Niemals hätte die SPD die Bundestagswahl gewonnen, wäre ihr nicht die Zuspitzung einer Alternative gelungen: hier der Versuch der Kohl-Regierung, die Gesellschaft neoliberal zu spalten, da der Kandidat Schröder, der darauf vertraut, daß Vernünftiges sich nur im Konsens finden lasse, weil der Konsens selber vernünftig sei. Dieser Ansatz ist nicht etwa verrückt. Es ist nicht so, daß der Wahlsieg nur durch Dummheitspropaganda mit »Konsenssoße« hat erreicht werden können. Das wäre ja schauderhaft! Dann könnten wir uns ja alle aufhängen! Das Problem ist vielmehr die Zweideutigkeit des Konsensbegriffs, die zur doppelten Kommentierung zwingt. Zuerst muß man die Konsensmethode als etwas in der Tat Vernünftiges beschreiben. Dann muß man fragen, ob das, was die Regierung tut, den Namen »Konsensmethode« verdient. Daß das Vernünftige nur im Konsens gefunden werden kann, sagt auf seine Art sogar Trotzki, der Revolutionär. Die revolutionäre Konfrontation richte sich gegen den harten Kern derer, die sich nicht überzeugen lassen, schreibt er sinngemäß. Also müssen doch vorher Gespräche stattfinden, Überzeugungsversuche eben.
Wenn sie am Ende den Kern enthüllen, enthüllen sie, was Trotzki für das Vernünftige hält: die klare Freund-Feind-Scheidung von Volk und Kapital. Man wird weder diese Vernunft übernehmen noch Trotzkis Schlußfolgerungen auf die Bundesrepublik übertragen. Das Kapital existiert nicht für sich, sondern in Gestalt von Groß- und Kleinunternehmern. Da es gut und notwendig ist, »zu unternehmen«, darf auch der kühnste Revolutionär nicht mehr wollen, als die Konfusion von Unternehmer-Sein und Kapitalist-Sein aufzulösen. Es ist falsch, Unternehmer gegen das Volk auszuspielen, sie sind selbst Volk. Man sollte auch nicht verdrängen, daß Arbeitsplätze selbst Kapital sind und nicht deren hehres Gegenteil. Arbeiter und Kapital sind vermengt wie Unternehmer und Kapital. Ökologen können ein Lied davon singen. Daraus folgt, daß auch revolutionärste Überzeugungsgespräche nie auf die Enthüllung »des Kapitals« als eines Subjekts, gegen das man bewaffnet kämpft, weil es sich als Inkarnation des Bösen erwiesen habe, hinauslaufen können. Vielmehr wird das Vernünftige als Problemlösung zu enthüllen sein. Wenn dann Subjekte unüberzeugt bleiben, können sie desto weniger zur Gewalt greifen, je mehr die, die überzeugt haben, rechtschaffen und klar sind und freilich auch zur Kontrolle der Machthebel, die den Schutz der Informationsfreiheit garantieren, demokratisch eingesetzt worden sind.
Das ist die Konsensmethode, wie sie subjektiv den Kämpfenden einleuchten sollte. Es gibt aber auch eine objektive Seite. Deutschland ist eine Konsensgesellschaft. In ihr bringen sich Kämpfende, die frontal kämpfen, statt den Mehrheitskonsens zu suchen, automatisch in Mißkredit.
Eine Konsensgesellschaft ist keine »Konkordanzdemokratie«. Diese verlangt nicht nur den Konsens im Verfahren, also den Versuch der Einigung und dann das Einverstandensein mit der Mehrheitsentscheidung, sondern will sicher sein, daß eine Eintracht ohne Konflikt, ohne Mehrheitsentscheidung zustandekommt. Als krassestes Beispiel wird die Schweiz mit ihrer Tradition der Allparteienregierungen genannt. Man kann freilich Zweifel haben, ob es solche »Konkordanz«-Fälle wirklich gibt. Gerade in den Kantonen der Schweiz sind Mehrheitsentscheidungen möglich, von denen wir Deutschen nur träumen können. Aber angenommen, es gäbe diese Gesellschaften, die nur einträchtig sein wollen, so ist klar, daß Deutschland zu ihnen nicht zählt. Die deutsche Eintracht erstreckt sich nur auf das »leben und leben lassen«. In Deutschland hat nie jemand daran gezweifelt, daß Protestanten und Katholiken verschieden sind, es ging nur darum, ihnen den Dreißigjährigen Krieg auszutreiben. Dieses Muster hat Spuren im Verhältnis der »Sozialpartner« hinterlassen, und auch das Verhältnis von Ost und West, Bund und Ländern, Mann und Frau ähnelt einem ewigen Waffenstillstand.
Hier ist Rhodus, hier springe! Die Schröder-Regierung muß die Probleme der Arbeitsgesellschaft und der Ökologie lösen. Wenn sie sagt, das könne nur im Konsens geschehen, hat sie recht.
Aber was sagt sie damit? Nehmen wir sie beim Wort: Erstens darf sie sich nicht selbst die Konsenspartner aussuchen. Wenn schon, dann alle, auch beispielsweise den Naturschutzbund. Zweitens läuft Konsens auf Entscheidung hinaus. Niemals wird ein Gesprächspartner mit Vernichtung bedroht, alle müssen sich aber der Mehrheit beugen. Kein Bündnis für Arbeit wird die Abschaffung des Unternehmertums oder von Arbeitsplätzen anstreben, aber die Frage, was mit welchen Arbeitsplätzen unternommen wird, ist zu beantworten, und zwar von der Bevölkerung, und nicht auszusitzen, sei es auch paritätisch. Behauptet jemand, die Konsensmethode habe leider Atomstrom mit Atomarbeitern ergeben, so lügt er. Drittens sind sehr grundsätzliche Probleme zu lösen, die Arbeitsgesellschaft, die Ökologie, da muß man sich schon etwas Besonderes einfallen lassen. Zum Beispiel kann die Regierung nicht einfach zuschauen, wie die Bevölkerung, waffenstillstandsgierig, wie sie nun einmal ist, dem Bundesrat die rot-grüne Mehrheit nimmt, um Bund und Länder wieder in eine friedliche Wechselblockade zu bringen. Das halten die Bürger seit Jahrzehnten so, und doch muß die Regierung sie an ihre eigene Entscheidung vom letzten September erinnern. Wenn dieses Votum gegen den Neoliberalismus in den Wahlen der nächsten Monate nicht wiederholt und bestärkt wird, war es gar nichts wert.
Was ist nun von den Taten der Regierung zu halten? Es gibt durchaus Anzeichen, daß Schröder den Konsensgedanken in betrügerischer Absicht formuliert haben könnte. Seine Weigerung, am hundertjährigen Jubiläum des Naturschutzbunds teilzunehmen, weil dieser das Ems-Sperrwerk ablehnt, mußte alle schockieren, die von der ökologischen Suizidgefährdung der Erde wissen. Lief Schröder nicht zwischen Unternehmern und Gewerkschaftern hin und her, um ihnen den Arbeitskampf auszureden? Und vor das Forum der Ökologen will er nicht treten, um sie von der Sache der Industrie zu überzeugen - wenn er denn meint, die Industrie habe recht?
Das Bündnis für Arbeit hat sich in der vorigen Woche zum zweiten Mal getroffen. Hier ist noch unklar, wohin die Reise geht. Eine Institutionalisierung nach holländischem Vorbild wird jetzt erwogen. Die Unternehmer wollen Lohnleitlinien, die Gewerkschaften lehnen sie ab. Nur darüber war man einig, daß die Lohnentwicklung zum nützlichen Verhandlungswissen gehört. So weit, so gut. Aber die Frage, ob die Gespräche der Durchsetzung oder der Abschaffung des Neoliberalismus dienen, ist noch nicht entschieden. Soll's auf den Billiglohnsektor hinauslaufen? Die Erfahrung, daß Lohnzurückhaltung nicht mit mehr Arbeitsplätzen vergütet wird, haben die Gewerkschaften schon unter Kohl gemacht. Außerdem wird die Ökologie stiefmütterlich behandelt. Sie kommt nur da vor, wo die Unternehmerseite versuchen darf, die Senkung der Ökosteuer zu erreichen. Das stinkt doch zum Himmel: warum sitzt nicht der Naturschutzbund mit am Tisch, statt daß Schröder ihn öffentlich brüskiert? Die Grünen müßten eingreifen, wie sie ja schon erreicht haben, daß Umweltverbände in die Atomkonsensgespräche einbezogen werden.
Die Regierung im Ganzen zeigt bisher noch Konfliktbereitschaft. Es wäre ja auch gelacht, wollte sie sich hinter der »verlorenen Bundesratsmehrheit« verstecken. Ihre Position im Bundesrat ist hervorragend. Dort Entscheidungen gegen grüne Koalitionspartner zu treffen, Beispiel Transrapid, hat die SPD sich nie gescheut - will sie uns einreden, auf andere Partner, die FDP in Mainz, die CDU in Bremen, könne sie nicht einmal Druck ausüben? Und besonders die PDS in Schwerin mache Schwierigkeiten? Lafontaine hat jetzt unterstrichen, zum Bündnis mit der PDS könne es auch anderswo kommen. Da weicht er dem Konflikt mit Schreihälsen, die auch den Neoliberalismus durchsetzen wollten, nicht aus. Die einen wollen nicht mit der Gewerkschaft reden, die andern nicht mit der PDS, wieder andere nicht mit dem Naturschutzbund. Die Konsensmethode bleibt ein Konfliktthema. Besonders im Wahlkampfjahr 1999.
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