980, Beschließung des Grundsatzprogramms im März auf der zweiten, vollständige Vorstandsbesetzung im Juni auf der dritten BDK. In diesem Verlauf eines Jahres ist bereits alles geschehen, was den Ansatz der neuen Partei nicht nur begründet, sondern auch zum Selbstwiderspruch macht, für den man noch 2019 eine Lösung nicht absieht. Die SPV war von Konservativen beherrscht gewesen, die zum Konsumverzicht aufriefen. Linke Kräfte hätten sie am liebsten aus der Parteigründung herausgehalten, konnten aber im Januar nur erreichen, dass sie nicht zusätzlich noch in anderen Parteien oder organisierten Gruppen Mitglied sein durften. Das Gründungsprogramm im März ist schon ein Kompromiss zwischen eigentlich unvereinbaren Anliegen. Kein Konsumverzicht mehr, wie passte er auch zur linken Einsicht in die Notwendigkeit von Umverteilungen. Der Konsumismus wird zwar abgelehnt und als Schlüsselproblem identifiziert, doch wie man damit umgehen könnte? Schweigen. Als die Konservativen auch noch bei den Vorstandswahlen im Juni leer ausgehen, ziehen sich die allermeisten aus der Partei zurück, Gruhl eingeschlossen.

Wie entwickelt sich eine solche Partei? Nun ist so ein Anfang ja nicht ungewöhnlich. Die gute Schöpfung mit anschließendem Luzifer-Abfall und Sturz in die Hölle ist schlechte Theologie. Wir greifen besser zur Vorstellung einer „Genealogie der Moral“, die mit Konfusionen beginnt und sich dann erst, und nur im günstigsten Fall, zur Klarheit durcharbeitet. Was die Grünen angeht, sehen wir tatsächlich, wie sie sich mal hierhin, mal dorthin wenden, immer auf der Suche nach dem tragfähigen Ansatz, der sich partout nicht finden lassen will, auch wenn sie neuerdings zur stärksten Partei werden. Was wird geschehen, wenn sie „liefern“ sollen, wer weiß wie bald schon, und es nicht können? Wenn ich hier auf ihre vierzig Jahre zurückblicke, dann ohne zu vergessen, dass auch die anderen Parteien – von uns Publizisten ganz zu schweigen - einer Lösung des Problems, das sie wenigstens aufgeworfen haben, nicht näher gekommen sind.

Aufstieg und Fall der Ökosteuer

Es sahen sich also Linke mit einem konservativen Ökologiekonzept konfrontiert, das Verzicht und Opferbereitschaft als Antwort auf die Grenzen der Belastbarkeit der Öko-Kreisläufe forderte. Wer es wie Gruhl vertrat, machte das fortwährende Wachstum der Wirtschaft verantwortlich, an dem wiederum die schlechten Gewohnheiten der Menschen in der Industriegesellschaft schuld sein sollten. Diese Konservativen, die auch Beschränkungen des sozialen Netzes befürworteten, standen allzu offensichtlich in der Tradition des CDU-Kanzlers Ludwig Erhard und seiner asymmetrischen Maßhalteappelle. Die Linken griffen ebenfalls das Wirtschaftswachstum an, machten aber darauf aufmerksam, dass es in den bestehenden Eigentums- und Machtverhältnissen wurzelte. Verzicht würde nur die Ärmsten und Ohnmächtigsten treffen, das ging nicht, notwendig war eine Gesamtalternative zur kapitalistisch-industriellen Gesellschaft. Die Schwäche der Linken war, dass sie die Gesamtalternative nicht auszubuchstabieren versuchten. Dass der Konsumismus ein Problem war, konnten und wollten sie zwar nicht leugnen. Gerade wenn man das ökonomische System im Ganzen überschaute, stellten sich Wachstumsproduktion und –konsumtion als zwei Seiten desselben dar. Aber das war nicht nur eine ökonomische Frage, sondern auch eine kulturelle und politische, kurz eine Frage der Hegemonie. Der immer wachsende Konsum war das Band, das die Menschen an den Kapitalismus fesselte! Wenn man ihn angriff, waren diese Menschen betroffen, gegen die man sich doch nicht wenden wollte. Nicht gegen die Menschen, nur gegen ihre Konsumfessel - aber wie konnte das auseinandergehalten werden? Jedenfalls mussten sie selbst tätig werden, es war ihre eigene Angelegenheit, so viel war klar. Nein, eigentlich war auch das nicht klar, es war nur eine Praxis ohne viel Überlegen. Verstanden sich doch die Grünen der ersten Stunde als Basisbewegung, die auf vielen Feldern aktiv war: des Umweltschutzes und Atomausstiegs, der Frauenbewegung, des Kampfes gegen die NATO-„Nachrüstung“, der Hausbesetzung in Berlin, der Verhinderung der Startbahn West des Frankfurter Flughafens, der Schwulenbewegung.

Dem allen sollte ein „parlamentarischer Arm“ nur hinzugefügt werden. Wenn angehende Parlamentarier sich ein Programm geben, werden sie die Selbsttätigkeit der Menschen noch mitdenken, müssten es aber originell tun und sind dazu, da Vorbilder fehlen, nicht gleich imstande. Im ersten Bundesprogramm von 1980 steht nicht nur, dass Großkonzerne entflochten und die Teilbereiche von den dort Arbeitenden demokratisch selbstverwaltet werden sollen, sondern es sollen auch der „betroffenen Bevölkerung“, den Konsumentinnen also, durch Wirtschafts- und Sozialräte politische Befugnisse eingeräumt werden. Das ist schon alles. In den Wahlprogrammen der folgenden Jahre ist vom Konsumismus kaum noch die Rede, aber 1990 beim Anschluss der DDR drängt sich das Thema wieder auf: „Nun werden ­- wie voraussehbar - sämtliche ökologischen Fehlentwicklungen der westlichen Konsumgesellschaft durch die bisherige Mangelwirtschaft ungebremst übernommen: vom forcierten Ausbau des Autoverkehrs bis hin zur massiven Zunahme der Müllpro­duktion.“ So zu lesen in der ersten gemeinsamen Wahlplattform von Grünen und Bündnis 90. Ja, aber die Leute kauften gern Autos, abgesehen davon, dass es oft auch unvermeidlich war, wenn andere Mobilitätssysteme nun einmal nicht zur Verfügung standen.

Was tun? Musste es nicht wie der rettende Ausweg erscheinen, dass gerade eben – 1989 - die „Ökosteuer“ vorgeschlagen worden war, durch Ernst Ulrich von Weizsäcker vom Institut für Europäische Umweltpolitik (ab 1991 Präsident des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie)? Die Idee der Ökosteuer liege darin, so Weizsäcker, dass „allein durch das Marktgeschehen und den technischen Fortschritt, der durch den Markt beeinflusst wird, der fossile Brennstoff aus dem Individualverkehr verdrängt“ werden solle. Das erreiche man dadurch, dass die Preise für Benzin und Diesel über 40 Jahre jährlich um fünf Prozent inflationsbereinigt steigen, eben per Steueraufschlag. Dem Staatshaushalt komme es nicht zugute, da die Steuerzahler das Geld auf Umwegen zurückerhielten, nur der Autokauf werde ihnen zunehmend erschwert. Ein interessantes Konzept zweifellos. Das allerdings nicht mehr auf die Selbsttätigkeit der Menschen setzte. Verboten sollte ihnen auch nichts werden, jedenfalls sollten sie es nicht merken. Gelenkt würden sie ja schon, aber scheinbar nur vom anonymen Markt.

Und die Kapitalisten, würden sie dann weniger Autos anbieten? Keine Shell-Studie mehr in Auftrag geben, die untersucht, wie man noch Greisen den Autokauf aufschwatzen kann? Das Konzept war offenbar nicht zuendegedacht. Die Grünen griffen trotzdem begierig zu, weil sie ohnehin gerade dabei waren, sich zum Regieren als Junior der SPD bereit zu finden. Die SPD war nun eben seit 1959, seit ihrer Godesberger Wende, eine auf die Marktwirtschaft eingeschworene Partei. Weizsäcker war ihr Mitglied seit 1966. 1994 steht es im grünen Bundestagswahlprogramm: „Wer die ökologische Fehlsteuerung der Wirtschaft nicht länger hinnehmen will, muss mit der ökologischen Reform des Steuersystems beginnen. Die wichtigsten Elemente sind eine Primärenergiesteuer, die Anhebung der Mineralölsteuer und eine Abfallabgabe (Vgl. Abschnitt ‚Mit Ökosteuern umsteuern‘).“ Oskar Lafontaine, Kanzlerkandidat der SPD im Bundestagswahlkampf 1990, hatte schon 1989 Vorschläge zur ökologischen Umgestaltung des Steuersystems unterbreitet, im selben Jahr hatte Hubert Kleinert, ein führender grüner „Realo“, auf einer Konferenz seiner Strömung ein Referat gehalten: „Königsweg Ökosteuer? Finanzpolitische Handlungsspielräume eines rot-grünen Bündnisses“.

Wieder zehn Jahre später steht das Konzept im Koalitionsvertrag der rot-grünen Bundesregierung. Doch die Sozialdemokraten bremsen es aus. Für den ersten von drei Steuerschritten haben die Grünen fünfzig Pfennig pro Liter Benzin vorgesehen, vereinbart werden dann sechs Pfennig. Heizöl, Gas und Strom werden in diesem ersten Schritt gar nicht besteuert, Kohle und Kernbrennstäbe sollen es auch später nicht werden. Die SPD setzt also durch, dass gerade die umweltschädliche Industrie von der Steuer ausgenommen wird. Anders als die Grünen wollen, werden Steuersätze für den zweiten und dritten Schritt noch nicht festgeschrieben. Als ein paar Monate später die Diskussion um den zweiten Schritt beginnt, regt Peter Struck als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion an, ihn erst einmal ausfallen zu lassen. In einer Koalitionsrunde, man schreibt Juni 1999, bezeichnet Gerhard Schröder die Ökosteuer als „sozialen Unfug“. Er werde die Koalition beenden, sollten die Grünen mehr als sechs Pfennig Erhöhung pro Steuerschritt verlangen, sagt der Bundeskanzler. Man einigt sich auf vier weitere Schritte dieser Art, die Grünen setzen nur durch, dass zusätzlich auch der Strom jedesmal um einen halben Pfennig teuer werden soll. Das waren die ersten zwanzig Jahre grüner Ökologie. Hinzu kommt allerdings das Erneuerbare Energien-Gesetz, ein wirklicher ökologischer Fortschritt, der herbeigeführt werden konnte, weil auch große Teile der SPD-Bundestagsfraktion ihn unterstützten.

Die Realos gewinnen an Boden

Nachdem die meisten Konservativen bis 1981 die Partei verlassen hatten, waren die Grünen zwar insgesamt eine linke Partei, setzten sich aber aus sehr verschiedenen Segmenten zusammen. Frühere Maoisten, die dem Hamburger „KB Nord“ angehört hatten, Frankfurter Spontis wie Joschka Fischer, Angehörige verschiedener sozialer Bewegungen, die sich in den Vorjahren in „Bunten Listen“ zusammengefunden hatten, waren nun vereinigt. Zunächst spielte auch Rudolf Bahro, der in der DDR einen alternativen Kommunismus entworfen hatte, eine wichtige Rolle. Rudi Dutschke, wäre er nicht im Dezember 1979 den Spätfolgen des Attentats von 1968 erlegen, hätte wohl die zentrale Figur der ersten Stunde abgegeben. Er engagiert sich noch in den Gründungswirren des Bremer Landesverbands. Bevor „Grüne“ mit 5,1 Prozent im Oktober dieses Jahres in die Bremische Bürgerschaft einzogen, „Alternative“ mit 1,4 Prozent draußen blieben, hatte er ihre Spaltung zu verhindern versucht. In solcher Gemengelage standen zunächst die politisch Erfahrenen aus Hamburg und Frankfurt gegen andere zusammen, die in ihren Augen bloße Gefühlsökologen waren. Sie waren stolz darauf, strategisch zu denken. Überdies erschienen ihnen die Ökologen überhaupt, die ländlichen jedenfalls, als bloß „reformistisch“. Kleinert spricht in seinem Buch Aufstieg und Fall der Grünen, Bonn 1992, von „bürgerlich-ökologischen Kräften“. Und es stimmt, das anfangs herrschende Konzept der Basisbewegung plus parlamentarischem Arm war mit Zustimmung zur parlamentarischen Demokratie verbunden. In den Großstädten, Berlin, Hamburg, Frankfurt, sah es anders aus. Dort war Ökologie bestenfalls ein Konfliktfeld von vielen. Wenn es eine Klammer gab, war es der Wunsch, die Systemüberwindung herbeizuführen.

Die Strategie zielte natürlich darauf, sich mit der SPD zusammenzutun - das verstand sich völlig von selbst, niemand brauchte einen Gedanken darauf zu verschwenden. Heute fällt es zwar schwer, sich das vorzustellen, damals aber war die SPD eine 43-Prozent-Partei, und als ihr Vorstandsmitglied Erhard Eppler 1981 auf der großen Bonner Friedenskundgebung sprach, sagte er nicht „SPD“, um sie zu bezeichnen, sondern „die Arbeiterbewegung“. Hätte er das 1968 getan, er wäre ausgebuht worden. Aber die Zeiten waren spätestens seit dem „Deutschen Herbst“ 1978, der Todesnacht von Stammheim, vorbei. Am wichtigsten war oder wurde wohl, dass Willy Brandt von „neuen Mehrheiten“ sprach, gleich nachdem die Grünen in Hessen acht Prozent geholt hatten, das war kurz nach dem Bruch der rot-gelben Koalition in Bonn unter Helmut Schmidt. Fischer und Kleinert verlangten daraufhin Tolerierungsverhandlungen mit der SPD und erhielten immerhin schon 40 Prozent Zustimmung auf einer Delegiertenversammlung, die noch von Jutta Ditfurth beherrscht wurde, der „basisdemokratischen undogmatischen Sozialistin“. Wir sind im September 1982. Schon im Juni dieses Jahres hatten die Hamburger Ökosozialisten um Rainer Trampert und Thomas Ebermann solche Verhandlungen tatsächlich geführt, wenn auch ergebnislos, und waren damit eigentlich die Protagonisten der SPD-Orientierung. In der hessischen Versammlung ein Vierteljahr später traten sie als Gastredner auf und kritisierten Ditfurths „unpolitischen Gesinnungsradikalismus“, wie sie umgekehrt ebenso scharf von Ditfurth angegriffen wurden.

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Die weiteren drei Bögen folgen in den nächsten Tagen: der zweite am 25.6., der dritte am 26.6., der vierte am 27.6.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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